⌜Fynns Notizbuch⌝

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The first time I saw you, 

my heart fell.

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A L I C I A 


Nate,

Ja, ich spreche dich zuerst an, weil ich ganz genau weiß, dass du es sein wirst, der dies finden wird. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass jemand wie Alicia stundenlang bei dir bleiben würde, bis ihr zusammen überhaupt kapiert, was ich von euch will (Nichts für ungut, Alicia, ich habe das nur geschrieben, weil ich weiß, dass du mir dafür keine mehr verpassen kannst, denn ich gehe stark davon aus, dass du wohl kaum einem toten Jungen verurteilen würdest. Mom würde es zumindest nicht gefallen, ich glaube das fällt schon unter Leichenschändung –aber okay, ich komme vom Thema ab, sorry).

Nate, es tut mir Leid, dass es so gekommen ist.

Dass du jetzt den Küchendienst jedes Wochenende statt jedes zweite übernehmen musst, dass ich ein Chaos an Altpapier, ungewaschener Wäsche und Blöcken hinterlasse – und dass ich genauso wie Dad verschwinde. 

Es war nicht meine Absicht, wirklich nicht, aber es ist zu komplex, als dass ich es jetzt erklären könnte. Zumindest kann ich es jetzt noch nicht. Nate, bitte sag Mom, dass es nicht ihre Schuld ist. Und dass ich sie liebe.

Ich will nicht, dass sie daran zerbricht, nur weil ich das letzte Rätsel gelöst habe.

Alicia,
Ich weiß nicht, ob du mich jemals bewusst wahrgenommen hast.
Es gab einmal einen Augenblick, da dachte ich, du würdest mich sehen. Vorletztes Jahr auf dem Schulflur.
Aber ich musste erkennen, dass es einen Unterschied zwischen jemanden flüchtig mit dem Blick zu streifen und jemanden bemerken gab.
Aber es ist nicht schlimm, Alicia. Es ist
nicht schlimm.
Denn dafür habe ich dich
immer gesehen.

Als ich dich das erste Mal gesehen habe, dachte ich, dass ich niemals jemand perfekteren getroffen habe. Aber je länger ich dich kennen gelernt habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass die wahre Alicia Clarkson nicht die ist, die mit einem strahlenden Lächeln durch die Gänge läuft, viele Freunde hat und auch sonst ein perfektes Leben führt.
Alicia, verstehst du, was ich sagen möchte?
Ich habe
dich gesehen.

Du bist wie eine Gleichung, die auf dem ersten Blick leicht aussieht. Eine, bei der man sich denkt, man würde die Lösung schon kennen, doch dann, wenn man noch einmal vorsichtshalber nachrechnet, stößt man auf Hindernisse, etwas, was man zuerst nicht ohne Hilfsmittel lösen kann. Etwas, was zuerst mathematisch unkorrekt aussieht. So wie negativ Zahlen in Wurzeln. Es ist zum Verzweifeln, denn ich wusste schon immer, dass du keine negative Wurzel bist, Alicia. Keiner von uns ist das.
und vielleicht klingt es total verrückt in deinen Ohren, aber das ganze Leben besteht aus Gleichungen. Von der Musik, die der Straßenmusiker spielt, über das Rauschen des Meeres bis hin zu dem Eichhörnchen, das wir jedes Jahr im Herbst gefüttert haben.
Wir bestehen aus Gleichungen und das Besondere in dieser Welt ist, dass es bei diesen Gleichung nie ‚keine Lösung' gibt.
Es gibt immer eine.
Vielleicht nur auf einen anderen Rechenweg, als man es vorher angenommen hatte.

Mein Leben ist genau so eine Gleichung.
Um zu verstehen, worauf ich hinaus will, müsst ihr beide, du und Nate, euch vorstellen, dass jeder unbewusst mit jedem Tag seine persönliche Gleichung verändern kann. Sie kann schwieriger oder leichter werden.
Unterbewusst löst man sie Stück für Stück, manchmal rückt die Lösung des letzten Rätsels wieder in weite Ferne, wenn man seine Gleichung und somit seinen Rechenweg verändert.

Parallel linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt