19.

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Der Zug rauschte durch die Landschaft und je weiter ich mich von Berlin entfernte, desto ruhiger wurde ich. Eine unheimliche Kältebreitete sich in meinem Herzen aus. Die Bilder von Emilia und Eric gingen mir durch den Kopf und mir wurde schlecht. Wie hatten sie nur? Langsam und aus Gewohnheit drehte ich den Verlobungsring an meinem linken Ringfinger. Die Tränen konnte ich nicht verhindern, den Ring abzunehmen erschien mir allerdings falsch, nach so vielen Jahren, in denen ich ihn praktisch immer getragen hatte.

Vorsichtig lehnte ich meinen Kopf an die Scheibe und schloss die Augen. Das stetige Vibrieren beruhigte mich zusätzlich und obwohl ich am liebsten aufgeschrien hätte, presste ich nur meine Lippen zusammen. Irgendwann döste ich ein und wurde kurz wach als wir Hannover passierten. Der nächste Stopp würde Hamburg sein.

*

In Hamburg nieselte es als ich am frühen Abend aus dem Hauptbahnhof trat. Wegen meines letzten Besuchs konnte ich mich an die Strecke erinnern, die ich laufen musste. Leon wohnte noch immer in der WG in der Nähe der Alster. Ich hatte ihm nichts von meinem Besuch gesagt, wie auch, die Entscheidung war viel zu spontan gewesen. Wie töricht war ich gewesen. In all den Wochen, in denen ich Leon verletzt hatte, damit meine Verlobung bestehen blieb, hatte mein Verlobter seinerseits mit meiner besten Freundin die Verlobung zerstört. Ich hätte von Anfang an auf mein Herz hören und Leon sagen sollen, was ich für ihn empfand. Ich hoffte sehr, dass er es nun nicht falsch verstand.

Ich bog um die Ecke und zögerte kurz, wusste nicht mehr, ob ich richtig war, doch dann erkannte ich den Eingang von Leons Wohnung und alles war gut. Niemand reagierte auf mein Klingeln und so lehnte ich mich in den benachbarten Hauseingang und wartete. Schließlich vernahm ich Leons Stimme und wollte schon meinen Platz verlassen, als ich das Lachen seiner Begleitung vernahm. Ich kannte es, gut sogar. Ungläubig wagte ich einen Blick. Er kam aus der anderen Richtung und sah mich nicht, ebenso wenig wie Ronja. Die Beiden hielten Händchen und lachten nun beide. Ich drängte mich zurück in den Hauseingang und betete, dass die beiden mich nicht bemerken würden. Schließlich blieben sie stehen und ich hörte, wie Ronja ihm für den netten Abend dankte. Als dann Stille aufkam war ich verunsichert und guckte erneut. Natürlich. Die Beiden knutschten rum wie sonst was und ich spürte einen Stich in der Magengrube. Mir fiel ein, wie Ronja schon während unserer gemeinsamen Bundeswehrzeit immer mit Leon gescherzt hatte und wie sie sich um ihn gesorgt hatte. Ich seufzte. Beide hatten sich verdient.

Ich machte mich so klein wie möglich und blieb still, bis die Beiden im Haus verschwunden waren. Erst jetzt traute ich mich zu gehen. Leon und Ronja hatten es verdient glücklich zu sein und ich wusste, dass sie es sein könnten, jedoch nicht, wenn ich jetzt dazwischenfunken würde.

Resigniert checkte ich in das nächstbeste, günstige Hotel ein und sagte mir, dass ich auch so ein paar schöne Tage in Hamburg verbringen konnte.

Das Zimmer war klein aber aufgeräumt. Während ich mich umzog, merkte ich wie erschöpft ich war. Ich löste meinen Zopf und nahm meine Kette ab. Zögernd betrachtete ich den Ring und legte ihn schließlich neben den anderen Schmuck.

*

Wieder einmal war ich in einem Zug, wieder einmal war ich allein. In den letzten Tagen hatte ich kaum mit Menschen geredet, war ganz für mich alleine durch Hamburg gestreift. Einmal hatte ich ernsthaft erwogen Ronja anzurufen, aber ich wollte ihr nicht alles erklären wollen und hatte es dann gelassen. Ich nahm mir vor sie in den nächsten Wochen zu kontaktieren und unauffällig über Leon auszufragen.

Mir war endgültig bewusst geworden, dass die Bundeswehr ein aufregendes Kapitel in meinem Leben war, ich aber nicht mein Leben als Soldatin verbringen wollte. Vielleicht war die Polizei eher etwas für mich. Die Zeit würde es zeigen.

Wir waren knapp 100 Kilometer von Berlin entfernt und der Ring lag schwer in meiner Jackentasche. Hatte ich ihn einmal abgelegt, brachte ich es nicht übers Herz, ihn erneut anzulegen. Wie es schien würde ich eine ganze Weile einen Ring nicht mehr so schnell anziehen.

Ich lehnte mich zurück und versuchte nicht daran zu denken, wie es nun weitergehen würde.

Alles würde sich irgendwie finden.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, seit ich mich entschieden hatte, zur Bundeswehr zu gehen. Ich hatte Eric verloren. Ich hatte alte Freunde verloren und neue dazugewonnen. So viel hatte sich seitdem verändert.

Ich hatte mich verändert.

Ich fühlte mich mit einem Mal schrecklich erwachsen und reif. Doch dann schmunzelte ich, weil nur junge Leute so etwas über sich dachten.

Und ich hatte wahrlich mein ganzes Leben vor mir.

7 Monate in der Hölle?Where stories live. Discover now