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„Hat jemand noch eine Frage an Melanie? Seit bloß nicht Schüchtern!"

Zwei Jungs, kaum älter, oder größer als Ich, hoben die Hände lässig in die Höhe.

Den mit den kurzen schwarzen Haaren nahm Ich zuerst dran: 

„Bist du noch zu haben, oder hast Du schon einen Freund gefunden?", Ich hustete, konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen und bemühte mich die Nervosität irgendwo in mein Knochenmark zu verbannen, wo es mich zittern ließ, aber nicht störte.

Von wegen Schüchtern, der Junge in dem zu engen roten T-Shirt und den hoch frisierten kurzen Haaren ging direkt zur Sache und nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Die Leute hier waren ganz anders als die in London. Sie taten was sie wollten und waren nicht so verklemmt und verdammt desinteressiert höflich.

„Ich bin noch frei", nuschelte Ich dann und richtete mich hastig an einen anderen Jungen, der eifrig die Hand hochriss, bevor Ich mich doch für den großen Blonden entschied, der seinen muskelbepackten Arm schon eine viel längere Zeit in die höhe gestreckt hielt. Musste sicher anstrengend sein...

„Wieso bist Du hierhergezogen, von London...?"

Doch meine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich und dabei biss Ich trotzig die Zähne aufeinander, als wollte Ich das sie unter dem Druck zerbersten. Das geht dich einen Scheißdreck an! Wieso willst Du das wissen?! Hat dich nichts besseres zu interessieren?! Nichts in meinem drehenden Kopf, nicht einen einzigen Satzfetzten konnte Ich finden in dem Ich den Jungen freundlich darauf hinweisen könnte, dass Ich nicht über das geschehene Reden wollte.

Was willst Du hören? Fragte Ich mich selbst; 

Meine Eltern wurden von riesigen Tieren zerfetzt da war Ich gerade einmal sechs und musste mich die nächsten drei Jahre mit einem Seelenklempner und unzähligen Psychiatern herumschlagen. Die Polizisten nannten mich damals „die Abgebrühte" weil sie nicht verstehen konnten, wie Ich die Leichen meiner Eltern so kalt identifizieren konnte, ohne zu weinen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, einfach so.

Aber so „einfach" war das gar nicht, wie Ich mich erinnerte. Die beiden dort liegen zu sehen, auf dem dreckigen, moosbesetzten Boden, halb von irgendwelchen Laken verdeckt, gehüllt in das Mondlicht und besetzt vom frühsten und rauesten Morgentau, das ließ etwas gewaltig zerspringen, irgendwo ganz tief in mir. Es zerstörte das scheinbar unbrechbare Gefühl der Zugehörigkeit und machte mir schon sehr früh klar, das Ich mich auf der Stelle zusammenreißen musste, um weitermachen zu können.

Keine Welt auf Erden konnte das gesehene ungeschehen machen, oder das geschehene ungesehen. Keiner könnte jemals das Loch, diese unendliche Leere, füllen, die Mom und Dads Tot in mich gerissen hatten, ABER es gab Menschen, die Fungierten wenigstens als eine Art Abdecktuch.

Und sie ließen mich vergessen, nicht vergeben.

Wie Jinger.

„Familiäre Gründe", brachte Ich schließlich, nach einer endlosen Grübelei und tiefem Stillschweigen heraus, dann beendete Ich die Fragerunde an „die Neue" schlicht, indem Ich mich einfach in die Menge platzierte und dennoch stille Distanz wahrte.

Ein weiterer Junge, es gab hier viel zu viele, brach den Abstand den ich setzte, indem er in meinen persönlichen Bereich eindrang, genau in dem Moment als er meine Schulter antippte: „Hey, singst Du genauso gut wie Du aussiehst? Weil dann....WOW! Oh entschuldige, wo bleiben bloß meine Manieren, Ich bin Jasper, schön Dich kennenzulernen"

Nachdem Ich mich umgedreht hatte, stand Ich direkt vor Ihm, eigentlich viel zu dicht, aber es schien keinen zu stören, weder Ihn noch irgendjemand sonst und Ich wollte auch nicht unhöflich sein oder Ihm das Gefühl geben Ich wolle auf Abstand gehen, also beließ Ich es dabei. Obwohl Ich ja genau das getan hatte.

„Wie nett von dir...Jasper. Auch schön dich kennenzulernen...", Ich lächelte verlegen, verlor plötzlich allen morgens gesammelten Mut und spürte dabei wie mir eine heiße Röte in die aufgeblasenen Wangen schoss, kurz bevor Ich den Kopf abwandte, unter dem Vorwand den bedeutungslosen Worten von Mrs. Jonson zu lauschen. Es sah nicht schlecht aus...okay das war gelogen, es sah GUUUUUT aus, sogar mehr als das. Mit seinem dunkelblonden Haar und den glasklaren, eisblauen Augen glich er einem durchtrainierten Schutzengel und Ich glaubte eine Aura um Ihn zu spüren, die mir genau das vermitteln wollte, natürlich ohne die Behauptung aufzutun das er ein Engel wäre.

Ich war gerade dabei mich doch noch mit Jasper zu unterhalten, obwohl Mrs. Jonson zaghaft versuchte den Unterricht anzukurbeln, da unterbrach uns ein anderer Junge, nämlich der, den Ich vorhin nicht hatte zu Worte kommen lassen, weil ich den Blonden vorgezogen hatte und der dann die falsche Frage zur Falschen Zeit gestellt hatte. Braunhaarig war er und Ich glaubte Kajal auf seiner Wasserlinie zu erkennen: „Süße, willst Du mir nicht mal etwas vorsingen, wer weiß, vielleicht bekommst Du ja dann auch meine Nummer"

Und auch wenn Ich eigentlich vorgehabt hatte Ihn einfach zu ignorieren, so schien es Jasper wohl gar nicht zu gefallen, dass jemand IHN beim Reden unterbrochen hatte, besonders dieser Kerl mit Schminke im Gesicht. Jas ließ zuerst dramatisch die Fäuste knacken, wie in einem dieser Actionfilme, dann den hochgereckten Nacken,

er warf dem Jungen Killerblicke zu, die Ich unbedingt auch erlernen wollte.

Und für einen kurzen Moment schienen seine Augen die Farbe zu wechseln, zu einem brennenden, totbringenden Feuerrot.


Neues Leben (Band 1) *Überarbeitung abgebrochen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt