Erster Tag

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Die Klasse gibt es seit letztem Jahr. Zu ihr gehören vor allem Kinder aus Osteuropa, die in ihrer Heimat die Grundschule besucht haben und jetzt Deutsch lernen müssen. Mit ihnen redet man langsam, betont und mit vielen Gesten. In zwei Jahren sollen sie soweit sein, dass sie dem Unterricht in einer regulären Klasse folgen können.

Es passiert nicht selten, dass neue Kinder von einem Tag auf den anderen dazu kommen. Die Eltern ziehen meist aus beruflichen Gründen nach Deutschland. Kaum ist die Familie in Fürth angemeldet, werden die schulpflichtigen Kinder in eine Übergangsklasse geschickt. Letztes Jahr war die Klasse am Ende des Schuljahres doppelt so groß wie am Anfang. Die Kinder sind daran gewöhnt, neue Kinder in ihrer Mitte aufzunehmen und ihnen zu helfen. Bis jetzt waren es immer neue Osteuropäer und es gab jemand in der Klasse, mit dem die neuen Kinder reden konnten.

Nicht dieses Mal. Nadir und Ghazi kommen aus Afghanistan und Syrien. Sie verständigen sich gegenseitig mit Brocken auf Arabisch und – große Erleichterung – Englisch. Der Syrer spricht lange und seine schwarzen Augen wirken wie hypnotisierend. Ich antworte, dass ich keine Ahnung habe, wovon er redet. In der Hoffnung, er versteht meine Körpersprache irgendwie. Er will zur Klasse, in der Arabisch gesprochen wird. Hier gibt es nur Deutsch, versuche ich ihm zu erklären.

Meine Aufgabe ist es, beide mit zwei anderen neuen Schülern an die deutsche Sprache heranzuführen. An diesem ersten Tag spielen wir alle Memory. Da kann man „gut" und „nicht gut" schon einfach üben.

Ghazi sagt spontan „nicht gut, scheiße". Innerlich grinse ich und denke, dass die Integration manchmal schneller läuft, als es uns recht ist. Mein Gesicht bleibt ernst und ich sage „Scheiße sagt man nicht in der Schule". „Scheiße nicht gut?", fragt Ghazi sofort. „Nicht gut", bestätige ich. „I am sorie", sagt er und ich nutze gleich die Gelegenheit, ihm das Wort „Entschuldigung" beizubringen.

An diesem ersten Tag ist es besonders schwer, ihnen die Regeln der Schule zu erklären. Andere Kinder wissen schon, dass Handys Tabu sind. Die Handys von Nadir und Ghazi klingen mitten im Unterricht. Ohne zu zögern, sagen sie „one moment" und gehen ran.


Alltag in der ÜbergangsklasseΌπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα