Kapitel 4 von #30DaysofWriting

71 6 2
                                    


Anns POV

Am nächsten Morgen wache ich vom nervtötenden Klingelton meines Handys auf und nehme verschlafen ab. "Ann! wieso hast du nicht sofort angerufen!", höre ich die panische Stimme meiner Mutter, die anscheinend im Auto sitzt. Zumindest dem Hupgeräusch und der schlechten Verbindung durch die Freisprechanlage nach zu urteilen. "Mum? Warum rufst du um sechs Uhr morgens an?", flüstere ich entgeistert, um nichts auch noch Angie aus dem Schlaf zu reissen. "Das fragst du? Meine Tochter wird heute operiert, und ich muss es durch ihre Mitbewohnerin erfahren?" Elisa. Ich wusste, dass sie nicht ihre Klappe halten kann. "Alles gut, kein Grund zur Sorge. Die Ärzte sagen es ist die einfachste Operation überhaupt. Abgesehen davon, wieso zur Hölle ruft Elisa dich so frühmorgens an?", ich kann mir schlicht und ergreifend nicht vorstellen, dass sie so früh aufgestanden ist. Normalerweise steht sie frühestens um neun auf, auch wenn ich sie dafür aus dem Bett prügeln muss, damit sie nicht die komplette Vorlesung verpasst. "Ann, du weißt, dass du nicht fluchen sollst! Ich wusste doch, allein wohnen tut dir nicht gut, und jetzt das! Wenn du nicht immer Fertiggerichte essen würdest, müsste dein Bauch jetzt nicht aufgeschnitten werden. Außerdem hat Elisa, die anscheinend verantwortungsvoller ist als du, mir gestern Abend auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber da war ich schon im Bett. Als ich gerade den AB abgehört habe, bin ich sofort ins Auto gesprungen", erklärt sie mir hysterisch, wie immer. Gut, dass sie immer so früh schlafen geht, ansonsten wäre sie noch mitten in der Nacht hier aufgekreuzt. Im Ernst, ihr würde ich dass durchaus zutrauen. "Das hättest du nicht tun brauchen. Du kannst sowieso nicht verhindern, was während der OP passiert, und jetzt machst du dich total kirre, für nichts! Die Sorgen wollte ich dir ersparen", versuche ich kläglich, sie zu besänftigen. "Du bist meine Tochter, ich habe ja wohl das Recht zu erfahren, wenn du operiert wirst", plustert meine Mutter sich auf und ich kann ihren entsetzten Gesichtsausdruck förmlich vor meinen Augen sehen. "Ja, ich bin deine Tochter, aber ich bin auch volljährig. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen", verteidige ich mein Handeln und lege genervt auf. 

Wahrscheinlich flippt sie jetzt total aus, aber das ist mir jetzt einfach mal egal. Um ehrlich zu sein, ich hab nichtmal dran gedacht, ihr bescheid zu sagen, aber ich finde, die Ausrede war ganz gut. 

Vorsorglich schalte ich mein Handy auf stumm und versuche so gut wie möglich, wieder einzuschlafen. Doch inzwischen bin ich sowieso schon wach, weshalb ich die Augen nicht länger als eine Minute zubekomme. Seufzend stehe ich auf und verfluche meine Mutter, die meinen Schlaf so abrupt beendet hat. Und mein Handy auch, immerhin hat es mich zutiefst verraten, hätte es nicht einfach nicht klingeln können? Dabei habe ich ihm doch gar nichts getan...

Plötzlich spüre ich, wie mal wieder Magensäure in meinem Rachen aufsteigt, und ich greife reflexartig zu der Spuckschüssel neben mir, bevor ich mich darüber ergebe. Also langsam muss das doch mal ein Ende haben, in meinem Magen ist nun wirklich null komm nichts, was sich noch entleeren könnte.

Ich schlurfe zu dem winzigen Badezimmer und falle fast aus den Latschen, als ich mein Gesicht im Spiegel sehe. Selbst in der Pubertät hatte ich nie solche Augenringe. Ich beschließe, dass es gesünder für mein Selbstbewusstsein ist, wenn ich meinen Blick abwende, deswegen trete ich hinaus auf den Flur. und schließe leise die Tür hinter mir. 

Zu meinem Erstaunen ist der Gang alles andere als verlassen und dunkel, sondern voll mit umherwuselnden Menschen und hell erleuchtet von diesen nervigen Lampen, die einen erblinden lassen, sobald man den Blick höher als auf Augenhöhe schweifen lässt. 

Ich tapse die wenigen Meter zum Aufenthaltsraum und lasse mich dort in ein Sofa sinken. Außer mir ist nur eine alte Oma, die bestimmt noch aus der Steinzeit ist im Raum und ich stelle freudig fest, dass ich im Gegensatz zu ihr nichtmal aussehe wie eine Leiche. 

Da ich nicht weiß, was ich hier machen soll, schalte ich den Fernseher an, wo gerade irgendwelche Ehekrisen dokumentiert werden. Wieso läuft in dieser Anstalt nur Asi-Tv? Seufzend suche ich nach einem vertretbaren Programm, bis ich auf einen Musikkanal stoße. Musik kann ich zwar auch auf einem Handy hören, aber das war besser als nichts. Leise summe ich zu den Liedern, die ich kenne und wippe mein Knie auf und ab.

 Auf dem Tischlein vor mir liegt ein Kreuzworträtsel, deswegen suche ich nach einem Kugelschreiber.  Als ich endlich erfolgreich war, und einen Sparkassen-Werbekuli unter dem Sofakissen gefunden habe, mache ich mich daran, die Lücken auszufüllen. Stadt in Nordfrankreich mit  sechs Buchstaben. Wer immer diese Dinger macht, hat auf jeden Fall gewaltig einen an der Klatsche. Als ob ich alle Städte in Nordfrankreich auswendig kenne. Egal, nächste Frage. Erster amerikanischer Präsident, na, wenigstens dass weiß ich. Triumphierend fülle ich die Kästchen mit Großbuchstaben aus. Allerdings muss ich nach fünf Minuten feststellen, dass ich einfach unfähig bin, also lege ich das Rätsel wieder zurück an seinen Platz. Inzwischen läuft im Fernsehen Baby von Justin Bieber, und weil ich dieses Lied schier nicht ausstehen kann, gehe ich wieder zurück in mein Zimmer und schmeiße mich dort frustriert in mein Bett.


Um zwei Uhr kommen zwei Assistenzärzte, um mich auf die Operation vorzubereiten. Meine Mutter verabschiedet sich unter Tränen von mir und drückt mich so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme. Sie tut ja gerade so, als würde ich nicht zu einer Operation, sondern zum Schafott geführt werden. "Mama, ist gut, wenn du meine Lunge noch länger so zudrückst, sterbe ich schon vor der OP", röchle ich und klopfe ihr auf den Rücken. "Ann! So etwas sagt man doch nicht!", ruft sie entrüstet, lässt dann aber widerwillig von mir ab. Manchmal könnte man glatt denken ich wäre noch ein Grundschulkind und keine einundzwanzig. Noch immer steht ihr die Empörung über meinen Kommentar noch immer ins Gesicht geschrieben, doch Elisa verkneift sich hinter ihrem  Rücken nur schwer ein Grinsen. Auch sie umarmt mich kurz (allerdings weitaus sanfter als meine Mutter) und grinst mich dann an. "Du schaffst das schon Teletabsi", zwinkert sie mir zu und ich strecke ihr die Zunge raus. So hat sie mich früher immer genannt, weil ich das Wort Teletubbies nicht aussprechen konnte.  

Die Ärzte schieben das Bett, auf dem ich liege durch eine Glastür, und ich sehe Elisa und Mum davonstehlen und winken. Ich will gerade Miene Hand heben, um zurückzuwinken, als ich die Nadel des Infusionszugangs in meinen arm piksen spüre, weshalb ich nur mit den Fingern wackeln kann. Wenig später liege ich auf dem OP-Tisch und muss bis zehn zählen, während ich eine Atemmaske aufgesetzt bekomme und wegdrifte. 



app(end)ectomy #JustWriteItWo Geschichten leben. Entdecke jetzt