Vorgeschichte

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4523 Sonnenzyklus, Sintiasa
Mosaikgürtel
Anfang des ersten Eismondes

„Haruma, lauf nicht so weit vor, der Boden ist eisig also sei vorsichtig!" Das kleine Mädchen drehte sich um und grinste seine Mutter an, wartete ein wenig und rannte wieder zu der in Decken gehüllten Frau zurück. Als sie gerade an einer der tausend Gassen Sintiasas vorbeilief, erkannte sie einen Stoffballen vor der Mauer. Mehr und mehr verlangsamte es ihr Tempo und blieb direkt vor dem Eingang in die Gasse stehen. Nun erkannte sie einen Jungen welcher in ein bündel Decken eingewickelt war. Langsam hob sich das Haupt des Jungen, seine grünen Augen direkt auf sie gerichtet. Er war vollkommen abgemagert und unter seinen Augen waren tiefe Ringe. Trotzdem strahlten sie eine unglaubliche Macht aus.
„Haruma, was ist denn...", Die Frau sah nun ebenfalls den Jungen in der Ecke der Gasse, wie angewurzelt blieb sie stehen. Den Jungen schien die Art wie die beiden ihn betrachteten nicht zu interessieren. Er schloss seine Augen und versteckte sein Gesicht in der Decke. Die Frau schaffte es aus ihrer Starre zu kommen, ohne ein weiters Wort zu sagen, nahm sie ihr Kind an der Hand und zog es von der Gasse weg.

Der Junge betrachtete die beiden aus dem Augenwinkel. Er nahm es der Frau nicht übel, ganz im Gegenteil, er würde an ihrer Stelle das gleiche tun. Menschen wie er waren hier in diesem Stadtteil selten und außerdem unerwünscht. Aus Gewohnheit kuschelte er sich tiefer in die alte Decke, welche den kalten Nordwind so abhielt wie ein Stück Papier das reißende Wasser eines Flusses. Dieses Mal würde er sterben, da war er sich sicher. Er würde nicht mehr so viel Glück haben wie die letzten male. Er richtete seinen Blick zum Himmel und betrachtete Sterne und Mond, welche immer wieder von den Wolken verschluckt wurden, nach kurzer Zeit jedoch wieder am Nachthimmel auftauchten. Der Winter hatte gerade erst angefangen, es würde wohl auch bald anfangen zu schneien. Den Wolken nach zu urteilen in nicht allzu ferner Zukunft. Sein Bauch gab ein knurren von sich, er hatte schon seit mehr als einer Woche nichts mehr festes zu sich genommen, nur das Wasser welches er bei dem letzten Regenschauer mit einem alten Kochtopf aufgefangen hatte, hielt ihn am Leben. Die Kälte nagte an seiner Haut und er wusste, dass er keine Kraft mehr hatte um aufzustehen, er war am Ende. Langsam schloss er seine Augen und hörte den Schritten der vorbeischreitenden Pferden und Menschen zu. Plötzlich wurden die Schritte lauter und er öffnete langsam seine Augen.
Vor ihm stand ein Mädchen, der Größe nach zu urteilen in ungefähr dem gleichen Alter wie er selbst. Sie trug einen smaragdgrünen Mantel, welcher so lange war, dass er den Boden striff. In ihrer linken Hand hielt sie einen geflochtenen Korb, dessen Inhalt von einem Tuch verdeckt wurde.
Sie starrte ihn mit ihren dunkelgrünen Augen an ohne sich vom Fleck zu bewegen. „Was ist? Ist es in ihrer Interesse ein Straßenkind bei seinen letzten Momenten zu beobachten?", meinte der Junge mit kratziger Stimme. Es hörte sich nicht so an, wie er es sich vorgenommen hatte, er war einfach schon zu schwach und zu müde um seine Worte mit sarkasmus auszuschmücken. Das Mädchen sah ihn nur unbeeindruckt an und antwortete nicht auf seine Fragen, nicht, dass er dies erwartet hätte. Sie war bestimmt die Tochter irgendeiner adeligen Familie. Wäre er bei voller, nein, sogar bei halber Kraft würde er es bestimmt schaffen ihr den Korb mitsamt dem Mantel zu entreißen und zu verschwinden. Ihre Eltern würden ihr bestimmt ohne viel Krach neue Sachen kaufen. Er betrachtete das Mädchen noch einmal von oben bis unten. Ihre schwarzen langen Haare hatte sie außerhalb des Mantels, sie reichten ihr bis zu ihren Knien. Ihr Gesicht war ein typisches Kleinkind Gesicht, trotzdem war sie dünner als die Kinder der Adeligen die er normalerweise auf der Straße gehen sah. Das einzige was heraus stach, waren ihre Augen, welche wie reine Smaragde auf ihn herabblickten, trotzdem hielt er ihnen stand. Er lebte schon länger auf der Straße, er würde sich schämen, hätte er dies nicht gekonnt. Er war viel zu stolz um sich helfen zu lassen, was wohl auch der Grund für seine missliche Lage war. Er hätte den Winter bei einem Freund verbringen können, in seiner Hütte wäre es ihm bestimmt besser ergangen als hier, doch er wollte seine Hilfe nicht.
Da das Mädchen noch immer keine Anstalten machte zu gehen, entschloss er sich sie zu ignorieren. Resignierend schloss seine Augen und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Er würde ihr bestimmt nicht den Gefallen machen, ihm dabei zuzusehen wie seine Augen verblassen, während seine Seele seinen Körper verließ. Immer weiter tauchte er unter in seine Gedanken und dachte zurück an die Zeit, als er mit seiner Familie vor dem alten Kamin saß und sein Vater ihm Geschichten seiner Vergangenheit erzählte. Die Wärme des Feuers breitete sich im Raum aus und der Geruch des Brotes, welches seine Mutter aus dem Ofen zog, stieg ihm in die Nase. Er öffnete ohne Vorwarnung die Augen und blickte an sich hinab.

Er war nicht mehr von der alten Steppdecke bedeckt, sondern von einem smaragdgrünen Mantel. Doch nicht nur das war es, was ihn überraschte, sondern genauso der große Laib Brot, welcher zwischen seinen Füßen lag. Vorsichtig sah er sich um, das Mädchen war verschwunden, die Fußspuren, welche sich in der frischen Schneeschicht gebildet hatten zeigten in die Richtung der Hauptstraße. Wieder blickte er an sich hinab und hob das Brot mit Anstrengung auf seinen Schoß. Mit Anstrengung brach er ein kleines Stückchen Brot ab und schob dieses in seinen Mund. Es dauerte eine Zeit, bis er es schaffte das Stück zu zerbeißen, doch letztendlich schaffte er es.
Wer auch immer dieses Mädchen gewesen war, sie hatte ihm das Leben gerettet. Er dachte zurück an ihre Augen, welche auf ihn herabsahen. „Sieht so aus, als hätte mich mein Glück noch nicht vollends verlassen.", meinte er leicht grinsend, brach sich ein Weiteres Stück Brot ab und betrachtete die frisch vom Himmel fallenden Schneeflocken.

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Matsoka//unsolved MysteriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt