98. Dezemberwinde

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Für einmal kommt das neue Kapitel früh morgens und nicht spät abends ;)

nehmt's mir nicht übel :P 

Ich weiss, dass in diesem Kapitel nicht wirklich viel passiert. Dennoch hatte ich viel Freude dabei, es zu schreiben, weil ich seil längerem endlich wieder die umwerfende Aussicht auf das schmucke, kleine Haus oben auf den Klippen vor Augen hatte. 

Ich zeichne übrigens auch noch immer an Szenen aus diesem Buch, auch wenn es schon sehr bald zu Ende ist und die Kritzeleien noch nicht einmal ansatzweise fertig ausschauen ^^' 

Vielleicht plappern ich auch einfach zu viel, die Morgenstunden machen mich immer ganz dusselig. Es ist übrigens 02:24 und ich bekenne mich hiermit definitiv zum Nachtaktivismus. 

Viel Spaß beim Lesen <3

*****

Es war ein einziger, langer, schier endloser Kampf, den Adara gegen das Orakel und den Ozean ausfocht. Jeder andere hätte schon lange aufgegeben, wäre der Erschöpfung erlegen. Vielleicht hätte es sogar überhaupt niemand so weit geschafft. Aber Adara kämpfte weiter, schlug sich immer weiter vor und weigerte sich strikte, jetzt wieder in den Palast zurückzukehren. Ihre Schultern schmerzten, ihre Hüfte tat ihr unsäglich weh und ihr Kopf drohte unter dem Druck, den das Wasser ausübte, zu zerspringen. Aber ihre Flosse peitschte erbarmungslos durchs Wasser, drückte sie Zentimeter um Zentimeter vorwärts, immer weiter hinaus, immer weiter von den verhassten Palastmauern fort. Ihr Herz schlug in schnellem Staccato, trommelte wild in ihren Ohren, trommelte und wirbelte gleich doppelt und ließ sie alles andere überhören. Es war, als wirkte der Muschelpalast eine mächtige Anziehungskraft auf sie aus und wenn Adara auch nur einen Moment lang aufgehört hätte, sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft vorzuarbeiten, so war sie sicher, wäre sie wie an einem gespannten Gummiseil zurückgezogen worden und hätte von vorne beginnen können. Aber sie spürte auch, dass dieser Magneteffekt immer schwächer wurde, je weiter sie vorankam. Sie kämpfte sich über die Stadt hinweg und ignorierte beherzt all die Schaulustigen, die mal amüsiert, mal schockiert und im Allgemeinen immer beunruhigter dreinschauten, aber niemals eingriffen. Vielleicht scheuten sie sich vor der Strafe, die sie sich womöglich eingehandelt hätten, womöglich wussten sie aber auch nicht, wen sie mehr fürchteten – Adara oder das Orakel. Adaras Kopf war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder völlig leer. Worüber hätte sie auch nachdenken müssen? Das Einzige, das sie mit Sicherheit wusste, war, dass sie ein großes Unglück verhindern musste. Sie erreichte mit Müh und Not die Höhlenlabyrinthe vor der Stadt, die sich tief unten im Meer unter den hiesigen Felsformationen gebildet hatten und erst hier konnte sie ihrem vom Schmerz gepeinigten Körper endlich ein wenig Erholung gönnen. Das Atmen fiel ihr schwer, denn das Wasser schien ihren Körper schier zerdrücken zu wollen. Mit der wenigen Muskelkraft, die ihre Arme noch hergaben, zog sie sich durch die engen, steinernen und stockdunklen Gänge, immer geradeaus und immer nach oben gerichtet, bis sie irgendwann einen Ausgang fand. Hoch über ihr schimmerte ein schmaler streifen leuchtend blauen Wassers, der Rest war stockdunkel und Adara kam auch hier in der Tiefseespalte nur langsam und mühselig voran. Es fühlte sich an, wie durch dicken Schlamm zu schwimmen und ihre ohnehin schon müde Flosse drohte, ihr den dienst bald endgültig zu versagen. Aber Adara hielt nicht an. Noch unerträglicher als ihr körperlicher Schmerz und die Erschöpfung war für sie der Gedanke, zu spät zu kommen und das, was ihr auf Erden am Liebsten war, ein für alle Mal zu verlieren. Tom so weit von sich fort zu wissen hatte ihr Herz schon auf eine mehr als harte Probe gestellt und auch Marlenes Fortbleiben am Hof hatte seine Spuren auf Adara hinterlassen. Sie kämpfte sich an der senkrecht abfallenden Felswand empor, dem Licht und der Wärme entgegen und hatte – wenn es auch eine halbe Ewigkeit in Anspruch genommen hatte – den sandigen, vom Tageslicht sanft schimmernden Meeresboden bald erreicht. Erstmals konnte sie wieder richtig aufatmen und wurde sich bewusst, wie gut es war, endlich wieder frei atmen zu können. Sie hatte fast vergessen, wie anders das Wasser hier oben war. Viel frischer, unberechenbarer und natürlich mit mehr Sauerstoff angereichert. Adaras Lebensgeister schienen von neuem zu erwachen und wenn sie noch immer nicht widerstandslos durchs Wasser glitt, so wurden die Schläge ihres Fischschwanzes doch wieder stärker. Aber leider hielt dieser Effekt nicht besonders lange an. Irgendwann war auch sie am Ende ihrer Kräfte und die Erschöpfung begann allmählich, ihren Tribut zu fordern. Adara schloss verzweifelt ihre Augen. Sie durfte jetzt nicht aufgeben, nicht nachdem sie so weit gekommen war! Als sie einige Momente später kaum noch die Augen offen halten konnte und mehr und mehr mit sich kämpfte, realisierte sie etwas. Das Wasser um sie herum wurde immer wärmer. Und obwohl sie ihre Schwanzflosse kaum noch benutzte, wurde sie trotzdem vorwärtsgetrieben. Und dann ging ihr ein Licht auf. „Die Strömung", murmelte sie. Es musste sich um den Nordatlantikstrom, einen Ausläufer des Golfstroms handeln, der von Mexiko her warmes Wasser nach Europa führte. Erleichterung machte sich in ihr breit. Alleine war sie jetzt zu schwach, um aus eigener Kraft an ihr Ziel zu gelangen. Aber wenn sie die Strömung nutzte und den Norwegenstrom erwischte, dann würde sie automatisch an Irlands Küsten gelangen. Sie musste es einfach nur noch schaffen, wachzubleiben. Sie spürte noch immer, wie eine nunmehr kaum spürbare, schwache Kraft versuchte, sie festzuhalten, sie zurückzuziehen. Aber die Strömung trieb sie immer weiter voran und Adara verspürte eine gewisse Genugtuung darüber. Der Meeresboden zog gemächlich unter ihr vorbei und das tief dunkle Blau wurde immer heller. Das Wasser wurde immer flacher, sie näherte sich der Küste, wenn es auch bedeutend länger dauerte als sonst. Und dann schlichen sich tatsächlich die ersten Felsriffe in ihr Blickfeld. Wie lange war sie so in der Strömung getrieben? Vielleicht eine gute Stunde? Vielleicht auch mehr, so genau konnte Adara es nicht sagen. Doch trotz dieser Erholungsphase spürte sie noch immer pochend den Schmerz in ihren Gliedern, der es ihr fast unmöglich machte, Schultern und Hüfte zu bewegen. Und doch bezwang Adara sich selbst und ihren Körper eine weiteres Mal. Ohne auf ihr massakriertes Becken zu achten, schlug sie mit der Schwanzflosse in die Wassermassen und verließ den Warmwasserstrom, der seinen Weg gen Norden leise rauschend ohne sie fortsetzte. Sie schwamm der Küste entlang, in ihrem Kopf pulsierte und hämmerte und wirbelte es und die seltsame Leere in ihren Gedanken bereitete ein leise wachsendes Schwindelgefühl. Aber auch dies verdrängte Adara mit zusammengebissenen Zähnen. Über ihr rauschten die anrollenden Wellen, die weiter vorne an den Klippen brachen und in den Ozean zurückströmten. Und dann sah sie es. Erleichterung machte sich in ihr breit, erfüllte sie bis in die tiefsten Winkel ihrer selbst. Sie musste nicht mehr lange durchhalten. Sie hatte es gleich geschafft. Direkt vor ihr lag der Eingang zu der kleinen Bucht. Das Wasser wurde immer seichter, gleich würde sie im Sand liegen und die Fluten würden ihr nichts mehr anhaben können. Mit allerletzter Kraft zog sie sich dann endgültig an Land, so weit, dass das Wasser sie nicht mehr erreichen konnte. Und sie lachte. Trotz der Erschöpfung, trotz der Schmerzen, die ihren gesamten Körper regelrecht schüttelten, trotz der Kälte und des beißenden Windes, der ihr entgegenschlug, lachte Adara und sie konnte gar nicht anders, als zu lachen. Ihr Blick wanderte zum Haus, das hoch oben auf den weißen Kalksteinklippen thronte wie am ersten Tag, dann wurden die schwarzen Ränder, die ihre Sicht schon seit mehreren Minuten einschränkten, so mächtig, dass bald nichts mehr als dickes, undurchdringliches Schwarz vor ihren Augen schwebte. Der doppelte Herzschlag hatte aufgehört. Ihr Atem ging ruhig. Ihr Körper brauchte den Schlaf, die Pause, den Stillstand. Ohnmächtig fühlte sie gerade noch, wie ihr Kopf in den feuchten Sand zurückfiel, danach herrschte nur noch tiefes, ruhiges, erbarmendes Schwarz.

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt