Erstes Kapitel

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Einige kicherten, andere schielten nervös auf ihren Teller. Claire runzelte die Stirn- Fluchen war im Essenssaal nicht erlaubt. Sie drehte sich suchend nach einem Erwachsenen um, konnte allerdings weit und breit keinen entdecken und seufzte dann erleichtert auf.

»Ich lüge nie! Alles was ich sage stimmt. «

Nach dieser Aussage brach zwischen den Beiden ein lautstarker Streit aus, der sich so sehr steigerte, dass bald pappige Möhren quer durch den Saal geworfen wurden. Natürlich enthielt Claire sich aus der Schlacht, sie hatte zu große Angst vor den nahenden Konsequenzen. Einmal hatte ein Mädchen Namens Maya für eine Woche lang die Toiletten putzen müssen, nachdem sie ihren Teller versehentlich vvom Tisch geschmissen hatte. Claire wollte wirklich nicht erfahren, was eine mörderische Möhrenschlacht für Strafen darbrachte.

»Hast du nichts Besseres zu tun als deine Suppe zu verkleckern und Löcher in die Luft zu starren? «

Die kalte Stimme eines Jungen riss Claire aus ihren Gedanken. Fragend sah sie zur Seite und bemerkte einen dunkelhaarigen Jungen, der sie verbissen ansah. Unter seinem rechten Auge zeichnete sich dunkel ein blauer Fleck ab, was seiner Haut einen noch blasseren Ton verlieh als sie ihn ohnehin schon hatte. Verwirrt darüber, dass er sie so unhöflich angefahren hatte wurde Claire prompt rot wie eine Tomate. »Ich... äh... «

»Suppe ist dazu da sie zu essen und nicht sie so lange umzurühren bis sie kalt wird und zu allen Seiten überschwappt. «, instruierte der Junge Claire in einem missbilligendem und besserwisserischem Ton, während er sie aus dunkeln Augen beobachtete.

Beschämt blinzelte sie, hörte auf mit dem Löffel in der Suppe zu rühren und legte diesen dann beiseite. Dann musterte sie den Jungen. Seine Miene war streng und er hatte etwas derartig Böses an sich, dass Claire am liebsten auf der Stelle in ihr Bett gerannt wäre um sich mit ihrer Decke einzuhüllen. Er war vielleicht ein oder zwei Jahr älter als Claire selbst, was bedeuten würde, dass er einer der Älteren war, was wiederum bedeuten würde, dass er gegen die Regeln verstieß. Das Waisenheim hatte zwei unterschiedliche Teile; der in dem Claire sich grade befand war der für den Aufenthalt von Kindern bis zu dem Alter von zehn Jahren und der andere Teil für alle die älter waren. Einmal hatte Claire Mrs. Cole die Heimleiterin gefragt, wieso es für die Kinder verboten war den jeweils anderen Teil des Heimes zu besuchen und diese hatte ihr in leicht gestresstem Ton erklärt, dass es sonst wohlmöglich zu Konflikten kommen konnte. Claire verstand Mrs. Coles Logik nicht, da trotz dieser Regel immer wieder Streite oder Prügeleien unter den Kindern ausbrachen. Allerdings hatte sie damals nur genickt und keinen weiteren Kommentar zu der blöden Regel abgegeben.

»Tut mir Leid. «, nuschelte Claire undeutlich, als sich der Blick des Jungen in sie hinein zu bohren schien. Es war ihr klar, dass er die Absicht hatte sie so einzuschüchtern und sie musste zugeben, dass er großen Erfolg damit hatte. Auf ihre Entschuldigung hin blieb sein Gesicht versteinert, doch durch seine Augen funkelte etwas hindurch was ihr vorher noch nicht aufgefallen war. Er hatte Hunger. Ohne zu zögern schob Claire dem Jungen ihre Suppenschüssel hin und streckte ihm dann den Löffel vor die Nase. Einen Moment lang hielt inne und sah sie weiterhin starr an. Dann legte sich ein Ausdruck der Verwirrung auf sein Gesicht.

»Ich habe keinen Hunger mehr. Du kannst meine Suppe haben. «, log sie und wedelte mit dem Löffel vor seinem Gesicht herum. Kritisch betrachtete er die Suppe, in seinen Augen eine unfassbar große Gier.
Ohne ein weiteres Wort nahm er sich den Löffel, griff nach der Schüssel und begann die Suppe in sich hinein zu schaufeln. Eine Zeit lang beobachtete Claire den Jungen, studierte das Veilchen unter seinem Auge und fragte sich, woher er die Verletzung wohl hatte. Neugier machte sich in dem Mädchen breit, als sie sich gleichzeitig zu fragen begann, wie es der Junge geschafft hatte unbemerkt in diesen Teil des Heims zu kommen.

»Was guckst du so? «, fragte er scharf, ohne seinen Blick von dem Essen abzuwenden. Sofort errötete sie erneut und sah dann in eine andere Richtung. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen und falls sie es doch getan hatte, dann erinnerte sie sich nicht mehr daran. Das Waisenheim war sehr groß und Claire war sehr schlecht darin sich die Gesichter anderer Menschen zu merken. Nach einer Weile riskierte sie einen flinken Blick um den blauen Fleck erneut zu studieren. Es sah aus, als wäre er gegen etwas Hartes geprallt und das mit voller Wucht. Vielleicht war er blind und war gegen einen Baum gerannt. Umgehend schlug sie sich diese Erklärung aus dem Kopf- wie sollte er blind sein, wenn er sie doch direkt angesehen und darauf angesprochen hatte, dass sie nicht in der Luft herum starren sollte? Das war vollkommen unlogisch. Als der Junge Claire plötzlich mit eisigem Blick ansah, richtete sie ihr Augenmerk flink auf ihre Hände und tat so, als wären diese das interessanteste auf der Welt. Sie bemerkte, dass er eine sehr intelligente Ausstrahlung hatte, ja, dass es fast so wirkte als könnte er jeden ihrer Gedankengänge lesen. Bei dieser Überlegung zuckte sie unweigerlich zusammen.

»Raus aus meinem Kopf.«, dachte sie zur Sicherheit und wartete eine Reaktion seinerseits ab, aber er aß ungerührt weiter.

»Wieso tun die das? «, fragte er plötzlich und nickte in Richtung der Essensschlacht. Neben der Kälte lag in seinem Blick kein wirklicher Ausdruck und es war Claire unmöglich zu raten was in seinem Kopf vor sich ging. Einige Sekunden verstrichen, bis sie merkte, dass die Frage an sie gerichtet war.

»Oh... Die streiten sich. «

»Das kann ich sehen. Aber was ist der Grund? «

»Sie behauptet, dass sie den Mörder von ihrem Vater verhaftet hat. Und das glaubt der da ihr nicht. Deswegen streiten sie sich. «, sagte Claire zögerlich und fuhr sich dann durch ihre kinnlangen Haare.

Der Junge neben ihr verdrehte kaum merklich die Augen und widmete sich dann wieder der Suppe.
Dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen war er noch nicht im Stimmenbruch gewesen. Sie legte ihre Schätzung darauf, dass er zwölf war.

»Wie heißt du? «, fragte er, nachdem er die Suppe komplett aaufgegessen hatte.

»Claire. «, antwortete sie etwas verwundert. Wieso wollte er das plötzlich wissen?

Der Junge schob die Schüssel zurück, erhob sich von der hölzernen Sitzbank und nickte mir dann knapp zu. »Danke Claire. «, sagte er leise und verschwand dann zwischen den anderen Kindern die mittlerweile damit begonnen hatten ihr Geschirr abzuräumen. Und dann aus heiterem Himmel fiel Claire ein, dass sie nicht einmal den Namen des Jungen erfahren hatte.

Vergangen // Tom RiddleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt