Familie Schwarz

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Milo
Der Morgen dämmerte, als ich zurück zu November ins Bett ging.
Erschöpft wickelte ich mich in meine Decke und betrachtete sie, sie war so facettenreich und ich fragte mich, ob ich jemals jede Seite kennen lernen würde.
Vorsichtig drehte mich zum Fenster und sah den Wolken zu, wie sie über den Himmel zogen.
Noch immer haderte ich mit mir, ob ich meine Mutter besuchen sollte, ich konnte es ja kurz machen, denn um ehrlich zu sein wollte ich nur mein ganzes Erspartes.
Ich stand auf und zog meine Klamotten an, ein letztes Mal blickte ich zu November, dann verschwand ich aus der Wohnung.
Draußen schlug mir die frische Morgenluft entgegen, es tat gut, die Mischung aus Tau, Kälte und Sonnenschein einzuatmen, die Luft klärte meinen Kopf und vertrieb die Schatten aus mir.

Langsam ging ich durch das Tor, der Vorgarten lag vor mir, alles war ordentlich und wirkte gepflegt.
Ich schluckte und lief den Kiesweg entlang, die Haustür lag in einem kühlen Weiß vor mir, "Familie Schwarz" stand auf dem Schild neben der Klingel, anscheinend hatte meine Mutter einen neuen Mann, trocken lachte ich auf, dann drückte ich die Klingel.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich die Tür öffnete, doch es fühlt sich wie Jahre an.
"Mama hier ist jemand."
Vor mir stand ein kleines Mädchen mit braunen Zöpfen und den gleichen braunen Augen wie ich.
"Oh, Milo. Ich...ich hätte nicht so früh mit dir gerechnet. Komm doch rein."
Als ich meiner Mutter folgte durchströmte mich ein Gefühl von nachhause kommen.
An den Wänden hingen noch die gleichen Fotos und noch immer roch es nach Minze.
Ich versuchte mich dagegen zu wehren, wollte am liebsten direkt wieder gehen, ich wollte das nicht fühlen.
"Ich nehme an, dich treibt nicht die Sehnsucht her?"
Fragend sah sie mich an, in ihren Augen lag eine Mischung aus Hoffnung und Trauer und für einen Augenblick spiegelte ihr Blick meine Gefühle wieder, doch nur kurz, dann erinnerte ich mich daran, warum ich hier war, ich wollte weg von hier, dieses Kapitel würde sich bald schließen, ich hatte hier nach diesem Besuch nichts mehr verloren.

"Nein. Ich bin nun mit jemandem zusammen, weißt du?", meine Stimme war leise und zitterig, die Umgebung war einfach zu viel für mich, "wir wollen weg aus der Stadt und ich wollte mein Geld abholen, mein Erspartes, was ich hier gelassen habe und mein Kindergeld. Bitte."
Ein Schweigen breitete sich aus, es war von einer bleiernen Schwere und schien mich nach unten zu drücken.
"Natürlich. Ich habe alles aufgehoben und auch noch was dazu getan. Du kannst es haben, du kannst alles haben, aber bitte verschwinde nicht wieder. Bitte."
Sie holte eine Kiste aus dem Wohnzimmer, "Milo" stand auf ihr.
"Ich habe damals so viel falsch gemacht und es tut mir so leid. Milo, bitte, verzeih mir."
Langsam liefen ihr die Tränen über die Wange.
Ich betrachtete ihre Buissneskleidung, ihre perfekten Haare, die warmen braunen Augen und das Augen - Makeup, dass von den Tränen weggeschwemmt über ihre Wangen hinunter lief. Ich hätte fast Mitleid mit ihr bekommen, doch dann kamen mir all die Nächte voller Schmerz wieder in den Kopf, die Erinnerungen brannten sich wie Säure durch mich und ließen jedes bisschen Mitleid im Keim ersticken.
"Manches kann man nicht verzeihen, weißt du. Du weißt oder wusstest vielleicht nicht wie schlimm das für mich war, doch es hat meine innerstes zerbrochen. Meine Seele ist gesplittert und sie wird nie wieder heil werden, sag mir, wie soll ich da verzeihen?"

"Es tut mir so leid, es...es tut mir s...so leid Milo. Aber ich bin jetzt ein anderer Mensch."

"Das mag sein, du kannst dieses Kapitel abschließen, aber vielleicht muss ich auch ein neuer Mensch werden, um das zu können."
Sie konnte mir nicht in die Augen schauen und blickte auf ihre Hände, alles war gesagt.
"Ich werde jetzt gehen Mutter."
"Bitte", jetzt blickte sie mich flehend an, "bitte komm irgendwann zurück, bitte, ich liebe dich Milo."
Ich zog sie kurz an mich, und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, dann ging ich an dem kleinen und Mädchen vorbei, das auf der Treppe saß und mich mit großen Augen anblickte, dann war ich draußen, in meiner Hand die schwere Kiste und in meinem Kopf die Worte "Ich liebe dich auch, Mutter, nach all der Zeit und allem Leid, trotz all den Narben auf meiner Seele, bin ich unfähig dich nicht zu lieben."
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NovemberWhere stories live. Discover now