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Nur noch drei Kapitel.

Jo

Auf der Dachterrasse mit Alex allein zu sein war das Schönste am Abend, auch wenn ich seine Berührungen nach wie vor sehr ungewohnt finde. Es wird lange dauern, bis ich das als normal empfinde. Ich scheine wohl auch nicht ganz normal zu sein. Jedes Mädchen in meinem Alter würde sich darüber freuen und es genießen, wenn ihr Freund sie in den Arm nimmt, anfasst und küsst. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass ich so empfindlich darauf reagiere. Vielleicht bin ich nicht reif genug für sowas oder noch nicht bereit, eine Beziehung zu führen, schließlich hatte ich bisher nie das Bedürfnis danach. Es ist nicht so, dass ich die Zeit mit Alex nicht genießen würde oder mich in seiner Nähe komplett unwohl fühle, ganz im Gegenteil, ich mag es und spüre, dass ich starke Gefühle für ihn habe, doch irgendwas hält mich davon ab, mich vollständig darauf einzulassen.

Den Rest des Abends haben wir uns unter das Volk gemischt, uns den Bauch am Buffet vollgeschlagen und sogar mal getanzt. Ich musste allerdings feststellen, dass dieses Schickimicki absolut nicht mein Geschmack ist. Lieber würde ich mich an ein Lagerfeuer setzen, Knüppelkuchen machen und Lieder spielen.

Nun sitzen wir auf dem Sofa in meinem Wohnzimmer und warten darauf, dass meine Mutter von der Arbeit zurückkommt. Wir wollen das, was wir vergangene Nacht besprochen haben, in die Tat umsetzen. Ich bin stolz auf Alex, dass er diesen Schritt wagt und hoffe stark für ihn, dass sich bald alles zum Besseren wendet. Nach einer Stunde, die wir gewartet haben, kommt Mama endlich und sieht uns verdutzt an.

„Setz dich!", fordere ich sie auf. Sie nimmt uns gegenüber auf einem Sessel Platz.

„Was gibt es denn?" Ihr Ton ist nicht so freundlich, wie er es sonst immer war. Wir haben uns bisher nicht versöhnt und es trägt wahrscheinlich auch dazu bei, dass ich hier mit Alex sitze, zu dem ich nach ihrem Wunsch keinen Kontakt mehr haben soll.

„Ich weiß, dass sie ein Verhältnis mit meinem Vater haben." Kaum hat Alex das ausgesprochen, versucht mich meine Mutter scheinbar mit ihren Blicken zu töten. „Ich möchte sie nicht anlügen, Johanna hat es mir erzählt, aber aus gutem Grund. Ich habe ebenfalls erfahren, dass er sie geschlagen hat und das ist bei ihm keine Seltenheit. Meine Mutter muss ebenfalls unter seiner Gewalt leiden, ich am meisten. Er hat ein eindeutiges Gewaltproblem und wird es bei ihnen wieder tun, sobald ihm nur eine winzige Kleinigkeit nicht passt oder einen schlechten Tag hat, genauso wie bei uns. Sobald ich ausgezogen bin wird es meine Schwester treffen. Das ist mein Vater."

Mama scheint völlig sprachlos zu sein. Wer wäre das nicht, immerhin ist das keine leichte Kost.

„Ist das ein Trick von euch, damit ich mich endlich von ihm fernhalte?", gibt sie als Antwort, womit ich fast gerechnet habe. In Wahrheit glaubt sie uns, sie will es nur nicht einsehen.

„Mama, du weißt, dass wir nicht lügen. Alex hat genügend Wunden, die das beweisen. Darum war ich so dagegen, dass du mit Frank etwas zu tun hast, verstehst du mich jetzt? Es geht mir doch nur darum, dass es dir gut geht und dir keiner wehtut."

Mama schaut betroffen zu Boden und gibt kein Wort von sich. Ich sehe, wie eine Träne ihr Auge verlässt und auf den Teppich tropft. Bitte, nicht weinen! Dann werde ich mitmachen müssen, denn sobald jemand weint, der mir am Herzen liegt, muss ich das Gleiche tun und kann nicht mehr aufhören.

„Ja, ich glaube euch. Warum solltet ihr mich so anlügen? Ich kann nur nicht einsehen, dass er solch ein Monster ist." Ich weiß nicht, ob er wirklich einfach nur ein Monster ist oder ob das Ganze psychisch bedingt ist. „Es tut mir Leid, Schätzchen, dass ich so ausgerastet bin und dass dieser sinnlose Streit zwischen uns entstanden ist. Wir sind wohl beide ein paar Dickköpfe." Ich falle Mama in die Arme, aus Erleichterung, dass dieser Mist nicht mehr zwischen uns steht. „Was wirst du jetzt gegen deinen Vater unternehmen?", richtet sie sich an Alex, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hat.

„Ich schätze mal, die sinnvollste Option wäre wohl das Jugendamt. Ob die sich auch wirklich um unseren Fall kümmern und was machen können, wird sich dann zeigen.", erklärt er seinen Plan. Ich habe etwas Angst, dass sein Vater ihn wieder zusammenschlägt, sobald er erfährt, dass sein Sohn das Jugendamt auf ihn gehetzt hat. Das Risiko muss wohl oder übel eingegangen werden. Veränderungen sind nie ohne Risiko.

„Ich wünsche dir viel Glück, dass alles gut läuft. Ich werde sicherlich auch auf dem Laufenden gehalten. Entschuldige, aber würdest du mir und Johanna ein wenig Zeit für uns lassen, jetzt, wo wir uns wieder vertragen?", bittet sie Alex. Dieser verabschiedet gleich darauf von uns und geht.

Meine Mutter und ich machen uns einen Tee, schauen uns mit einem Haufen Schokolade vor den Fernseher und kuscheln uns gemeinsam in eine Wolldecke ein. Mein Herz fühlt sich direkt viel leichter an, mir ist ein sehr großer Stein vom Herzen gefallen. Es wäre schön, wenn sich die anderen Probleme auch alle so einfach lösen würden.

In der Schule überrascht mich in der großen Pause mein allerliebster Mitschüler Jan. Der, den ich am allerliebsten in der Hölle brennen sehen würde.

„Hast du mal eine Sekunde Zeit?", fragt er mich, als wären wir die besten Freunde.

„Für dich habe ich nicht mal eine Millisekunde übrig."

„Es geht um Alex." Sofort bleibe ich stehen und wende mich ihm zu. „Ich denke, da ihr jetzt zusammen seid, solltest du wissen, dass wir beide eine Art Experiment veranstaltet haben."

„Was für ein Experiment? Komm zum Punkt!", herrsche ich ihn an, mit einer Menge Misstrauen.

„Nennen wir es Wette. Wir haben gewettet, wer dich zuerst rumkriegt. Alex scheint wohl eindeutig gewonnen zu haben. Mach ihm deshalb keine Vorwürfe, ich bin mir sicher, seine Gefühle dir gegenüber sind echt." Mein Magen und mein Herz werden schwer wie Felsbrocken. „Ist diese Samantha eigentlich noch hier? Die hat mir gefallen. Eine Schande, dass Alex sich wieder von ihr getrennt hat, nach so kurzer Zeit. Übrigens finde ich es echt stark von dir, dass du ihm seinen kleinen Ausrutscher letztens verzeihst, macht nicht jedes Mädchen. Ihr werdet bestimmt glücklich miteinander." Jan scheint seine Rede beendet zu haben, denn als er von einem seiner Kumpels gerufen wird, geht er ohne ein Wort an mich zu ihm. Ich bleibe zurück, bewege mich nicht und bin mit meinen Gefühlen vollkommen am Ende.

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