Der Flug ist das Leben wert

88 17 12
                                    

Der Wind weht mir ins Gesicht, die Luft ist kalt, wie kleine Eissplitter, die gegen meine Wangen gefegt werden. Ich lächle, weil es mir nichts ausmacht. Hier oben ist alles egal. Hier oben nur, bin ich wirklich frei.
Ich schaue auf die Hügel und Städte hinab. Menschen wie Ameisen, in deren Hügel ich als Kind mit einem Stock herumstocherte. Auch die Menschen würden auseinanderstreben, wenn ein riesiges etwas auf sie hinabfallen würde. Ich sehe sie vor mir, die zahllosen kleinen Punkte, die sich auf der Flucht verteilen wie Sand, den man in die Luft wirft.
Es dämmert und ich kann mein Armaturenbrett kaum noch erkennen. Kleine Lichter werden hie und da angezündet, die Städte noch klarer als am Tage.
Manchmal stelle ich mir vor, ich würde durch die Sterne fliegen wie ein kleiner Komet auf seiner Bahn in die Unendlichkeit. Die Städte sind die Galaxien, die dunklen Berge wie schwarze Löcher, die gefährlich werden, wenn ich ihnen zu Nahe komme.
Wie kann es sein, dass ich eine der ersten Frauen hier im Himmel bin? Wie kann es sein, dass nur so wenige Menschen den Himmel für sich beanspruchen? Wie könnte Angst mich davon abhalten, hier oben aufzuleben?
Der Mensch ist aus dem Wasser gekommen, hat auf der Erde gelebt und fliegt jetzt.
Der Mensch fliegt!
Um nichts in der Welt würde ich diese berauschende Freiheit eintauschen, dieses Gefühl von Einzigartigkeit, das ich hier in meiner geliebten Maschine weit über den schlafenden Köpfen der Menschen und Ameisen verspüre.
Ich fliege gegen den Wind zwischen den Sternen meines Universums und bin mir sicher:
Der Flug ist das Leben wert.

Inspiriert von "Halbschatten" von Uwe Timm

MomenteDonde viven las historias. Descúbrelo ahora