Ruhelose Seelen

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Novembers Wohnung roch nach Pfefferminztee und Zigaretten.
Vorsichtig sah ich mich um, der Flur
war bis auf ein paar Harken für Jacken leer und in einem hellen blau gestrichen.
Zwei der vier Türen, die vom Flur abgingen, waren geschlossen.
Von den offenen führte eine in die Küche, die ebenso karg eingerichtet war wie der Flur, durch die andere kam man ins Wohnzimmer.
Es war gemütlich eingerichtet und nach dem kargen Flur hatte man das Gefühl in eine andere Welt zu kommen.

In der Mitte des Raumes stand ein riesiges, u-förmiges Sofa. Es war aus weißem Leder und einige Lammfelle lagen darauf.
In der Mitte des Sofas stand ein Tisch. Er war bedeckt mit Kerzen und ein randvoller Aschenbecher stand auf ihm. Auf dem Boden lagen überall große sitzkissen, dazwischen Bücherstapel und eine Shisha.
Die Wände waren bedeckt mit Fotos und Zeichnungen, auf der Fensterbank lag in der einen Ecke ein Kissen, eine Decke und ein Buch.
Ob sie da öfters sitzt, ließt und hinaus schaut?
"Du solltest deine nassen Sachen ausziehen."
Ich schrak zusammen.
"Ich...ich hab nichts zum wechseln.."
"Das macht nichts", sagte sie und reichte mir eine Decke, " leg deine Sachen zum trocknen auf die Heizung und wickel dich in sie. Außerdem", ein leichtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, "gucke ich dir schon nichts weg."
Mit diesen Worten verschwand sie in die Küche.

Schnell zog ich meine Sachen aus und legte sie auf die Heizung. Dann legte ich die Decke um mich und setze mich auf das Sofa.
"Ich habe leider nicht viel zuhause, eine Tasse Tee, eine Zigarette und Salzstangen kann ich dir anbieten."
November stellte eine Tasse vor mir ab und ließ eine Tüte neben mich aufs Sofa fallen.
Als ich zu ihr blickte und sie näher betrachtete, fiel mir auf, wie wunderschön sie war.
Sie war recht groß, ich schätzte sie auf 1,80 und alles an ihr wirkte weiß, ihre Haut war blass und makellos, ihr Haar lang, glänzend und seidig, ihre Lippen voll und rosa und ihr Gesicht wirkte wie aus Elfenbein.
Sie ist ein Albino.
"Genug gestarrt?"
"Tut mir leid." Ich senkte den Blick und starrte in meine Tasse.
"Alles gut", sagte sie ein wenig belustigt, dann wurde ihre Miene ernst, "was sollte das da oben? Du wolltest doch nicht ernsthaft springen?"
"Doch, ich habe keinen Platz in dieser Welt."
Meine Stimme zitterte und ich hielt noch immer meinen Blick gesenkt.
"Sieh mich an."
Sie hatte sich nach vorne gelehnt und musterte mich. "Wir alle haben einen Platz. Manchmal ist es nur schwer ihn zu finden."
"Hast du deinen Platz schon gefunden?"
"Nein", ihr Blick glitt zum Fenster, dann wieder zu mir, "aber das heißt nicht, dass es ihn nicht gibt."
Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen.
Sie zog sie Beine an, legte ihren Kopf darauf und sah erneut aus dem Fenster.
Für einen Moment schien sie weit weg zu sein, abgetaucht in eine Welt, die sich mir nicht eröffnete, losgelöst von allem.
Die Sonne schien ihr ins Gesicht und ließ ihr Haar wie Seide schimmern, es war unmöglich, den Blick von ihr zu wenden.
"Man darf nie aufhören zu suchen. Irgendwann kommt man an. Der Weg ist hart und lang, aber irgendwann öffnet man morgens die Augen und ist zuhause. Also so richtig, seelisch und körperlich angekommen. Ich suche schon lange, versuche, meiner ruhelosen Seele ein Zuhause zu geben, aber wie soll man einen solchen Ort finden, wenn die Seele in 1000 teile zersprungen ist und jeder Seelensplitter etwas anderes will? "
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, so viel Ehrlichkeit, Schmerz und Verletzlichkeit lag in diesen Worten, so viel leid.
"Du kannst hier auf dem Sofa schlafen", sagte sie und verschwand im Zimmer neben an.
Kurz darauf erfüllten die Klänge eines Klaviers die Wohnung.

NovemberWhere stories live. Discover now