„Wir betreten nun das Allerheiligste", intonierte Colin und zeigte uns gewaltige Kleiderschränke, die zwei Seiten des ungefähr fünfundzwanzig Quadratmeter großen Raumes einnahmen. 

Ich drehte mich einmal um mich selbst, um mit möglicherweise leicht offen stehendem Mund mehrere Standspiegel, Ankleidepuppen, die bunt funkelnde Roben trugen, und haufenweise Accessoires zu erfassen. 

„Hinten geht es noch weiter, da müssten die älteren Kostüme sein. Zu der Zeit hatte meine Mutter annähernd die gleiche Größe wie du, denke ich. Ihr kriegt das alleine hin, oder?" 

Als wir zustimmend nickten, fuhr Colin seufzend fort: „Dann hole ich Jonas jetzt mal aus dem Schrank." 

Während der erste Raum wie ein überfülltes Ankleidezimmer gewirkt hatte, präsentierte sich der zweite als ein regelrechtes Lager für sämtliche Schuhe, Masken und andere Requisiten, die Connie jemals getragen hatte. Aus Kisten in deckenhohen Regalen quollen Federboas, afrikanische Masken und ein grün geschuppter Pappmaché-Schwanz. Vielleicht hatte Jasmin mit Tabaluga gar nicht so falsch gelegen. 

„Also, wie gehen wir vor? Hast du dir irgendein Motto oder so was vorgestellt?" 

„Ne, ich wollte mich überraschen lassen. Möchtest du denn irgendwelche Vorgaben machen?", fragte Jasmin zurück und schritt die Regale eins nach dem anderen ab. 

„Bitte keine zu hohen Schuhe. Und wenn es was mit Ärmeln wird, dürfen die nicht zu eng sein, sonst sehen meine Arme so speckig aus", stellte ich meine Bedingungen. 

„Am besten sehen wir uns erstmal drüben die Kleider an", meinte Jasmin und ließ auf dem Weg ins erste Zimmer eine orangefarbene Boa mitgehen, die sie auf ihrem Kopf zu einem Turban wickelte. Von hinten sah sie wie eine Mandarine aus. Wir öffneten alle Schranktüren und ich musste mich vor einem Löwenkopf in Acht nehmen, der aus einem der oberen Fächer heraus purzelte. 

„Das ist eine Hyäne", stellte Jasmin mit Kennerblick fest und setzte mir die Maske auf. 

Sie bedeckte komischerweise meinen Oberkopf und nicht das Gesicht. Vielleicht hätte ich mich doch mal von Elysa in ein Musical ziehen lassen sollen. Um wenigstens ein bisschen Ahnung vorweisen zu können. Immerhin war ich in der Musical-Stadt schlechthin zuhause. Unsere, oder vor allem Jasmins anfängliche Begeisterung wurde gedämpft, als uns klar wurde, dass die meisten der Kostüme kein bisschen in Frage kamen. Es sei denn, ich hätte vorgehabt, mich dem Publikum wahlweise in einem roten Paillettenkleid mit fantastischem Ausblick auf meinen Bauchnabel oder einem Frack zu präsentieren, der an einen Eselspinguin erinnerte. Alles andere war mindestens Größe 40. 

„So wird das nichts", seufzte Jasmin nach einer knappen Stunde Stöbern und Anprobieren. 

„Hier muss es doch etwas geben", sagte ich mit Nachdruck, durch den letzten Rest Hoffnung angetrieben und ging noch einmal den Inhalt beider Schränke durch. Da fiel mir ein, was Colin gesagt hatte, bevor er uns für Jonas sitzen gelassen hatte. 

„Meinte Colin nicht, dass in dem anderen Raum noch mehr Kleider sind, von früher?" 

„Ich habe da gar keinen Schrank gesehen", erwiderte Jasmin, folgte mir dann aber in Raum zwei. 

Nach einem kurzen Blick hielt ich auf eine lang gestreckte Holzkommode an der hinteren Wand zu. Als ich die oberste Schublade geöffnet und zwischen mehreren Lagen lilafarbenen Seidenpapiers ein Kleidungsstück hervor geholt hatte, blieb mir wirklich der Mund offen stehen. 

„Das sieht aber nicht nach Tabaluga aus", kommentierte ich das weinrote Mieder geistreich. 

„Irgendwas sagt mir, dass Colins Mutter zu Beginn ihrer Karriere nicht in Musicals aufgetreten ist", murmelte Jasmin grinsend und zog aus der Schublade daneben Strapse, einen Haarreif mit Häschenohren und weitere Oberteile zum Schnüren. 

Wenn Regen fälltDove le storie prendono vita. Scoprilo ora