Verliebte

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Es sind zwei blinde Wesen mit langen und kurzen Fühlern, die nach einander greifen, sich ausstrecken und wieder zusammenrollen, wenn sie niemanden finden. Sie suchen und sehnen sich nach dem anderen, ohne ihn berühren zu können. Streckt der eine die Hand aus, zieht der andere sie kurz davor zurück. Nur manchmal, da geschieht es, dass beide fast zum selben Zeitpunkt ihre Fühler ausstrecken. Die Distanz zwischen beiden wird immer kleiner, kleiner, aber nicht null.
Erst, wenn beide das Risiko eingehen, dem Sog nachzugehen und die Angst zu vergessen, dass der andere sich zurückzieht - erst dann können sich allmählich - langsam, ganz langsam - die leuchtend blinden Fingerspitzen berühren. Die Fühler vereinigen sich, gewinnen an Stärke, verwandeln sich in Glück. Die Finger verschränken sich miteinander, halten sich gegenseitig fest, stützen sich - sanft und liebevoll und andere Male fordernd und durstig nach dem Saft der Liebe, die die Zweisamkeit hergibt. Sie halten sich fest. Fühler an Fühler. Und langsam fährt der Schleier hoch, gleitet davon, wenn auch immer in der Nähe - sie beginnen sich zu sehen und zu akzeptieren. Sie verstehen einander, gehören zusammen und weinen, wenn der Schleier der Blindheit sich erneut über sie legt und ihr Vertrauen schwinden lässt.

MomenteWhere stories live. Discover now