Entglitten ( 2 )

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Meine Gedanken weckten mich, es war, als würden sie gegen meinen Schädel drücken, auf der verzweifelten Suche nach einem Ausgang.
Doch ich würde ihnen keinen Ausweg gewähren, keiner sollte sie kennen, ich wollte sie einfach ertränken, in einem Meer aus meinen eigenen Tränen.
Der Versuch, sich in den süßen Schlaf zu flüchten, schlug leider fehl.
Ich hielt meine Gedanken gefangen und sie mich.

Stöhnend öffnete ich die Augen, mein Blick glitt zu November, sie schien tief und fest zu schlafen. Aber dennoch machte ich mir Sorgen. Sie sah furchtbar aus. Ihr Gesicht war total geschwollen, ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht und sie lag seltsam abgeknickt da.
Es wirkte, als würde sie bei der kleinsten Berührung zerbrechen.

Plötzlich öffnete November ihre Augen und blickte mich an.
Ihr Blick war ein Meer von Gefühlen, Wut, Angst, Trauer und Schmerz tobten wie Sturm durch ihre Augen.

"Warum starrst du mich an?", fragte sie leise. Ihre Stimme klang rau und brüchig.
"Ich weiß es nicht. Ich mache mir Sorgen, ich...ich, keine Ahnung."
Milo, du bist ein Idiot, sagten meine Gedanken, und sie hatten recht, es war ja wohl nicht so schwer, einen vollständigen Satz zu bilden?!

November lachte, aber es klang hart und verbittert.
"Niemand macht sich Sorgen um mich, Milo, niemand."
"Doch, November, ich...", doch sie unterbrach mich.
"Nein, Milo. Lass mich allein, bitte."

Ich saß noch einen kurzen Moment da, betrachtete sie schweigend, dann stand ich auf, nahm meine Klamotten und verließ den Raum.
Ich wollte sie nicht alleine lassen. Ich wollte für sie da sein und meine Arme um sie legen.
Frustriert schlug ich gegen die Wand, wieder und wieder, bis meine Fingerknöchel aufplatzten.
Außer Atem ließ ich die Fäuste sinken und ging ins Bad.
Irgendjemand hatte November das angetan, irgendjemand hatte sie so zugerichtet und ich konnte nichts tun, nichts, nichts nichts nichts.
Ich stützte mich aufs Waschbecken und blickte in den Spiegel, mein Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzogen, in meinen braunen Augen brannte ein Feuer, das ich nicht kannte und meine dichten dunkel braunen Haare standen in alle Richtungen ab.
Ich schloß die Augen und versuchte mein rasendes Blut unter Kontrolle zu bekommen.

Ich beschloss zu duschen und raus zu gehen, die Wände waren zu einem Gefängnis geworfen, das mich einengte und die Luft zum Atmen nahm.

Ich trat vor die Tür und atmete die kalte Luft ein, es war eine Wohltat.
Die frische Luft strömte durch meinen Körper und ich beruhigte mich.

Ich lief ziellos durch die Straßen, ich hatte keine Ahnung, wohin mich die Straßen führten, ich kannte diesen Stadtteil nicht, aber das war egal, so war mein Leben nun mal, ich war Orientierungslos, ohne Richtung und Ziel.
Ein trockenes Lachen drang aus meiner Kehle, ein Leben ohne Ziel und Sinn, ist das überhaupt ein Leben?
Ich dachte an die Zeit zurück, wo noch alles gut war, aber das lag so weit zurück. Mit siebzehn war ich von zuhause abgehauen, so voller Zuversicht, dass ich mein Leben in den Griff bekommen würde, so absurd, so dumm.
Doch diese Hoffnung hatte mich stets voran getrieben. Jetzt mit neunzehn sah das ganz anders aus, da war keine Hoffnung mehr, aus mir würde nichts mehr werden, ich bin ein Versager.

Mit einem Kopfschütteln versuchte ich die Gedanken aus meinen Gedanken zu vertreiben.
Ohne es zu merken war ich zu Novembers Haus gelaufen.
Ich stand vor der abgenutzten Tür, doch konnte sie nicht öffnen, mein Herz zog mich hinein, doch mein Körper wollte davon rennen.
Schließlich wand ich mich ab und folgte der Straße Richtung Bahnhof.
Ich holte mein Portmonee aus der Tasche, ich besaß noch ganze 5€.

Frustriert ging ich zum Bankautomat, steckte meine Karte ein und checkte meinen Kontostand 3605€.
Meine Mutter überwies mir also immer noch Geld.
Ich hasste dieses Geld, ich wollte es nicht, sie hatte mich für das Geld geopfert.
Ich schlug gegen den Automaten, entschied mich dann aber doch dafür, Geld abzuheben.
Ich steckte die Scheine in meinen Geldbeutel und ging mir was zu essen kaufen.

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt