Alex

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Fassungslos sehe ich Jo hinterher. Ich wollte sie nicht verletzen. Wirklich nicht. Aber ich kann einfach nicht anders. Ich gebe mir ja Mühe, aber das reicht eben nicht. Ich bin einfach nicht so der nette Typ.

Plötzlich zucke ich vor Schmerzen zusammen. Mein linkes Auge, das Jo mit ihrer Faust getroffen hat, tut echt verdammt weh.
Ich gehe zum Spiegel. Das Auge ist leicht gerötet, aber noch nicht blau.
„Na Hugo, da bist du sprachlos, oder?" Ich grinse ihn an, dann seufze ich. „Ja, ich weiß. Du bist immer sprachlos."
Ich hole mein Handy aus meiner Hosentasche und lege mich auf mein Bett. Von meinen Freunden hat mir natürlich keiner geschrieben. Aber wen wundert's? Ich würde ihnen doch auch nicht schreiben.
Seufzend lege ich das Handy auf das Nachtkästchen und schließe die Augen. Vor ein paar Tagen hätte ich niemals gedacht, dass ich jetzt hier im Krankenhaus liege und eigentlich gar nicht weiß, was ich da soll. Ich habe absolut keine Ahnung, was mit mir los ist. Ich sollte Zuhause sein und ganz normal zur Schule gehen. Wahrscheinlich stellen diese Deppen am Schluss sowieso fest, dass ich nichts habe.
Wieder schaue ich auf mein Handy. Aber ich habe noch immer keine neue Nachricht. Oh Mann, es ist einfach so langweilig hier!
„Fuck!" Wütend hole ich aus und werfe mein Handy gegen die Wand.

„Alex?" Erschrocken sieht mich Charlotte, meine Stiefmutter, an. „Alex, was soll denn das?" Sie geht zur Wand und hebt mein Handy auf, das mehr als nur ein paar kleine Kratzer abbekommen hat.
Mann, was will die denn jetzt? „Ich habe keinen Bock mehr auf dieses bescheuerte Krankenhaus!", schreie ich sie an.
Sie seufzt. „Und deswegen machst du einfach dein Handy kaputt?"
„Mir schreibt doch sowieso keiner", entgegne ich.
Charlotte setzt sich neben mich ans Bett. „Alex, bitte..."
„Und wer hat dir bitte erlaubt, dass du dich hierhersetzt?" Wütend starre ich sie an.
„Tut mir leid", erwidert sie kleinlaut und steht auf. „Ich bin eigentlich nur hier, weil ich dir sagen will, was du hast."
Nun werde ich aber doch ein wenig neugierig. „Und warum kommt Papa nicht, um mir das zu sagen?"
Charlotte blickt zu Boden. „Er will nicht, dass du es erfährst."
„Und warum bist du dann hier?"
„Ich finde, du hast ein Recht, es zu erfahren."
Abwartend sehe ich sie an. „Na gut. Also, was hab ich?"
Sie erklärt mir so ungefähr, was ich habe, aber ich verstehe so gut wie gar nichts. Ich kann nur ein paar Wörter wie Herzmuskel und Verdickung erkennen.
„Und was heißt das jetzt?", frage ich.
„Alex, du musst operiert werden. Sonst stirbst du."
Ich weite die Augen. „Operiert? Ist das dein Ernst? Und wann wollte Papa mir das bitte sagen? Im Op Saal? Oder erst, wenn ich operiert bin?"
Charlotte kommt zu mir und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Alex, beruhige dich. Dein Vater ist einfach überfordert. Und er hat Angst um dich."
Wütend stoße ich ihre Hand von meiner Schulter. „Angst? Dass ich nicht lache! Dem ist doch nur seine verdammte Karriere wichtig!"
„Das ist nicht wahr", widerspricht sie mir. „Das weißt du, Alex. Dein Vater liebt dich über alles. Er will einfach das beste für dich."
„Das beste für mich? Er hat mir nicht gesagt, was ich habe. Und solange ich das nicht weiß, können sie mich ja schlecht operieren. Und so wie ich das sehe, will er jetzt wohl, dass ich sterbe."
Sie schüttelt den Kopf. „Nein, Alex, das will er ganz sicher nicht." Sie senkt den Blick. „Das Problem ist, dass die Operation ziemlich riskant ist."
Ich runzle die Stirn. „Das heißt im Klartext?"
Charlotte sieht mich ernst an. „Bei der Operation stirbt jeder zweite."
Fassungslos reiße ich die Augen auf. „Jeder zweite? Ist das dein Ernst? Das heißt, ich sterbe sowieso?"
Sie schüttelt den Kopf. „Das ist nicht gesagt. Du hast noch eine Chance, Alex."
„Eine Chance? Fünfzig Prozent nennst du eine Chance?"
„Ich weiß, dass es nicht leicht ist, das zu akzeptieren, aber du hast keine andere Wahl." In ihren Augen stehen nun Tränen. Sie legt ihre Hand auf meine.
Diesmal stoße ich sie nicht weg. Für sie ist es bestimmt auch nicht leicht. Doch ich begreife erst jetzt, nach all den Jahren, wie sehr sie mich liebt. Ich sehe in ihren Augen, wie schwer es für sie ist, dass ich keine großen Überlebenschancen habe. „Charlotte...", fange ich an, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.
„Alex, es wird alles gut", meint sie. „Du bist ein starker Junge. Und du setzt doch immer deinen Willen durch, oder nicht?" Sie versucht, zu lächeln, doch es gelingt ihr nicht so richtig.
Auch meine Mundwinkel zucken ein wenig. „Aber das ist doch was ganz anderes. Nur weil ich überleben will, heißt das nicht, dass ich es auch schaffe. Außerdem..."
Charlotte sieht mich abwartend an. „Was?"
Ich blicke zu Boden. „Außerdem..." Außerdem weiß ich gar nicht, ob ich wirklich überleben will, möchte ich sagen, aber ich kann es nicht. Nicht zu Charlotte. Eigentlich zu niemandem. „Außerdem ist das...das alles ist so...so überraschend. Wann soll denn die OP sein?"
„Morgen", antwortet sie.
Erschrocken springe ich auf. „Morgen schon? Aber ich...das geht nicht...ich..."
„Alex, wir können dich nicht dazu zwingen, dass du dich operieren lässt, aber wenn du es nicht machst, stirbst du."
Ich nicke. „Ja, ich weiß."
„Wir stehen hinter dir", meint Charlotte, „egal, wie du dich entscheidest."
„Danke, Charlotte", erwidere ich.
Sie sieht mich so ungläubig an, als hätte ich ihr gerade etwas unmögliches gesagt.
„Was ist?", frage ich.
„Ich glaube, du hast dich gerade zum ersten Mal bei mir bedankt", erklärt sie.
„Oh", mache ich kleinlaut. „Ich...es tut mir leid...ich..."
Sie lacht. „Hey, du musst dich nicht entschuldigen. Weißt du, Alex, ich hatte zu meiner Mutter auch nie ein gutes Verhältnis, obwohl sie meine leibliche Mutter ist. Und es ist auch normal, dass man sich bei seinen Eltern nur ungern bedankt."
So habe ich sie wirklich noch nie reden gehört. „Stimmt. Ich glaube, ich habe mich bei meinem Vater auch noch nie bedankt."
Plötzlich wandert ihr Blick zu ihrer Armbanduhr. „Oh, ich muss los. Tut mir leid, Alex."
„Schon gut", erwidere ich.
„Wir kommen morgen gleich in der Früh. Bis dahin musst du wissen, ob du die Operation willst oder nicht." Sie geht zur Tür.

„Mama?"
Überrascht dreht sie sich um. „Was...wie hast...?" Sie scheint echt sprachlos zu sein.
Bei diesem Anblick muss ich lachen. „Mama."
Sie lächelt und kommt zu mir. „Hast du mich gerade wirklich Mama genannt?"
Ich nicke. „Ja."
Glücklich streicht sie mir über den Kopf. „Warum...?"
„Wenn ich die Operation morgen nicht überlebe, habe ich nie die Chance dazu, dich so zu nennen. Aber das sollte ich tun, denn du bist meine Mutter, auch wenn ich dich heute zum ersten Mal so genannt habe."
Ihre Augen weiten sich erstaunt. „Heißt das, du willst die Operation?"
„Ja, das heißt es wohl."

Du arroganter Arsch! {Club der roten Bänder}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt