Kapitel 6 - Schlechte Poesie - Part 1

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Nicht nur das Haus, sondern auch die Straße stank nach Kräutern. Es roch weder, noch duftete es, es stank danach. Gegen Mitternacht hatte es begonnen. Die Tacitaschwestern hatten mit leisem Gesang angestimmt und dann stieg Kräuterduft um Kräuterduft durch die Wände in Leyas Zimmer. Sie hatte die Decke angestarrt, als sie begriff, was das bedeutete. Cals Leichnam war angekommen und das war der Totenkult der Inferior. 

Sie hätte gerne geweint, aber ihr Inneres war ausgetrocknet und die Seelenreste in ihr verstanden nicht, was geschah. 

In der Früh hatte man sie aus dem Haus geworfen. Vermutlich war es allen zu riskant sie so nah an Cals Leichnam zu haben. 

Leya lungerte seit ungezählten Stunden in der Nähe des Hauses rum. Man hatte ihr Geld mitgegeben, damit sie Venedig ein wenig besichtigen konnte oder sich auch einfach nur in einem Café niederlassen konnte, aber sie brachte es nicht über sich die Sichtweite des Hauses zu verlassen. Durch die großen Fenster im Erdgeschoss hatte sie schon mehrfach kurze Blicke auf Cals Leiche werfen können. Das Zimmer war rauchverhangen und der junge Tote lag auf einem Art Steinaltar. Die Tacitaschwestern salbten ihn mit verschiedenen Ölen und bestreuten ihn mit Kräutern, während sie ihre Totengebete sangen. Durch die dichten Gitter war von dem Inneren nicht allzu viel zu sehen und wenn man nicht in den Raum starrte, wie Leya es tat, konnte man die Leiche nicht sehen. Im Zweifelsfall hatten die Schwestern sowieso eine Bestattungsgenehmigung. Da war sich Leya sicher. 

In ihren Marshmallowanzug gekuschelt saß sie auf den Steinstufen der Brücke, die auf die Seite des kleinen Kanals führte an dem das Haus der Tacitaschwestern stand. 

Sie musterte ihren linken Unterarm. Der schwarze Punkt war über Nacht groß geworden und hatte eine Adresse offenbart, na ja, oder eher eine Ortsbeschreibung: 

Venedig, Neben Santa Maria della Salute, Efeuhaus

Inzwischen war ihre Hand und der Großteil ihres Arms schwarz. Sie konnte es allerdings dank ihrer Handschuhe ganz gut verbergen. Im Moment hatte sie ihren Ärmel zurückgeschoben und starrte die Worte an, weil sie alleine war. Dank Google Maps wusste sie, mit welchem Vaporetto sie welche Haltestelle anfahren musste um zu der Kirche zu kommen. Der Rest würde sich ergeben. 

Sie hatte bereits überlegt,  zur Haltestelle Salute zu fahren, aber sich aus bekannten Gründen dagegen entschieden. 

Es war bereits später Nachmittag und sie war sich nicht sicher, wann das Fest starten würde. Was sollte sie anziehen? 

„Was hast du da?" Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als eine allzu bekannte Stimme hinter ihr erschien. 

Sie ließ die Jacke blitzschnell über ihren Arm rutschen und meinte ohne sich zu Leander umzudrehen: „Was interessiert es dich?"

Das Abbild seines Bruders trat in ihr Blickfeld und packte ohne weitere Fragen ihren Arm. 

Bevor Leya sich wehren konnte, streifte er den Ärmel nach unten und las die Ortsbeschreibung. 

„Ist das dein Ernst?"Der Dunkelhaarige starrte sie geschockt und beinahe wütend an. „Nach was hat er dich gefragt?"

Leya schwieg. Sie wollte nicht mit Leander reden, während sein Bruder ein paar Meter weiter einbalsamiert wurde. 

Seine Finger lagen schmerzhaft fest um ihren Armknöchel, aber Leya war es egal. Sie hatte keine Lust sich zu wehren. 

Er wedelte mit ihrer eigenen Hand vor ihrem Gesicht herum und meinte: „Verstehst du, was dieses Tattoo bedeutet? Verstehst du es? Du bist eine Mänade. Sobald du dieses Tattoo hast bist du eine Mänade und damit an Dionysos gebunden. Das hier ist ein Schwur. Du wirst niemals von ihm loskommen. Leya! Ist dir das klar?"

Götterstimme - Lieder der UnterweltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt