Können wir reden?

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"Hey", begrüße ich ihn etwas schüchtern. Na das fängt ja schonmal gut an. Zum Glück schaut er mich heute wenigstens an wenn ich mit ihm rede. Als ich ihn in der Schule jeden Morgen begrüßt habe, hat er nur irgendwas Undeutliches gemurmelt und mich keines Blickes gewürdigt. Ich verstehe wirklich nicht wieso ich mir solche Mühe mache, obwohl er mich anscheinend garnicht mag. Trotzdem werde ich nicht aufgeben.

"Hi." Sogar ein Lächeln schleicht sich in sein Gesicht, was mich auch grinsen lässt.
"Was schreibst du da immer ?", frage ich jetzt um irgendwie ein Gespräch aufzubauen.
"Ach nichts wichtiges", antwortet Lukas und dreht seinen Block um, während das Lächeln aus seinem Gesicht verschwindet. Okay, falsches Thema. Aber was anderes fällt mir gerade wirklich nicht ein, also sitzen wir einfach schweigend nebeneinander bis uns jemand zum Essen ruft. Das hat ja toll geklappt mit dem unterhalten. Naja vielleicht ist Lukas ja mit vollem Magen gesprächiger. Dieser Abend ist ja noch lange nicht vorbei.

Während des Essens sitze ich die ganze Zeit gegenüber von Lukas und überlege wie ich weiter machen könnte. Die Gespräche um mich herum blende ich vollkommen aus und zum Glück spricht mich auch keiner an. Das wäre sonst ziemlich peinlich geworden.
Nachdem mein Teller leer ist, bemerke ich erst, dass ich gar nicht so recht weiß, was ich überhaupt gegessen habe und ich weiß ebenfalls nicht ob es geschmeckt hat, aber ich denke schon.
Eine ganze Weile sitzen wir noch alle zusammen um den Tisch herum. Oft werden meine Gedanken durch ein Lachen oder eine laute Stimme unterbrochen. Wie bekomme ich es hin alleine mit Lukas zu sein? Ich will jetzt auch nicht vor versammelter Mannschaft fragen ob er mal mitkommt. Die würden doch alle sonst was denken. Nein das geht nicht.

"Ich müsste mal auf Toilette", schießt es plötzlich aus meinem Mund. Keine Ahnung ob der Plan aufgeht aber ein Versuch ist es wert.
"Lukas zeigst du Anna mal die Toilette?", fordert seine Mutter ihn auf. Mein Herz macht einen Sprung. Es hat geklappt, jetzt muss ich nur noch den Anfang für das Gespräch finden. Aber das wird schon.

Stumm führt mich Lukas durch eine Glastür in sein Haus. Durch die Tür tritt man direkt in ein großes Wohnzimmer. Die gesamte Einrichtung ist sehr hell gehalten und sieht alles in allem modern aus.
Viel Zeit habe ich nicht mich umzusehen, denn Lukas läuft immer weiter in den Flur. Vor einer weißen Tür bleibt er stehen.
"So da wären wir." Mit diesen Worten zeigt er auf die Tür.
"Das ist fast wie bei unserer ersten Begegnung", lache ich leicht.
"Ja fast", lächelt jetzt auch Lukas.

Gerade will er sich umdrehen um zu gehen, da halte ich ihn leicht am Handgelenk zurück. Fragend blickt er mir von oben herab genau in die Augen. Bevor ich noch irgendwas dummes anstelle, unterbreche ich den Augen Kontakt und rede schnell weiter. "Ich ähm würde gerne mal mit dir reden."
"Okay, ich wollte sowieso gerade in mein Zimmer, wenn du fertig bist geh einfach hier die Treppe hoch und dann die erste Tür links", mit einem etwas nervösen oder auch überraschten Lachen erklärt er mir den Weg zu seinem Zimmer.
"Gut", sage ich dann erleichtert darüber, dass er wenigstens mit mir reden wird.

Eigentlich muss ich garnicht auf Toilette, gehe aber trotzdem zur Sicherheit. Bevor ich das Bad verlasse werfe ich noch einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Geht noch.

Nervös trete ich aus dem Badezimmer heraus und schließe so leise wie möglich die Tür hinter mir. Langsam und bedacht darauf nicht all zu laut zu sein, da es mucksmäuschenstill hier im Haus ist, gehe ich die Treppe nach oben. Die erste Tür links, hat er gesagt. Möglichst selbstsicher gehe ich auf besagte Tür zu, welche auch schon offen steht.
Lukas sitzt mit dem Rücken zu mir am Schreibtisch und macht irgendwas. Somit habe ich erstmal Zeit mich umzuschauen. An sich ist es ein ganz klischeehaftes Zimmer eines Jugendlichen, nur eine Sache ist besonders: In einer Ecke des Zimmers ist ein großer Tisch mit einem Computer, einem Mischpult, oder was auch immer das sein soll und ein Mikrofon. Im Zimmer verteilt stehen zwei Gitarren und ein Keyboard steht auch neben dem Tisch mit dem Computer. Was macht er hier? Nimmt er etwa eigene Lieder auf? Naja was soll er auch anderes mit dem Zeug machen.

Verlegen räuspere ich mich um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
"Komm rein und setz dich irgendwo", sagt er während er sich mit seinem Stuhl umdreht.
Viele Sitzmöglichkeiten gibt es hier nicht, also setze ich mich auf die Kante seines Bettes.
"So was gibt's?", fragt er jetzt interessiert und mit einem Lächeln auf den Lippen. Was ist denn in den gefahren? Plötzlich ist er wieder wie bei unserer ersten Begegnung. Ich verstehe diesen Jungen einfach nicht.

"Also ähm" verlegen kratze ich mich am Kopf. "Ich wollte einfach mal fragen wieso du mich in der Schule immer ignorierst. Am ersten Tag warst du total nett und jetzt auch. Also was ist mit dir los?" Die Worte, die mich schon seit einer Woche beschäftigen, sprudeln einfach aus mir heraus. Ich hoffe das war jetzt nicht zu plötzlich.

Erwartungsvoll schaue ich Lukas an und warte auf eine Antwort. Dieser schweigt allerdings nur und scheint zu überlegen. Jede Sekunde fühlt sich an wie eine Unendlichkeit, bis er dann endlich anfängt zu reden.

Ich will mehr sein als ein guter Bekannter  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt