Kapitel 1

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Eine Weile stand ich so da und weinte mich aus, bis meine Tränen versiegten und einige kleine Tröpfchen auf Pietros Trainingsjacke hinterlassen hatten. Ich wischte mir über die Augen und murmelte eine Entschuldigung. Erlächelte nur und tätschelte mir in einer leicht unbeholfen wirkenden Geste die Schulter. Verlegen räusperte ich mich und sofort schien er sich zu erinnern, warum er eigentlich gekommen war. „Ich soll dich mitnehmen. Sie wollen dich sehen." Erschrocken fuhr ich zurück, die Bilder aus der Halle wieder vor Augen. „Ich... Ich kann nicht zu ihnen. Nicht wo ich ihnen wehtun kann." Traurig sah er mich an. „Dr. List meinte, dass so etwas wie in der Halle nicht noch einmal passieren kann. Dein Körper hat sich während du hier unten warst seiner Meinung nach mit seinen neuen Fähigkeiten ein wenig angefreundet. Der Baron ist ganz angetan von der Theorie und kann es kaum erwarten dich auszubilden." Er drehte sich um, hielt aber inne. „Außerdem werden so an die 20 Soldaten beim kleinsten Funken Löcherkäse aus dir machen." Obwohl er mir gerade meine sowieso schon geringen Überlebenschancen verringert hatte, hatte er mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ein echtes, wahres und sich unglaublich schön anfühlendes Lächeln. Er runzelte die Stirn. „Was ist so komisch?" Langsam wurde mein Lächeln zu einem Grinsen.„Löcherkäse- So hab ich ihn genannt als ich vier war!" Er erwiderte mein Grinsen und hielt mir den Arm hin. Ich warf einen Blick zurück auf Sam's Zelle und meinte beinahe ein leises Lachen und ein gemurmeltes „Löcherkäse- einfach unglaublich" zu hören,bevor ich mich auf Pietros Arm gestützt humpelnd auf den Weg zu den Menschen machte, die ihm das angetan hatten.

Wir waren keine zwei Minuten durch steinerne Gänge geirrt, da standen wir schon vor einer schmalen, ausgetretenen Wendeltreppe. Nach Luft schnappend lehnte ich mich an die Wand und wischte mir über das Gesicht. Pietro stellte sich auf die gegenüberliegende Seite und wartete geduldig.Irgendwann brachte ich meinen Körper wieder einigermaßen zur Ruhe und betrachtete die Treppe. Pietro schien meine Gedanken erraten zuhaben und sagte ein wenig verlegen „Ich fürchte, ich muss dich tragen." Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich von ihm hochheben. Anders als beim letzten Mal nahm er nun Rücksicht aufmeine Verletzungen und stieg die Treppe in einem normalen Tempo hinauf. Trotzdem war ich überrascht, wie leicht es für ihn schien,mit mir auf den Armen diese nie enden wollende Treppe hinauf zusteigen. Ich fühlte mich tatsächlich ein wenig sicher, und während ich seinem gleichmäßigen nur leicht angestrengten Atem lauschte nickte ich ein.

Ich wachte wieder auf als er mich runter ließ, und beinahe wäre ich umgefallen. Rechtzeitig fing ich mich und stütze mich an der Wand ab, die plötzlich nicht mehr aus gemauertem Stein sondern aus glattem Beton bestand. Wir waren am Ende der Treppe angekommen und standen nun in einem kurzen Gang zwischen dem Treppenabsatz und einer großen, schwer aussehenden Stahltür. „Oh nein tut mir leid tut mir leid!" rief Pietro hastig und legte mir besorgt eine Hand auf die Schulter. „Hast du dir wehgetan?" fragte er. Ich schüttelte den Kopf und richtete meinen Blick auf die Tür. Immer noch leicht zerknirscht ging er zu einer Art Tastenfeld hinüber und tippte mit sicheren Fingern einen Code ein und öffnete so die Tür. Er hielt mir wieder seinen Arm hin und ich humpelte hindurch.

Sofort spürte ich, wie sich die Luft um mich herum veränderte. Sie wirkte nicht nur frischer als unten in den steinernen Gängen, sondern auch geladener,freundlicher. Ich spürte plötzlich ein bekanntes Gefühl in mir aufsteigen, und ein leichtes Funkeln umspielte meine Finger.Anscheinend gab es hier wieder Elektrizität, deren Pulsieren ich als leichte, beruhigende Lichtströme wahrnahm, die die trostlosen Gänge mit einer Art Leben füllten. Ein Soldat trat uns entgegen, das Gewehr im Anschlag. „Maximoff, ab hier übernehme ich." befahl er. Hinter ihm reihten sich mehr Uniformierte auf, alle bewaffnet.Ich spürte, wie sich Pietro neben mir leicht anspannte. „Was soll das? Wir sollen alle dabei sein, oder nicht?" Der Soldat zögerte bevor er antwortete: „Reine Sicherheitsmaßnahme, angeordnet von Dr. List. Falls er sich irrt." „Dann wird es auch nichts nützen wenn ich zwei Schritte neben ihr gehe." lachte Pietro ironisch. Der Soldat zuckte nur mit den Achseln. „Wie du willst, wir begleiten euch trotzdem." Und so setzten wir unseren Weg fort, bis sich plötzlich wieder eine Tür öffnete und ich wieder in dem Raum mit den Bücherregalen stand.


Wieder fühlte ich mich in ein anderes Leben versetzt. Unter anderen Umständen hätte ich diesen Raum gemütlich gefunden, wenn der große Schreibtisch oder die seltsamen Gerätschaften nicht gewesen wären. Und wenn die Leute nicht wieder in ihrem Halbkreis um den Schreibtisch sitzen würden.Sie starrte dieses Mal jedoch nicht mich an, sondern blickten auf einen großen Bildschirm, der irgendwie vor dem Schreibtisch zuschweben schien. Allerdings bemerkte ich, dass die Lichtströme aufeinen kleineren Punkt auf dem Tisch zuliefen und sich dann in einer neuen Form ausbreiteten. Ein Hologramm schoss es mir durch den Kopf. Nach all den Dingen, die ich bis jetzt gesehen hatte,überraschte es mich nicht wirklich. An den Seiten des Schreibtisches standen Dr. List und der Baron. Der Baron bemerkte uns und durchbohrte mich wieder mit diesem stechenden Blick, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er unterbrach die angeregten Diskussionen und wies auf mich. „Meine Freunde, hier ist sie. Subjekt M95163W, alias Blackout , wie wir sie inzwischen nennen." Die Frau mit dem Bob drehte sich zuerst um und zog eine Augenbraue hoch. „Wie originell." kommentierte ein schlaksiger Mann mit fettigen blonden Haaren, der auf dem Stuhl saß, auf dem beim letzten Mal noch der Glatzkopf mit den Froschaugen saß. Er hatte den Blick immer noch auf den Bildschirm gerichtet, auf dem die Szene in der Übungshalle wiederholt wurde. Mir zog sich der Magen zusammen. Ich konnte einfach keine Verbindung zwischen mir und dieser leuchtenden Gestalt inmitten des Massakers herstellen. Seltsamerweise half dieses Gefühl, die Szene zu ertragen, die nach einer Minute beendet war. Blackout passte wirklich. Die Mundwinkel des Barons zuckten leicht. „Vielen Dank für diesen Beitrag, Maxwell. Wenn sie sonst noch etwas so geistreiches beizusteuern haben bitte ich sie dringlichst darum, es für sich zu behalten." Dabei durchbohrte er Maxwell mit einem stechenden Blick. Dieser sackte ein wenig in seinem Stuhl zusammen und ich musste mich gar nicht anstrengen um seine Gedanken zu hören.Scheiße, das war dämlich.

Dr. List kam auf mich zu und führte mich vor den Bildschirm. Interessiert beugten sich alle in ihren Stühlen und Sesseln nach vorne und musterten mich ein weiteres Mal von oben nach unten. „Sie sieht nicht besonders stark aus."bemerkte die Frau mit dem schwarzen Bob. „Nun, offensichtlich wurde mit dem körperlichen Training noch nicht begonnen. Sie haben ja gesehen, was bei dem Versuch vor Ablauf der Gewöhnung passiert ist."gesprochen hatte ein gedrungener Mann mit runder Brille, über deren Ränder hinweg er mir direkt in die Augen sah. Er blickte ohne Furcht zu Strucker. „Alle Achtung, ich bin wirklich begeistert. Mit der richtigen Ausbildung könnte sie der Schlüssel im Kampf gegen S.H.I.E.L.D werden!" Er zitterte beinahe ein wenig. Strucker jedoch blieb gelassen und nickte nur leicht. Dr. List ergriff das Wort und begann mit einer detaillierten Erklärung meiner „Modifikationen"wie er es nannte. Ich verstand viele der Begriffe nicht, doch mit jedem Wort wuchs die Anerkennung in den mich weiterhin betrachtenden Gesichtern. Sogar Baron Strucker schlich sich das groteske Abbild eines Lächelns ins Gesicht. Dieser Anblick machte mir Angst. Nachdem Dr. List geendet hatte breitete sich Schweigen aus. Irgendwann traute sich der schlaksige Blonde zu, etwas zu sagen. Anscheinend dachte er immer noch an Struckers Ermahnung von vorhin, denn er sprach vorsichtig und seine Stimme zitterte. „Wann wird sie einsatzbereit sein?" fragte er. „Ihr Körper hat sich an ihre Fähigkeiten angepasst, jetzt muss sie bloß noch lernen, sie zu kontrollieren.Das geht beinahe von alleine. Nebenbei wird sie die Grundausbildung eines HYDRA Agenten, kann sich also hoffentlich auch ohne ihre Mutation zu zeigen verteidigen. Das wird einige Zeit dauern, aber der härteste Teil ist geschafft. Schon bald werden wir S.H.I.E.L.D in der Tat ein noch viel größerer Dorn im Auge sein als jetzt."Während des letzten Satze nickte er in Richtung der Frau mit den schwarzen Haaren, deren Gesicht ein siegessicheres Lächeln zierte.Der Mann mit der Brille legte die Hände aneinander. „Und wie soll sie ihre Fähigkeiten trainieren? Was ist, wenn es erneut zu einem Zwischenfall kommt?" Dr. List schaltete sich wieder ein.„Wie sie ja wissen haben wir hier einige mögliche Testpersonen,die einer solchen Attacke eventuell nicht sofort... erliegen würde und die in gewisser Weise entbehrlich sind." Sein Blick huschte dabei durch den Raum und die an der Wand aufgereihten Soldaten vorbei. Überrascht bemerkte ich Marina und Dr. Heinrich, die sich eingereiht hatten und der Unterhaltung folgten. Als ich Heinrich sah spürte ich sofort wie rasender Zorn in mir aufstieg. Er bemerkte meinen Blick und zuckte zusammen. Nach kurzem Überlegen spürte ich eine beängstigende Befriedigung in mir aufsteigen, als Dr. List verkündete „Meine Freunde, hiermit erkläre ich Blackout bereit für Stufe 3."

Can't stopWhere stories live. Discover now