Schwänzen?

240 22 1
                                    

Ein Schrei reißt mich aus dem Schlaf. Was ist los und wo bin ich hier? Orientierungslos schaue ich mich in dem dunklen Raum um. Wieder ein Schrei und etwas, das sich neben mir bewegt. Schnell schaue ich zur Seite und kann Lukas neben mir erkennen. Ein riesen Stein fällt mir vom Herzen, aber nur bis Lukas neben mir anfängt wie wild um sich zu schlagen. Schnell schalte ich die Lampe auf seinem Nachttisch an um ihn besser sehen zu können. Mit tränenüberströmtem Gesicht liegt er neben mir, zappelt herum und murmelt irgendwas.

"Nein, nein, geht nicht."

Da ich ein bisschen Panik bekomme, beginne ich an seiner Schulter zu rütteln und seinen Namen zu rufen. Bereits nach wenigen Sekunden schlägt er erschrocken die Augen auf. Allein an seinem Blick kann man erkennen, dass er noch halb in der Traumwelt festhängt.

"Es ist alles meine Schuld. Sie sind tot und das nur wegen mir", murmelt er immer wieder wie ein Mantra vor sich hin. Dabei laufen ihm immer mehr Tränen das Gesicht hinab. Den großen, lustigen Jungen, der er am Tag ist, so zu sehen ist für mich ein wahrer Schock. Den Jungen, bei dem ich mich so geborgen und sicher fühle, zu sehen wie er vollkommen am Boden zerstört ist, macht mir Angst und ich bekomme plötzlich wahnsinnige Panik. Was soll ich nur tun?

"Lukas, hey, es ist alles gut. Du hast geträumt", probiere ich ihn irgendwie zu beruhigen.

"Sie... Sie wollte mein Lieblingsessen kochen, hatte aber nicht alles da", mit immer noch abwesender Stimme beginnt er, ohne Aufforderung, zu erzählen. Interessiert folge ich seinen Worten, die zwischen ein paar Schluchzern nur sehr abgehackt zu hören sind.
"Er wollte sie fahren und... und dann", wieder bricht er ab. Ermutigend streiche ich ihm über den Rücken. Nach einem Schniefen fährt er fort:"Dann kam ein Auto auf der falschen Seite, mein Opa fuhr in den Graben gegen einen Baum. Meine Oma war sofort tot und mein Opa starb nach einer Woche im Krankenhaus."
Sofort ziehe ich ihn in eine feste Umarmung. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter und die Tränen, die aus seinen Augen fließen, durchnässen nach und nach mein T-Shirt, oder eher gesagt sein T-Shirt.

Ich hätte nie gedacht, dass dieser lebensfrohe Mensch so traurig sein kann. Er gibt sich die Schuld für etwas, wofür er nichts kann und das zerstört ihn. Diese ganze Situation lässt mich natürlich auch nicht kalt und so vergieße auch ich ein paar Tränen. Nach einiger Zeit wird auch Lukas ruhiger und wir legen uns beide wieder hin. Ganz dicht zieht Lukas mich an sich, als hätte er Angst ich könnte weg laufen während er schläft. Diese Nähe zu ihm freut mich natürlich ungemein.
Lukas muss wohl schon nach wenigen Minuten eingeschlafen sein, denn ich spüre seinen warmen, gleichmäßigen Atem in meinem Nacken. So eng an ihm zu liegen ist wirklich ein überwältigendes Gefühl. So viel Nähe und Geborgenheit bin ich nicht gewohnt. Schon als ich noch ganz klein war hatten meine Eltern keine Zeit für mich. Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Eltern wirklich und sie mich auch, aber wir können auf Grund ihrer Arbeit nur wenig Zeit miteinander verbringen.
Außerdem hindern mich die Gedanken an eben gerade sehr stark am Einschlafen. Vor nicht einmal einer halben Stunde lag Lukas wie ein nervliches Wrack in meinen Armen und hat hemmungslos geweint. Ob er öfter solche Träume oder Gefühlsausbrüche hat? Wenn ja, ist er dann immer alleine oder hat er jemanden der ihn tröstet?
Auf Fremde wirkt er immer sehr kühl und gleichgültig. Dass mehr hinter seiner Fassade steckt habe ich mir schon vom ersten Augenblick an gedacht. Plötzlich bin ich hellwach und denke darüber nach was in Lukas' Inneren vorgeht. Ich bin mir ganz sicher, dass es für mich noch viele andere Seiten an ihm zu entdecken gibt und das noch viele Geheimnisse darauf warten gelüftet zu werden.

Das schrille Piepen eines Weckers reißt mich aus meinem Schlaf. Mehr als ein Grummeln bringe ich nicht heraus. Mir geht's wirklich mehr als beschissen. Ich hab Kopfschmerzen, Halsschmerzen und nicht viel geschlafen. Auch Lukas vergräbt seinen Kopf an meinem Hals, nachdem er dieses nervtötende Piepen abgestellt hat.
Erst nach einigen Minuten fällt mir ein wieso der Wecker überhaupt geklingelt hat. Wir haben Schule! Wie soll das bitte gehen? Ich habe weder meine Schulsachen hier noch frische Anziesachen. Ich kann ja schlecht in Lukas Klamotten zur Schule.

Mühsam drehe ich mich um, damit ich Lukas ins Gesicht schauen kann. Dieser hat die Augen wieder geschlossen und macht auch keine Anstalten aufzustehen.
"Wir haben Schule Lukas. Was soll ich jetzt machen?", frage ich und hoffe auf eine anständige Antwort.
"Ich schreib dir ne Entschuldigung", ist seine sehr hilfreiche Antwort darauf.
"Man Lukas", quängel ich ein bisschen. Ich habe zwar nichts dagegen heute zu schwänzen und kann es auch durchaus mit meinem Gewissen vereinbaren, da ich das schon öfter gemacht habe, trotzdem hätte ich mir eine produktivere Antwort von ihm gewünscht. Außerdem fällt das auch garnicht auf wenn wir beide fehlen.
"Was willst du denn anderes machen. In meinen Klamotten zur Schule gehen und den Lehrern erzählen, dass du ausversehen deine ganzen Sachen vergessen hast", sagt er immer noch verschlafen, öffnet aber wenigstens seine Augen.
"Nein natürlich nicht", lache ich jetzt etwas. Ich weiß nicht ob es an der Müdigkeit liegt aber diese Vorstellung finde ich irgendwie lustig.
"Na siehst du? Und jetzt leg dich wieder hin, ich will noch schlafen", grinst er mich an.
"Und was ist mit deinen Eltern? Die sind bestimmt nicht sehr begeistert wenn sie uns hier finden und nicht in der Schule."
"Mach dir darum keine Sorgen, die kommen erst am Freitag wieder", antwortet er mit geschlossenen Augen.
"Bist du oft alleine?", stelle ich die nächste Frage.
"Die meiste Zeit. Normalerweise sehe ich meine Eltern nur am Wochenende." Ich dachte schon bei mir wäre das extrem aber Lukas sieht seine Eltern ja noch weniger. Er tut mir schon ziemlich Leid.
"Ok", sage ich dazu nur und lege mich wieder neben ihn. Diesmal aber mit meinem Kopf auf seine Brust, so dass ich seinem Herzschlag lauschen kann. Einen Arm hat Lukas um meine Schulter geschlungen und der andere liegt auf seinem Bauch, wo ich nach seiner Hand greife und unsere Finger verschränke. Mit einem Lächeln auf den Lippen und dem gleichmäßigen Geräusch von Lukas Herz schlafe ich wieder ein.

=========
Kleine Ankündigung:
Ich hab ne Idee für ne neue Story und die werde ich dann in den nächsten Tagen mal umsetzen. Ich weiß, ich sollte lieber mal meine ganzen angefangenen Geschichten beenden oder weiter schreiben aber ich hab dann immer neue Ideen im Kopf, die ich dann auch umsetzen muss. Naja jedenfalls werde ich die neue Story jetzt bald anfangen:)
Würde mich wie immer über Rückmeldung freuen.

Ich will mehr sein als ein guter Bekannter  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt