Jo

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„Hey Johanna", sagt jemand hinter mir. Ich weiß sofort, wem die Stimme gehört und mir wird kotzübel. Ohne mich umzudrehen, gehe ich weiter. Ich will diesen Typen nicht sehen. Doch ich bezweifle, dass er mich so schnell in Ruhe lassen wird.
„Johanna, bleib mal stehen!", ruft er erneut und läuft mir hinterher. Oh Mann, was will er nur? Der soll sich gefälligst verziehen!

Nun bleibe ich stehen, drehe mich aber nicht um. „Nenn mich nie wieder Johanna! Was willst du überhaupt?"
Nun hat er mich eingeholt und steht neben mir. „Ich wollte dir nur sagen, dass es absolut hässlich ist, so dünn zu sein wie du", erwidert Alex.
„Und du kommst her, um mir das zu sagen?" Der Typ hat ja echt einen Vogel.
„Nein, ganz sicher nicht", entgegnet er, „aber ich habe dich eben gerade gesehen, da habe ich mir gedacht, ich könnte dir das gleich mal sagen." Obwohl seine Worte immer noch nicht besonders nett sind, klingt seine Stimme plötzlich anders als sonst. Er wirkt nicht mehr ganz so erbost wie zuvor.
„Wie charmant", erwidere ich sarkastisch.
„Tja, so bin ich eben", meint er, „charmant."
Ich lache. „Ja, und ich bin dann wohl der arrogante Arsch, oder was?"
„Natürlich", grinst er. „Und ich bin die kleine Besserwisserin."

„Tja, so wird es wohl sein." Forschend sehe ich ihn an. „Warum bist du eigentlich so ein Arsch? Ich meine, wenn du's nicht wärst, wärst du vielleicht sogar ganz nett."
Sein Lachen verstummt und er setzt wieder das überlegene Gesicht auf. „Tja, so bin ich eben. Du kannst ja auch nichts dafür, dass du so nervig bist."
Nervig? Ich? Dabei habe ich gerade gedacht, dass er vielleicht doch ganz nett sein könnte. Aber da habe ich mich wohl geirrt. „Du meinst, so wenig, wie du dafür kannst, dass du so arschig bist?", vermute ich.
„Ich sollte jetzt wohl mal zu Leuten gehen, die eher auf meinem Niveau sind", erklärt er.
„Du bist ja wohl nicht auf meinem Niveau!", widerspreche ich.
Er macht einen Schritt auf mich zu und sieht mich mit dem arschigsten Blick, den es nur gibt, an. „Weißt du was du bist?" Herausfordernd sieht er mich an. „Ein Mädchen, das von ihren Eltern immer verhätschelt wurde. Wahrscheinlich haben sie dir ständig gesagt, wie lieb sie dich haben. Aber ich sag dir was: Kinder von solchen Eltern kommen einfach nicht klar, weil sie nicht eigenständig denken, geschweige denn handeln können."
Da glaube ich zu wissen, was sein Problem ist. „Das ist aber genau das, was du dir immer gewünscht hast. Eine Familie, die dich liebt und dir das auch sagt, denn das hattest du nie. Du hast das Gefühl, als wärst du allen egal."
Fassungslos sieht er mich an. Entweder weil ich sowas von falsch liege oder weil er nicht versteht, wie ich das erraten habe. „Halt doch einfach die Klappe! Davon verstehst du doch sowieso nichts!"
Ich denke, ich hatte recht. Sonst hätte er vermutlich anders reagiert. Wenn man mal so lange im Krankenhaus ist wie ich, dann lernt man, die Leute einzuschätzen. Das ist einfach so. Und ich weiß, dass ich bei ihm gerade einen wunden Punkt getroffen habe. „Wahrscheinlich hast du nur irgendsoein kleines Wehwehchen und der eigentliche Grund, warum du ins Krankenhaus musstest, ist, dass deine Eltern dich loswerden wollen. Vermutlich haben sie dich noch nicht einmal besucht, seit du hier bist."
Hasserfüllt starrt er mich an. „Jetzt sei einfach still!" Er kommt auf mich zu und holt mit seinem Arm zum Schlag aus, doch dann lässt ihn etwas innehalten.
Plötzlich krümmt er sich und geht zu Boden.
Was soll das denn jetzt? Ich würde ja gerne behaupten, er ziehe eine Show ab, aber ich befürchte, dass es ernst ist.
Seine Atmung wird unregelmäßig und sein Gesicht ist ganz blass. Außerdem hat er die Hand an sein Herz gepresst.
Panisch beuge ich mich über ihn. „Alex!" Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich würde ihm wirklich helfen, wenn ich könnte, aber das kann ich nicht. „Alex, was ist mit dir?"
„Ich hatte das schon mal", keucht er. „Auf dem Schulhof. Deshalb bin ich im Krankenhaus. Ich..." Dann kann er nicht mehr weiterreden.
„Beruhige dich", sage ich zu ihm, dann sehe ich mich um. „Ist da irgendwer? Hallo? Wir brauchen Hilfe!"

Da kommt eine Schwester. Als sie Alex sieht, beschleunigt sie ihre Schritte. „Was ist denn passiert?", fragt sie.
„Er ist plötzlich zusammengebrochen", erzähle ich.
Die Schwester holt einen Rollstuhl und ist sofort wieder zurück. Dann hievt sie ihn hinein. Ich würde nicht sagen, dass Alex bewusstlos ist, aber ist auch nicht mehr wirklich bei Bewusstsein.
„Was passiert jetzt mit ihm?", frage ich und laufe neben der Schwester her, die Alex irgendwohin schiebt.
„Wir müssen ihn wieder zu Bewusstsein bekommen", erklärt sie.
„Kann ich etwas für ihn tun?" Vor einer halben Stunde hätte ich nicht gedacht, dass ich mir mal um Alex Sorgen machen würde, doch jetzt tue ich es.
„Wenn du etwas für ihn tun willst, dann bete für ihn."
Beten? Das ist alles? Mehr kann ich nicht für ihn tun? Naja, besonders religiös war ich noch nie, aber vielleicht schadet es ja nicht, damit anzufangen.
Vor einem Raum bleibt die Schwester stehen. „Du kannst hier nicht mit rein. Tut mir leid."
„Schon klar", entgegne ich und mache mich auf den Weg zurück zu meinem Zimmer.

Dort sitzt Emma auf ihrem Bett. Sie scheint sich wieder einigermaßen beruhigt zu haben.
„Geht es dir besser?"
Sie nickt. „Ja. Jonas war da."
Ich versuche zu lächeln. „Na dann ist ja alles klar."
Da sieht sie mich besorgt an. „Aber was ist mit dir? Du siehst irgendwie fertig aus."
Ich seufze. „Naja, kennst du diesen Typen, der seit ein paar Tagen hier im Krankenhaus ist? Dieser Blonde, der immer so arrogant ist."
Emma nickt. „Was ist mit ihm?"
„Er ist gerade vor meinen Augen umgekippt. Wir haben uns gestritten und dann war es plötzlich so, als bekäme er keine Luft mehr. Und naja, wir sind nicht gerade Freunde, aber irgendwie mache ich mir Sorgen."
Emma setzt sich zu mir ans Bett. „Das ist doch klar, dass du dir Sorgen machst. Ich meine, nur weil du ihn nicht leiden kannst, heißt es ja noch lange nicht, dass du willst, dass er stirbt. Schließlich weißt du ziemlich gut, was es bedeutet, wenn man jeden Moment sterben kann."
Das weiß ich leider besser, als mir lieb ist.

Du arroganter Arsch! {Club der roten Bänder}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt