Kreuzdame - Kapitel 1

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Kapitel 1

Als sie am vierten Juli durch meine Tür trat, war sie nicht mehr Sandrine Ferrand. Sie hatte sich verändert. Als sie nach drei Monaten wieder ging, wusste ich, wer sie geworden war und ich muss gestehen, ich beneide sie darum.

Sehen Sie, ich bin Maler. Ich denke in Farben, in Bildern, in Emotionen. Ich habe ein kleines Häuschen zwischen Frejus und Les Issambres an der Côte d'Azur. Ich verkaufe Landschaftsgemälde an Galerien in Nizza und Cannes, ich esse, was mir das Land so gibt und versuche meine Leidenschaften zu kultivieren. Essen, Freunde, Liebe. Sandrines Welt hingegen …

Als sie sich, wie gesagt, an jenem Sommermorgen durch meine Tür schleppte, konnte ich nicht einmal ansatzweise erahnen, was sie mir alles erzählen würde. Fünf Jahre waren vergangen seit unserer letzten gemeinsamen Nacht und nun stand sie da in meinem Wohnzimmer. Ihre cognacfarbenen Lederstiefel waren an den Spitzen abgewetzt, von ihrem schwarzen Rocksaum standen kleine Fäden ab und ihre hellblaue Seidenbluse hing faltig über ihrer Brust. Sandrine hatte stark an Gewicht verloren. Besonders merkte man es an ihrem Gesicht. Manche hätten sich bei ihrem Anblick an eine ausgemergelte Virginie Ledoyen erinnert gefühlt. Die Backenkochen standen hoch, die Wangen jedoch waren eingefallen, ihr kleiner roter Erdbeermund, gepflegt, aber ausgetrocknet. Ihr schwarzes Haar hatte anscheinend mehrere Färbungen hinter sich, ich konnte das deutlich erkennen. Es war mit einer großen weißen Hornklammer hochgesteckt. Um die Wahrheit zu sagen, das Einzige, was mich noch an meine Sandrine erinnerte, war dieser unbeugsame Blick. Die frechen, fröhlichen Augen mit diesem tiefen Caramel-Ton in der Iris, die jeden aufforderten: „Komm schon, sag was.“

Sie trat an mich heran, küsste mich auf die Wange und zwängte sich an mir vorbei ins Schlafzimmer. Auf dem Weg dorthin ließ sie die blaue Sporttasche los, die sie hinter sich her schliff.

Im Gehen zog sie einen Stiefel nach dem anderen aus, schlüpfte aus Rock und Bluse, kroch in mein Bett, zog die Decke über den Kopf und schlief. Volle zwei Tage lang. Ich war kurz davor, Docteur Maurice zu holen.

Ich weiß, dass man nicht in den Sachen einer Dame wühlt, aber was hätte ich machen sollen? Aus heiterem Himmel schneit die Liebe meines Lebens nach fünf Jahren, ziemlich derangiert, durch meine Tür und verkriecht sich ohne ein Wort zu sagen in meinem Bett. Ich durfte ihre Kleidung aufsammeln und ihren Schlaf behüten. Was hätten Sie getan?

Also öffnete ich ihre Sporttasche und ich schwöre Ihnen, ich bereue es bis heute. Ich fand eine Handvoll Röhrchen mit verschiedenfarbigen Pulvern, zwei Klappmesser, eine SIG Chylewski Pistole, Kaliber 6,35 mm Browning, rote Spitzenhöschen, drei Pässe mit unterschiedlichen Namen und ihre alte Pochette. Ein schönes Stück, wie ich immer noch zugeben muss. Um 1930 in Paris genäht, glattes schwarzes Leder, von Sandrine mit einer goldenen Umhängekette modifiziert. Der Verschluss ist ein breiter Metallschlitz, durch den eine reich verzierte Metallzunge gesteckt wird. Wobei Zunge das falsche Wort ist, es ist eher ein fünfseitiger Rahmen. Nun, sie können sich vorstellen, dass mir nicht ganz wohl zumute war, als ich die Sachen aus der Sporttasche langsam auf den Tisch räumte.

Ich hätte die Pochette nicht geöffnet, wenn sich darin nicht etwas bewegt hätte. Ich traute meinen Augen nicht. In einer der Innentaschen saß Parsley.

Parsley ist eine Schwarzknopf-Höckerschildkröte der Gattung Graptemys nigrinoda. Wir hatten ihn vor fünf Jahren gemeinsam in Vence gekauft. Er ist gerade mal zehn Zentimeter groß und auf seinem Panzer stehen kleine Höcker ab, mit einer schwarzen Spitze, die aussieht, wie frisch lackiert. Ich zog ihn heraus und balancierte ihn auf meiner Handfläche. Er gähnte.

Ich drehte mich zum Schlafzimmer um und sah auf das Häufchen Elend, das da unter meiner Decke Ruhe gefunden hatte. Ich packte die Sporttasche wieder ein und stellte sie in den verschließbaren Schrank unter der Stiege neben der Tür. Parsley versorgte ich mit Wasser und Salat. Dann setzten ich mich mit ihm auf die Veranda, sah aufs Meer und wartete darauf, dass Sandrine wieder erwachen würde.

Nach 46 Stunden schließlich rumorte es in meinem Bett. Ich war gerade dabei Mittagessen zu kochen, als ich hörte, wie sie unter die Dusche stieg.

Eine Stunde später kam sie in die Küche und setzte sich. Eingehüllt in meinen Morgenmantel, der an ihr herunterhing, wie ein leerer Sack. Ich stellte ihr einen Teller warme Hühnersuppe vor die Nase. Sie sog den Duft ein.

„Ausgeschlafen?“, fragte ich.

Sie nickte und schlürfte.

„Ist eine Zeit lang her.“

Sie zuckte mit den Achseln, brach ein Stück Baguette und biss langsam hinein.

„Irgendetwas dabei, was ich wissen sollte, Sandrine?“, forschte ich nach, versuchte ich ihren Blick mit dem meinen einzufangen.

Ihre Stimme klang leicht gebrochen, als sie zum ersten Mal den Mund öffnete: „Wo ist die Tasche?“

Ich wischte mit Daumen und Zeigefinger über meine Oberlippe.

„Sicher verwahrt.“

„Ich meine die andere.“ Sie kaute das Brot konzentriert.

„Die Pochette?“

Sandrine hielt mit dem Kauen inne und sah mich mit tiefem Ernst an. Dann sagte sie etwas, was mich wirklich verwirrte. Sie sagte:

„Ich bin Pochette.“

Ich schloss die Augen, schüttelte den Kopf kurz in mich hinein, zog die Schublade unter der Tischplatte auf und holte die Handtasche heraus.

Sandrine nahm sie mir ab und blickte hinein.

„Wo ist …“

„Parsley?“, fragte ich.

Sie nickte erneut.

Ich zeigte mit dem Daumen hinter mich. Die Schildkröte saß auf der Fensterbank der Küche im Schatten und döste.

Dann passierte etwas, was ich in meinem Leben noch nie gesehen habe. Sandrine seufzte erleichtert. Dann sackten ihre Schultern nach unten, zogen ihren Kopf mit sich, ihre Arme vielen dumpf auf das Holz der Tischplatte und sie schluchzte. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie aus wie „Der Schrei“ von Edvard Munch. Ihr Mund war offen, die Mundwinkel weit nach unten gezogen, ihre Augen schreckgeweitet offen, Tränen strömten über ihre Wangen. Sie machte mir richtig Angst. Einen unendlich langen Atemzug später begann sie zu weinen. Krämpfe schüttelten sie durch, ich nahm sie in die Arme, dann führte ich sie zurück zum Bett. Sie weinte einen endlosen Fluss. Etwas in ihr hatte anscheinend eine letzte Tür durchschritten, eine Entwicklung abgeschlossen, einen langen Weg beendet. Ich weiß nicht, wie man es sonst beschreiben könnte.

Dann begann das Leben wieder, Besitz von ihr zu ergreifen. Drei Monate lang. Tagein, tagaus. Wir gingen am Strand spazieren, aßen, liebten uns. Nicht immer in dieser Reihenfolge, aber dafür konsequent. Sie nahm wieder zu, ihre Haut wurde rosiger und die Härte verschwand aus ihrem Gesicht.

Eines Abends fing sie dann an zu erzählen. Von verlorenen Gefährten und unerbittlichen Feinden, vom tiefsten Punkt ihres Lebens und vom Fall der höchsten Titanen, von Angst und von Liebe.

Nun, nachdem sie wieder fort ist, muss ich alles festhalten, um es zu verstehen. Entschuldigen Sie daher meine Unbeholfenheit, an manchen Stellen die richtigen Worte zu finden. Soweit ich kann, werde ich mir meine Meinung verkneifen­, außer es lässt sich nicht umgehen.

Ich werde mich bemühen alles wahrheitsgemäß niederzuschreiben, damit Sie sich ein Bild machen können, von dieser Frau, die als Sandrine Ferrand von mir ging und als Pochette wiederkam.

Dies sei ihre Geschichte …

***

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Euer Luc

KreuzdameWhere stories live. Discover now