Kapitel 11-Verlangen

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„Ich...Tut mir leid, ich weiß nicht, was das gerade sollte.", murmelte er, was allerdings zu Nichte gemacht wurde durch ein „Verdammt!", bevor er mein Gesicht in seine Hände nahm und mich küsste. Im ersten Moment schien ich gar nicht mehr anwesend zu sein und registrierte nicht, was hier vor sich ging. Doch dann machte es klick und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ein Teil meines Verstandes schrie sofort, dass ich das gefälligst lassen sollte, dass es der größte Fehler war, den ich machen konnte, dass ich nicht nur mir damit schadete. Ein anderer, leider weitaus größerer Teil, mit eingeschlossen mein Herz, sagte mir, dass ich es brauchte, dass ich ihn brauchte. Ich wollte ihn, mit Haut und Haaren und genau deshalb ließ ich mich in den Kuss fallen, vergaß für einen Moment, dass er der Verlobte meiner Schwester war. Mein Herz schien wohl immer über meinen Verstand zu entscheiden, ich bezweifelte, dass ich überhaupt einen hatte. Meine Hände fädelten sich in seinen Haaren ein, spielten mit ihnen. Johns Hände glitten langsam hinab zu meinen Hüften, pressten sie enger an die Theke. Der anfangs unschuldige Kuss schlug immer mehr um in pures Verlangen. Mein Becken drängte sich ihm wohlwollend entgegen. Das Engelchen auf meiner rechten Schulter wurde immer kleiner, schien ganz zu verschwinden, während das Teufelchen auf meiner linken Schulter mich mit Popcorn im Arm anfeuerte.

„Samantha.", stöhnte er in den Kuss hinein. Normalerweise hasste ich meinen vollständigen Namen, doch wenn er ihn so aussprach...Er hätte mich vermutlich mit allen möglichen Namen oder Wörtern bezeichnen können und es hätte trotzdem schön geklungen, selbst eine Beleidigung hätte ich als Kompliment angenommen. Dabei hätte ich mir sowas niemals gefallen lassen. Und dann hörten wir, wie eine Tür geöffnet wurde und sofort darauf Frauengekicher. Wie vom Blitz getroffen fuhren wir auseinander, John versuchte sich die Haare wieder zu richten und ich strich mein Oberteil glatt, unter dem sich John ein wenig auf Erkundungstour begab. Als Sophie und Johanna kamen, lächelten wir beide sie unschuldig an, ließen uns hoffentlich nichts anmerken. In diesem Moment konnte ich nur beten, dass man uns nichts ansah und dass Sophie zu naiv war, um etwas zu bemerken. Diese verhexte Situation hätte mich irgendwann noch tatsächlich zur Kirche getrieben.

„Hallo ihr beiden! Ich bin gleich bei euch." Sophie strahlte wie immer über das ganze Gesicht und zerrte Johanna mit sich. Diese sah uns allerdings einen Moment zu lange mit verengten Augen an. Verdammter Mist, das war knapp. Sophie schien wirklich nichts mitbekommen zu haben, kaum auszumalen, wie ihr Herz zerbrochen wäre. Johanna dagegen wirkte skeptisch.

„Wein?"

„Sicher." Noch immer standen wir in dieser mit einem Mal viel zu kleinen Küche. Jetzt brauchte ich endgültig etwas zu trinken. Mir war noch furchtbar heiß von dem verboten schönen Kuss und gleichzeitig wuchs das schlechte Gewissen immer stärker. Wir hatten es schon wieder getan. Immerhin gingen wir nicht so weit, wie wir es schon mal getan hatten, aber wer weiß, wohin das noch hätte führen können. Wie konnte sich etwas so richtig anfühlen, obwohl man ganz genau wusste, wie falsch es doch war? Das Herz war ein widerliches Organ. Warum konnte es nicht auf das hören, was man wollte? Aber was war, wenn ich genau das hier wollte, beziehungsweise ihn wollte? Warum ließen sich Herz und Vernunft nicht miteinander vereinbaren?

John reichte mir ein volles Weinglas, welches ich dankend annahm. Mit nur wenigen Schlucken hatte ich dieses allerdings schon geleert. Himmel, ich musste wirklich darauf achten, nicht noch betrunken zu werden. Schon nach ein paar Sekunden spürte ich, wie sich die Anspannung meinerseits ein bisschen lockerte, aber es war noch längst nicht angenehm hier so neben ihm zu stehen. Ich konnte nur daran denken, wie nahe wir einem riesigen Drama waren, doch es war noch viel zu frisch, als dass ich nicht gleichzeitig an dieses Gefühl denken konnte, welches John bei mir hinterließ.

„Das darf auf keinen Fall nochmal passieren.", sprach er leise.

„Das sagen wir jetzt zum zweiten Mal. Wann halten wir uns endlich daran?", meinte ich mit versuchter emotionsloser Stimme.

„Ich liebe sie, Sam. Mehr als alles andere auf dieser Welt. Es war meine Schuld und genau darum werde ich alles dafür tun, damit das nie wieder passiert. Irgendwie müssen wir das doch hinkriegen." In diesem Moment kamen Sophie und Johanna wieder und John ging direkt auf sie zu, um sie dann in seine Arme zu schließen und zu küssen. In diesem Kuss lag so viel Liebe und Vertrautheit, ich wollte wegsehen, doch es ging einfach nicht, so sehr es auch schmerzte, zumal der Blick von Johanna auf mir lag und mich die ganze Zeit zu bewachen schien. Ich hätte nie erwartet, dass mal ein Mann zwischen mir und meiner Schwester stehen könnte.

„Ich liebe dich.", murmelten beide, als sie wieder voneinander abließen. Ich wusste nicht, wie ich die Hochzeit geschweige denn die nächsten Jahre aushalten sollte, ohne dass es mich zerstörte. Vielleicht brauchte ich wirklich einen anderen Mann, auch wenn ich bezweifelte, dass irgendjemand anderes mein Herz so zum Schlagen bringen konnte.

„Und wie gefällt dir das?" Sophie trug schon das gefühlt tausendste Hochzeitskleid und es konnte mich wie seine Vorgänger absolut nicht begeistern. Sophie dagegen schien regelrecht hin und weg davon zu sein. Diesmal war das Kleid glänzend weiß, um die Taille verlief ein blaues, breites Band. Es hatte keine Träger und hatte einen klassischen A-Schnitt, von der Hüfte abwärts hinten verlief auch noch ein blauer Teil. Es sah schön aus, das stand außer Frage und es stand ihr auch, aber dennoch fehlte mir das gewisse Etwas.

„Es ist ganz in Ordnung.", meinte ich.

„Also wenn du mich fragst, das ist es.", mischte sich Johanna ein. Ich glaubte, das sagte sie schon aus Prinzip, weil es mir nicht so gut gefiel. Ich wusste nicht warum, aber diese Frau hatte irgendein Problem mit mir und das schon seit unserem ersten Treffen.

„Ein Kleid habe ich noch. Bisher ist das hier mein Favorit und das nehme ich dann auch."

Wunderschön. Dieses Kleid war mehr als das. Es war so schlicht und genau das gefiel mir unfassbar doll. Mit ihren blonden, welligen Haaren sah Sophie darin aus wie eine Elfe. Sie hätte sofort heiraten können.

„Das ist perfekt.", flüsterte ich voller Begeisterung.

„Ich finde es viel zu einfach. Das ist eine Hochzeit und nicht nur irgendein Sommertag. Du solltest einzigartig aussehen und das tust du in dem vorherigen Kleid.", widersprach Johanna natürlich. Ich wusste, Sophie würde auf Johanna hören. Sie kaufte das protzige weiß-blaue Kleid und ich wünschte meinem neuen Traumkleid Glück, dass es einen tollen Besitzer fand und diesem eine Freude bereitet.

„Wollen sie es mal anprobieren?", fragte mich eine Verkäuferin, als ich es noch anstarrte, während die anderen beiden bezahlten.

„Oh nein, bei mir ist noch längst keine Hochzeit in Aussicht.", wehrte ich ab und gesellte mich wieder zu den anderen.

Wir saßen in einem Café. Ich bestellte mir ein Stück Buttercremekuchen, worauf mich Johanna, die Bohnenstange, die nur einen Tee bestellte, mit einem verächtlichen Blick musterte. War es mir als Frau etwa verboten Kalorien zu mir zu nehmen? Auf diese blöde Kuh musste ich nicht achten.

„Warum habt ihr es mit dem Heiraten eigentlich so eilig?", wollte ich wissen, immerhin war seit dem Antrag noch gar nicht so viel Zeit vergangen.

„Das Wetter ist jetzt am besten, es sind Ferien, das ist ziemlich praktisch und naja..."

„Nun sag es ihr schon.", forderte Johanna sie auf. Sophie wirkte nervös und schüchtern.

„Wenn wir zu lange warten, dann wird es etwas schwierig mit dem Bauch und ich will in mein Traumkleid passen." Verständnislos sah ich Sophie an. Sie konnte doch nicht etwa das meinen, woran ich dachte. Das war nicht möglich, das konnte gar nicht möglich sein.

„Sam" Sie nahm meine Hände in ihre. „Ich bin schwanger! Ich bekomme ein Baby und du wirst Tante!" Ihre Stimme war voller Freude. So sollte es auch sein. Sie bekam ein Baby. Von John. Ich wurde die Tante von Johns Kind. Ihr wisst doch alle, wie sich das anhört und aussieht, wenn man in einen aufgeblasenen Ballon mit einer Nadel reinsticht. Ungefähr so fühlte ich mich, nur hundertmal schlimmer, mit einem gestellten Lächeln auf den Lippen.

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