Trash

One of a kind ~3~ 🌱

Gehe nicht vor mir,
Denn ich könnte nicht folgen,
Gehe nicht hinter mir,
Denn ich könnte nicht führen,
Gehe neben mir,
Damit wir eins sind.
-Volksweisheit

"Okay.", sie lächelt ihn an ,"Wenn du es schaffst heute vierundzwanzig Stunden nicht mit mir zu reden, werde ich dich für immer lieben." Und sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
"Gut, die Herausforderung nehme ich an!", lachend knufft er sie in die Seite. Die junge Frau lächelt.

Es ist besser so, rede ich mir ein, als ich Noah in der kleinen zwei Zimmer Wohnung stehen lasse. Den Brief in meiner Hosentasche knülle ich nochmal fest zusammen. Ich merke wie mir Tränen in die Augen steigen. Aber ist dieses Leben überhaupt noch lebenswert?
Das Klicken im Türschloss zu der Garage, in der unsere Fahrräder stehen, scheinen meine Ohren kaum wahrzunehmen. Wieso habe ich mich nicht vernünftig verabschiedet?
Leeres Rauschen der Garagenbelüftung und ein Hauch von Nadelholz hängen in der Luft. Vorsichtig befreie ich mein Fahrrad, das bis jetzt mit einem Fahrradschloss an den Fahrradständer gebunden war. Wieviel Arbeit und Zeit Noah und ich doch verschwendet haben, um den garstigen Vermieter zu überreden einen Fahrradständer anzuschaffen. Das Rad in die laue Sommerluft herausschiebend muss ich doch gegen meinen Willen lachen. Wie absurd es doch ist, absurd und traurig zugleich.
Ich hatte nicht gewusst, wie schnell ich diesen Fahrradständer doch nicht mehr brauchen würde.

Also konzentriere ich mich lieber darauf, mit meinem Fahrrad im Straßenverkehr zurecht zu kommen um keinen Unfall und damit noch mehr Leute in Gefahr zu bringen, verletzt zu werden.

Fünf Briefe, ich habe fünf Briefe geschrieben. Einer war für meinen Halbbruder, der bei meiner Mutter lebt, einer für meine Mutter, einer für meinen Vater, einer für die Bibliothekarin, die ich so oft an meinen freien Tagen besuchen war und schlussendlich einen für Noah.
Als ich fertig bin zu durchdenken, ob ich wirklich das richtige geschrieben habe entschließe ich mich, nicht länger durch die Wogen des Verkehrs zu treiben und endlich dahin zu fahren, wo ich vor einer Stunde hätte sein sollen. Gedankenverloren stelle ich mein Fahrrad ab, schließe es fest und gehe meinen Weg. Ein sanfter Händedruck und eine ruhige Stimme begrüßen mich. "Guten Abend Frau Miesen." Meine Antwort ist ein stummes Lächeln und ein Nicken auf einen fragenden Blick hin.

Abend, letzte leicht orange gefärbte Sonnenstrahlen fallen in die Wohnung, als Noah diese betritt. "Alice?", ruft er laut. Keine Antwort, nur ein kleiner brauner Terrier kommt bellend auf ihn zugeschossen. Noch ein wenig erschöpft von seinem Spaziergang mit Dana, die ihn umbedingt hatte ausführen wollen. Gedankenverloren fährt Noah dem Kleinen durch das Fell und begibt sich in die Küche. "Alice?", fragt er erneut in die Stille hinein, als er kurz darauf einen Brief bemerkt. Ein kleiner weißer Umschlag, sorgfältig auf dem kleinen Eichentisch platziert.
Er hebt ihn auf, entdeckt ihre geschwungene Handschrift in dem "Für Noah" und öffnet ihn.

Du hast es einen Tag lang ohne
mich ausgehalten, jetzt musst du
es jeden Tag versuchen.
In Liebe Alice.
Anbei liegt eine Krebsdiagnose.