Kapitel 8-Jugendfreunde

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Frohe Weihnachten euch allen!

Den Sonntagvormittag überstand ich eher schlecht als recht. Ich hätte es wissen müssen, meine Schwester war die Art von Frau, die ihren Partner die ganze Zeit mit albernen Kosenamen ansprach und mit ihm bei jeder noch so kleinen Gelegenheit Liebeleien austauschte. Ich konnte es nie leiden, wenn Pärchen ihre Gefühle füreinander so offen zeigen mussten. Beim Frühstück war es fast unerträglich. Da unsere Eltern elende Frühaufsteher waren, mussten wir ohne sie frühstücken. Sie ließen mich mit diesen unerträglich verliebten allein. Das Ganze verlief die gesamte Zeit ungefähr so: „Reichst du mir mal die Butter, Bärchen?" oder „Willst du heute noch was Bestimmtes machen, Hasi?" Ich verstand nicht, wie man als erwachsene Frau noch solche Wörter in den Mund nehmen konnte. Dazu noch dieses andauernde Strahlen, wie ihre Augen leuchteten, wenn sie sich ansahen. Sie schienen sich tatsächlich zu lieben und es tat weh, das konnte ich nicht verhindern. Ich musste wirklich in ihn verliebt sein, sonst hätte jeder Blick den sie tauschten, jede ihrer Berührungen nicht so viele Löcher in mein Herz gebohrt. Nicht nur John war ein Arsch, weil er sie hintergangen hatte, auch ich war einer, ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen, ihnen alles Glück der Welt zu wünschen. Welche Frau hätte das tun können? Gab es Menschen, die so viel Stärke besaßen, um das zu ertragen? Ich musste an der Hoffnung festhalten, dass meine Gefühle sich irgendwann wieder legen würden. Mein schlechtes Gewissen wuchs von Minute zu Minute, doch ich musste mich zusammenreißen.

Ich kam mir vor, wie das fünfte Rad am Wagen, nur wie ein Störfaktor. Die beiden waren so in ihre Liebeleien vertieft, dass sie mich gar nicht mitbekamen. Erst beim Abräumen des Tisches kehrten sie wohl wieder in unsere Welt zurück. John liebte sie wahrhaftig, daran blieben keine Zweifel.

„Wer hat denn den Wein ausgetrunken? Den wollten wir heute eigentlich noch zum Abschied alle machen.", fragte Sophie verwundert, worauf ich gleich unschuldig wegsah. Am vergangenen Abend war ich am Ende etwas betrunken und habe Kate am Telefon terrorisiert. Ich wusste gar nicht mehr so recht, was ich alles von mir gegeben hatte, aber vielleicht war das auch besser so. Wenn ich trank, wurde ich schnell gefühlsduselig. Ich wusste nachher gar nicht mehr, ob sie überhaupt noch am Handy war, doch das hinderte mich nicht daran, weiterzureden.

„Verfall mir bloß nicht in die Alkoholsucht, klar!", verlangte Sophie von mir, als sie meine Reaktion mitbekam. Dann haltet euch vor mir zurück, damit ich keinen Grund habe, mir alles schönzutrinken, hätte ich fast gesagt. Wenigstens John hätte es aus Rücksicht zu mir tun können, allerdings kam ihm vielleicht gar nicht in den Sinn, dass ich Gefühle für ihn hegte.

„Klar, brauchst du noch Hilfe?" Sie war dabei, den Geschirrspüler aufzuräumen, John war wegen eines Telefonats schon nach oben gegangen. Ich fühlte mich in ihrer Nähe nicht unbedingt wohl. Etwas, was ich niemals erwartet hatte.

„Nein, ich schaff das schon. Geh ruhig." Das tat ich auch. Ich verstand es nicht, doch meine Schwester war die einzige, die ich kannte, die sich gerne um den Haushalt kümmerte. Ich dagegen ließ lieber meine Wohnung halb verschimmeln, bevor ich auch nur einen Handschlag tat. Ich hatte weder die Zeit dazu, denn ob man es glauben wollte oder nicht, der Beruf als Lehrerin füllte meinen kompletten Tag aus und wenn ich mal Zeit hatte, fehlte mir die Lust, Ich brauchte auch mal eine Pause.

Das Haus meiner Eltern war relativ groß, zumindest groß genug, dass wir hier auch zu fünft ungestört hätten leben können und uns nicht ständig über den Weg liefen. Auf dem Weg zu meinem Zimmer kam ich auch bei dem meiner Schwester vorbei, die Tür war geöffnet und John saß auf dem Bett. Auch hier sah es noch genau so aus, wie sie es verlassen hatte. Es war so ein richtig schlimmes Mädchenzimmer mit weißen Möbeln, kitschigen Gardinen und sogar Vorhängen vor dem Bett. Das prachtvollste im Raum war wohl der Schminktisch, auf dem ausgetrocknete Lippenstifte und Mascaras lagen. Nicht einmal davon hatte sich Mutter trennen können. An den Wänden sah man noch die Überreste von Klebestreifen, die einst Poster von diversen Boy Bands an ihnen befestigten. In einer Ecke lagen noch ein paar Kuscheltiere, darunter ein graues Einhorn mit einem pinken Horn. Als sie zehn Jahre alt war, hatte sie einen furchtbaren Einhorntick. Bettwäsche, Servietten, Gardinen-alles musste mit ihnen verziert sein. Wir waren so unterschiedlich zu dieser Zeit, doch um diese Unterschiede ging es zwischen uns nie.

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