Warten auf den Tod

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Ich sitze auf einer kalten Pritsche aus Stahl und starre an die Wand.

Sie ist weiß und kahl. Man könnte sagen makellos, doch ich denke eher, dass sie dem Risiko aus dem Weg gegangen ist.

Die Wand ist kahl. Auf ihr war noch nie Farbe und wird auch nie welche zu sehen sein. Sie geht das Risiko nicht ein, etwas lebendig zu sein.

Wie auch? Es ist ja immer noch eine Wand. Aber manchmal vergesse ich das, wenn ich Stunden, Tage und Wochen hier sitze und immer an die selbe langweilige, kahle, weiße Wand starre.

Ich sitze hier schon so lange, dass ich in allem etwas lebendiges sehe. Die Wand hat etwas lebendiges. Der Boden. Die kalte Pritsche mit dem weißen Bettbezug, dem weißen Laken, welches es fast wehtut sie anzuschauen.

Ich bin nicht verrückt.

Nein.

Aber man verändert sich.

Schon am ersten Tag als ich hier an beiden Armen grob von Polizisten hereingeschleift wurde, Verdacht, dass ich jemanden verletzen könnte, wusste ich, dass ich es hier nicht lange aushalten würde.

Nein, das hatte ich auch nicht. Konnte ich nicht. Aber ich musste.

Ich saß hier. Stunde für Stunde. Tag für Tag. Woche für Woche. Und alles ging so unendlich langsam vorbei.

Das Ticken der grauen Uhr an der Wand war zu dem Rythmus meines Alltags geworden. Eintönig, langweilig, nervend und zugleich wahnsinnig. Es machte mich verrückt. So wie alles hier.

Ich war siebzehn gewesen. Jung. Zu jung.

Ich bereute es mehr als alles andere auf der Welt, was ich getan hatte. Ich kann es gar nicht beschreiben. Einen Menschen getötet zu haben ist schrecklich. Nein. Es ist das Schrecklichste. Denn diese Person, deren Leben du genommen hast, lässt dich nicht mehr los. Sie verfolgt dich. In deinen Gedanken, in deinen Träumen, in deinem Alltag.

Ich sehe alles noch ganz genau. Weiß jedes kleine Detail, wie es passiert ist. Wenn ich daran denke ist es, als würde ich alles erneut erleben und jedes Mal den selben Fehler machen. Ich kann nichts daran ändern.

Ich war damals in einer Gang. Wir waren genau fünf. Trugen schwarze Bandanas als Erkennungszeichen um den Kopf geschlungen. Meine Familie hatte kein Geld. Deshalb schloss ich mich dieser Gang wahrscheinlich an. Wir klauten. Raffiniert. Jedes Mal kamen wir davon. Doch eines Tages geschah es. Ich war nur mit zwei achtzehnjährigen unterwegs. Fred und Matthew. Sie wollten einen kleinen Laden ausrauben, was sie mir allerdings zu spät erzählten. Ich hätte ihnen wahrscheinlich nicht geholfen, wenn ich es früher gewusst hätte. Auf der Straße alten, reichen Damen ihre Handtasche zu klauen oder mal in ein Haus von reichen Leuten einzusteigen war meiner Meinung nach okay gewesen, aber einen Laden auszurauben, das war eine Nummer zu groß. Dachte ich.

Matthew zog etwas aus seinem schwarzen Rucksack. Es war eine schwarz, glänzende Pistole. Eine wie sie die Polizisten immer am Gürtel trugen. Eine schlichte, einfache und doch hatte sie so viel Macht. Er drückte sie mir in die Hand. "Nimm sie.", sagt er und blickte mit seinen stechend grünen Augen direkt in meine. "Nur zur Abschreckung." Zitternd nahm ich sie entgegen. Matthew zog wieder rasch den Reisverschluss seines Rucksacks zu und schwang ihn sich zurück auf den breiten Rücken. Er ging zügig und selbstbewusst auf den Eingang des Shops zu. Kurz bevor er die Ladentür öffnete, schaute er noch einmal zurück über die Schulter zu mir. Sein kurzes schwarzes Haar, glänzte matt im fahlen Licht. "Wenn du drinnen bist,", sagte er leise. "warte an der Tür." Ich nickte. Ich wollte das nicht tun, doch ich konnte sie nicht im Stich lassen. Sie waren sonst nur zu zweit und sie brauchten das Geld genauso sehr wie ich. Wir würden das Geld holen und sofort verschwinden.' hatte ich damals gedacht. Doch es geschah ganz anders.

Sie machten alles wie geplant, doch dann eskalierte die Situation. Zumindest in meinen Augen. Der Kassierer griff unter den Tisch und ich sah etwas schwarzes Aufblitzen. Ich dachte, er hätte eine Waffe und ich war so erschrocken, so erstarrt, dass ich meine hob und den Mann erschoss. Er war auf der Stelle tot.

Ich konnte nicht reagieren. War entsetzt darüber, was ich getan hatte. Er hatte keine Waffe gehabt. Nein. Und ich hatte geschossen.

Manchmal sah ich ihn. Sah ihn vor dem Fenster stehen. Er schaute mich an und sobald ich ihn sah kamen mir entweder die Tränen oder ich rastete aus. 

Ich hatte mir alles selbst zu zutragen. Doch trotzdem fragte ich mich, wie sie mir das antun konnten. Wie konnten sie mir das antun? Ich bestrafte mich schon selbst genug.

Sie sagen es ist falsch zu töten? - Ja, das ist es gewiss. Doch wenn jemand einen tötet und die Strafe dafür dessen eigener Tod ist, verstehe ich das nicht. Sie töten fürs töten. Damit tun' sie den gleichen Fehler.

Ich habe immer gehofft dass sich das Urteil ändern würde. Doch das taten sie nicht.

Meine Zeit wurde kürzer.

Erschreckend kürzer.

Und doch hoffte ich, dass wenn sie es nicht ändern würden, meine Zeit nicht so ausdehnen würden.

Man kann sich nicht vorstellen wie es ist auf seinen eigenen Tod zu warten. Ich habe auf meinen Tod gewartet. Lange. Zu lange. Dabei denke ich, dass es nicht einmal ein Warten ist. Ich war bereits tot. Mit jedem weiteren Tag starb ich ein bisschen mehr und konnte nichts dagegen tun.



Warten auf den TodWhere stories live. Discover now