6 ~ Renn!

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Pike hatte eine enorme Ausdauer. Der Weg zum Blumenmeer betrug etwa eine Viertelstunde Laufzeit und die Geschwindigkeit von Pike verlangsamte sich kein einziges Mal. Mysterias Lungen protestierten heftig. "Lasst den verdammten Aufstand!", dachte sie genervt, während sie langsamer rennen musste und dabei schnaufte, wie ein Pottwal an Land.

Das Knistern und Knacken, das sie immer noch hörte, wurde bei jedem Schritt lauter und schienen alle anderen Geräusche zu übertönen. Sie glaubte sogar hier und da einen Schatten zu sehen.
Mysteria bog um die Ecke und wünschte sie wäre schneller gelaufen, gleichzeitig wollte sie weit weg sein. Entsetzt blieb sie stehen und musste erst das Bild, das sich vor ihren Augen bot, begreifen, bevor sie raste.

Ihr zu Hause brannte lichterloh.

Das war es. Das Knistern und Knacken war das Haus, das von den Zungen des gierigen Feuers genüsslich verschlungen wurde.
Und die Schreie...

"Lithium! Onyxia!", schrie Mysteria.
Sie spürte ein vertrautes Kribbeln und ihre Augen wurden wachsam. Die Magie floss, mit dem Blut durch ihre Adern. Es verteilte sich, wie Sauerstoff, in jede einzelne Zelle ihres Körpers.

Hastig holte sie Regenwolken herbei und schon prasselte es, als wäre ein Wasserfall explodiert. Binnen Sekunden war alles an Mysteria klatschnass, doch es kümmerte sie nicht. Wo war Pike? Konnten sich ihre Cousinen in Sicherheit bringen?

Der schwarzer Rauch war überall und verätzte ihre Nase und Kehle, trieb ihr die Tränen in die Augen.
Jemand riss sie in den, vom Regen schlammigen Boden und hielt sie fest. Mysteria schrie und wand sich, biss, kratzte und trat um sich, wie eine wildgewordene Katze.
Die matschige Erde flog herum und machte Kleider, sowie Haut braun.

"Halt endlich still!", sagte die Stimme und Mysteria hielt inne. Die Stimme kam ihr bekannt vor.
Auf ihr war ein Junge, etwa in ihrem Alter, der sie finster ansah.
An seinen riesigen, schwarzen Schwingen erkannte sie, dass sie einen Caelio vor sich hatte, einen gefallenen Engel.
Von dem ganzen Gerenne und Gestrampel hatte sich Mysterias Atem beschleunigt. Der Caelio musterte ihr Gesicht und beugte sich etwas näher zu ihrem Gesicht hin. "Ich kenne dich", murmelte er.
"Ich dich, aber nicht!", zischte Mysteria und hoffte, dass er nicht bemerkte, wie sie log.

Mysteria hatte ihn schon mehrmals in ihren Träumen gesehen. Der Unbekannte, der ein einziges Geheimnis war, doch sie biss sich lieber die Zunge ab, als es zuzugeben.
Sie musste Pike und den Zwillingen helfen!
Wieder wand sie sich.
Warum musste dieser Fleischklops auch nur so ein schweres Gewicht haben?

Sie hörte weitere Schreie und alle Farbe wich aus den sonst rosigen Wangen.
"Vergiss es, Süsse. Du kannst sie nicht retten. Komm lieber mit uns. Du wirst in Sicherheit sein", flüsterte der blonde, attraktive Caelio in ihr Ohr. Seine aquarinfarbenen Augen hielten Mysteria für einen Moment in seinen Bann und für einen kurzen Moment hätte sie ihm zugestimmt.
Doch dann knallte es. Er wurde von ihr geschleudert und landete zwanzig Metern von ihr entfernt.
So plötzlich, dass er vor Überraschung nicht seinen Fall mit den Flügeln gestoppt hatte. Verdutzt sah er sie an, doch Mysteria rappelte sich nur auf und rannte in das Haus.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie es eben geschafft hatte, den Fleischklops von sich zu schleudern, aber im Moment war es ihr egal.
Hauptsache er war weg.

Die Hitze und der Rauch schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht, dass sie inne halten und heftig Husten musste. Pike erschien, wie aus dem Nichts und stiess Mysteria aus dem Haus. Hastig sah sie sich um, bevor sie sich mit vor Wut blitzenden Augen zu ihrer Freundin wandte. "Bei der Erzengels Spucke! Hab ich nicht gesagt, du sollst auf mich warten?!", zischte Pike. "Lass mich los! Ich muss meinen Cousinen helfen!", wehrte Mysteria sich und versuchte sich von Pikes eisernem Griff zu befreien.
"Ich habe sie schon gefunden, Myssie", sagte Pike. "Aber die Frottela sind hier!"
"Was für Frottee ist wo?" Mysteria richtete ihre Konzentration nun auf das Mädchen vor ihr, dessen Haar grau vor Asche war. Pike fluchte leise.
"Stell keine verdammten Fragen! Wir haben sowieso keine Zeit dafür. Wir müssen zu Chera, sie wird uns beschützen. Lauf Richtung Norden, ich folg dir im Abstand."
"Aber-"
"Renn!"
"Pike w-"
"Nun mach schon! Oder muss ich dir beibringen, wie es geht?", sagte Pike, sichtlich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren.
"Lithium u-"
"Verflucht, ich kümmer mich schon darum und jetzt renn!"
Pike schubste sie in die Richtung und Mysteria rannte erneut.
"Pike sagte, sie weiss, wo Lithium und Onyxia sind. Also muss es ihnen gut gehen. Sie müssen sich in Sicherheit gebracht haben. Pike wird hinter mir sein. Sie ist immer hinter mir."

In ihren Gedanken vertieft, bemerkte sie nicht, dass ihr jemand folgte, der nicht Pike war.

Die Chroniken der SchattenwesenWhere stories live. Discover now