Der Wald

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„Klingt das nicht nach einem Abenteuer?", kam es vom anderen Ende der Leitung.

„Onkel, da gibt es sicher eine gute Erklärung", begann sie gelassen. Alleine die Vorstellung, was ihr Onkel ihr sagen wollte und versuchte, klang verrückt. „Alles kann man heutzutage logisch erklären."

„Wenn ich es dir doch sage, Kleines. Hier im Wald geht etwas vor sich. Etwas, was sich nicht erklären lässt", sprach er unbeirrbar weiter. „Und du warst immer drauf und dran alles zu erkunden."

„Da war ich noch ein Kind." Sofort dachte sie lächelnd an die an die vielen Abenden, in denen sie vollkommen verdreckt in der Haustüre stand. Ihre Tante war nie sonderlich glücklich darüber gewesen, hatte dennoch immer ein warmes Lächeln auf den Lippen. „Deine Geschichten von Waldfeen und Elfen waren wirklich sehr schön, aber heute ist das nichts mehr für mich."

„Das ist sehr schade", kam es traurig durch den Hörer. „Du hast sie immer gemocht."

Kaum hörbar seufzte sie, denn er hatte recht. Kurz besah sie ihr großes Bücherregal, das vollgestopft war mit Fantasie-Büchern und allerhand Fanartikel. Heute sowie damals liebte sie solche Geschichten. Aber das es real sein sollte war vollkommener Unsinn. Vielleicht brauchte ihr Onkel auch nur wieder Gesellschaft, damit er wieder reden konnte. „Wenn ich dich wieder besuchen kommen soll, brauchst du es nur zu sagen."

Ein tiefes Lachen war zu hören. „Das wäre schön", drang es ihr nun sanft ans Ohr. „Ich wasche auch extra deine Lieblingsdecke."

Kichernd legte die junge Frau den Kopf schief. Wie konnte sie da nein sagen? Alleine der Gedanke, wieder darin eingewickelt einzuschlafen, wie sie es als Kind tat, weckte starkes Heimweh.„Einverstanden. Ich komme dich morgen besuchen. Mein Chef hat die Halle gerade sowieso für eine Woche geschlossen."

Nachdenklich fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über die vielen Bücherrücken, die fein säuberlich einsortiert und abgestaubt waren. Was ihr Onkel erzählte, klang mehr als seltsam. Sollte das nur ein Versuch gewesen sein, dass sie ihn so schnell wieder besuchte? Oder war mehr daran? Dieser Gedanke beunruhigte sie. Als Kind hörte sie gerne Geschichten von allerlei Fantasie-Gestalten, begann sogar schließlich ihr allererstes Buch zu lesen. Vorsichtig nahm sie eine Figur aus dem Regal neben den Büchern. Eine kleine Statue, die sie teuer hatte bezahlen müssen. Der Schriftzug zu Füßen der Figur besagte Thorin Eichenschild, der inzwischen, dank der Filme, ein Gesicht besaß. Lächelnd stellte sie Thorin wieder ins Regal, zu seiner Zwergenkompanie und dem Hobbit. Doch jetzt war sie mittlerweile Mitte zwanzig und glaubte schon lang nicht mehr an Fabelwesen. Oder andere übernatürliche Dinge. Also warum erzählte ihr Onkel davon? Wollte er wirklich nur wieder Gesellschaft? Nein, etwas musste anders sein. Und wenn sie es zugab, reizte dieses kleine Abenteuer. Ganz egal was es nun war.

Kurz blickte sie auf ihre Handyuhr. Wenn sie richtig vorbereitet sein wollte, sollte sie jetzt anfangen einzupacken. Sein Häuschen hatte zwar alles was man so brauchte als Einsiedler, aber auf ein paar Dinge wollte sie nicht verzichten. Weshalb sie sich aufraffte, zum Schrank ging und einen alten großen Rucksack herauszog. Mit einem Lächeln betrachtete sie ihren alten Freund, dem man die vielen Jahre bereits ansah. Das braune Leder war schon an einigen Stellen etwas brüchig, aber dennoch stabil. Es war ausgezeichnete Handarbeit und sie konnte sich noch gut daran erinnern als sie die Tasche kaufte. Es war auf einem Mittelaltermarkt, an einem belebten Stand, der nur handgemachtes verkaufte. Sie war richtig stolz eine bekommen zu haben. Sogar ihr bester Freund war etwas neidisch, da viel hinein passte und dennoch handlich war. Ganz davon abgesehen, dass es zum mittelalterlichen Stil passte, in dem sie sich auf solchen Veranstaltungen kleideten.

Als die junge Frau in die Tasche sah, bemerkte sie gleich eine Taschenlampe. Stirn runzelnd testete sie gleich, ob sie noch immer funktionierte. Kurz schüttelte sie sie, drückte auf den An-Knopf und staunte, dass sie noch ging. Das Ding war schon so oft benutzt worden, es grenzte an ein Wunder, dass sie noch ging. Eine batterielose Taschenlampe war unschlagbar. Ein Geschenk von ihrem Onkel, der öfter mit ihr auch des Nachts in den Wald ging. Auch er setzte auf eine solche Taschenlampe. Man lief nie Gefahr, dass die Batterie plötzlich den Geist aufgab – und das war mitten im Wald schon sehr praktisch.

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