TAPE 11《Secrets》

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Über meine Brillengläser hinweg starrte ich höchst konzentriert auf das Tafelbild vor mir. Meine Recherchesammlung war heute durch ein weiteres Kärtchen, gar Spielfigur ergänzt worden, der eine komplette Wandseite für sich beanspruchte und mit Jack James Cunningford betitelt wurde.

Obwohl meine Ausarbeitungen detailliert und übersichtlich gestaltet waren, überflog mein skeptischer Blick seit einer halben Stunde erneut die Diagramme, Schaubilder sowie die Geschäftsunterlagen der jährlichen Einkommen in Europa, die ich insbesondere mit den letzten beiden Quartalen verglich.

Viele der Materialien lagen quer zerstreut auf dem Tisch, andere wiederum hatten ihren Platz direkt neben mir in dem kleinen Mülleimer gefunden. Die nützlichsten und interessantesten Informationen hingen bereits an der Wand, welche auf nicht so legale Wege zu mir gelangt waren. Der damalige Profisportler unserer Schule und der Einzelsohn einer erfolgreichen Oberschichtdynastie hatte bis heute seinen Titel als begehrtester Junggeselle sowie Womanizer beibehalten, wie ich aus zahlreichen Klatschnachrichten über ihn und seiner Eskapaden entnehmen konnte. Die gutbezahlte Privatuniversität an der er sein Studium 'erfolgreich absolviert hatte' hatte viel eher an den unverhohlen hohen Geldsummen der Spenden seines alten Herren gelegen, als an seiner überragenden Intelligenz. Jack war in exakt drei Sachen gut, nämlich sich in brenzlige Lagen zu bringen, Mädchen, um den Finger zu wickeln und Sport. Und er war ein Glückspilz. Indem er sich seinem langjährigen besten Freund anschloss und für die Firmen in Europa postiert wurde hatte er wahrlich in eine Goldgrube gegriffen.

Wie ich vermutet hatte, war Jack leicht zu durchschauen: Frauen, Sex, Geld und Luxus in Form von Autos, Yachten, Suiten entsprachen seinem Lebensmotto. Die verstrichenen Jahre hatten seine Arroganz nicht erschüttert, ganz im Gegenteil sie hatten sein Ego in Samthandschuhen getragen und zu dessen Ernährung und Aufwuchs beigetragen, gestand ich mir ein und ließ den Vormittag noch einmal vor meinen Augen Revue passieren.

Ich war wie angewurzelt bei seinem Anblick, derweilen Jack sich voller Elan auf Shanes Schreibtisch zubewegte. Das jahrelange Training zeichnete sich an seinem gut gebauten, muskulösen Körperbau ab das bei den fast zwei Metern Körpergröße nicht unbemerkt blieb. Auch hatte sich an dem Trugbild eines Engels, das durch seine kastanienbraunen Haare, das männliche ausdrucksstarke Gesicht und den leuchtend kristallklaren blauen Augen übermittelt wurde kaum etwas verändert. Hinter die optische Täuschung kamen viele junge Frauen schließlich erst, wenn Jack innen das Herz aus der Brust gerissen und zusätzlich auf ihnen herumgetrappelt hatte, sodass ihre kummervollen Seelen in einer Blutlache unter ihm untergingen. Oh nein, er war ganz bestimmt kein reines Geschöpf.

»Da lässt man dich für einige Wochen alleine und schon ruinierst du das ganze Geschäft, Kumpel? Ich frage erst gar nicht nach, wie dein alter Herr auf diese Neuigkeiten reagiert hat«, erfüllte seine tiefe Stimme den Raum. Sich vor Shanes Schreibtisch begegnend warf er ihm gefolgt von seinen Worten ein verruchtes Lächeln zu. Shane brummte auf, offensichtlich weniger angetan von Jacks Schadenfreude.

»Was machst du denn hier? Hast du nicht zuletzt noch etwas über deine sogenannten Eroberungen auf Lanzarote gesprochen. Oder hatten die Damen genug von dir und deinem aufgeblasenen Ego?«, konterte Shane mit ebenso derselben Würze und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wenn du es vermasselst, bleibt mir eben nichts anderes übrig als zurückzukehren und das Chaos zu beseitigen.«

Shane schnaubte auf, aber auch das verbarg das zu unterdrückende Zucken seiner bebenden Mundwinkel nicht. Es war das erste Mal seit Tagen, das ich den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht ausmachte, statt des grimmig dreinblickenden Züge.

»Beseitigen? Du sollst das hinbekommen?«, feuerte er demnach in leicht auftauender Laune außerdem ab, noch ehe Jack um den Tisch lief und ihm in eine Umarmung zog, die üblich für Männer war; ein fester Händedruck gefolgt von einer recht knapp gehaltenen Umarmung.

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