Earl Ciel Phantomhive

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Du warst ein wenig überpünktlich und entschiedst, die Zeit zu nutzen, um noch schnell dein Kleid zu richten und einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Immerhin wolltest du vorzeigbar aussehen, wenn du dem Earl gegenübertratst – schon allein, weil du auch deine Familie repräsentiertest. Davon mal abgesehen wolltest du ja den Earl davon überzeugen, sich von seiner Absage zu distanzieren und doch zu deinem Weihnachtsball zu kommen, wenn schon nicht um seinetwillen, dann zumindest für Lizzy, die sich bestimmt riesig freuen würde. Das wäre dein Notargument, denn eigentlich wäre es dir lieber, wenn er sich dazu durchränge um des Balles selbst willen doch zuzusagen. Du hofftest es.

Noch einmal tief durchatmen und dann los. Es würde schon gut gehen und du hattest ja nichts zu verlieren. Dennoch kroch dir die Nervosität durch alle Glieder. Der Earl war ein erfolgreicher junger Mann, sehr zurückgezogen und bekannt dafür, sich nicht von schönen Worten erweichen zu lassen, gleich von wem sie kamen. Dass es nicht einfach würde, das wusstest du also schon einmal, doch alles andere hätte dich auch gewundert. Allein dein Familienname sprach schon von rauschenden Festen, das lehnte man nicht einfach ab. Eigentlich gar nicht. Du hattest nur eine einzige andere Absage erhalten – aufgrund schwerer Erkrankung. Niemand sonst ließe sich ein Event wie dieses entgehen. Notfalls müsstest du ihn mit seinem Stolz ködern. Er konnte doch seine Verlobte dort nicht einfach allein lassen und außerdem böten sich da doch so viele Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen – wollte er denn darauf etwa wirklich verzichten?

Schnell noch einmal alles zurecht gezupft und tief durchgeatmet. Auf ins Gefecht. Zumindest fühlte es sich für dich so an. Da half es auch nichts, dass du dich innerlich zur Ruhe mahntest, denn immerhin könnte es so schlimm ja gar nicht werden. Lizzy hatte schließlich viel Gutes über ihren Verlobten erzählt.

Du öffnetest die Kutschentür und sogleich reichte sich dir eine Hand in einem weißen Handschuh und dein Blick fiel auf den Mann, zu dem diese Hand gehörte. Rabenschwarzes Haar, blasse Haut und rötlich anmutende Augen gepaart mit einem mysteriösen Lächeln gaben ein unerwartetes Bild für einen Butler, denn als solchen zeichnete den Mann seine Uniform aus. „Willkommen Lady Smithson", begrüßte er dich und half dir aus der Kutsche. „Es ist mir eine Freude, Euch im Anwesen der Familie Phantomhive willkommen heißen zu dürfen." „Sehr freundlich, vielen Dank, Mr. ...?" „Sebastian Michaelis mein Name. Sebastian genügt vollauf, Milady." Du nicktest dem Butler mit einem freundlichen Lächeln zu, der dich in das prachtvolle Herrenhaus führte.

Sein Herr, der junge Earl erwartete dich in seinem Studienzimmer, wie dir Sebastian mitteilte, während er dir den Weg dorthin wies. Nachdem er die Tür für dich geöffnet hatte und du eingetreten warst, fiel dein Blick auch sofort auf den jungen Mann mit dem dunkelblauem Haar, der hinter einem schweren Eichenschreibtisch saß und sich nun erhob, als er deiner gewahr wurde.

„Lady Smithson, wie schön Euch zu sehen." Ein wenig überraschte es dich schon, dass dich der Earl, von dem es hieß, er sei stets fragiler Natur gewesen, sich als gar nicht so fragil erwies und dich um einen halben Kopf überragte. „Earl Phanthomhive." Elegant sankst du in einen formvollendeten Knicks. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite."

Den Höflichkeiten war damit zumindest fürs Erste genüge getan und nachdem er dir einen Platz in einer kleinen Sitzgruppe am Fenster angeboten hatte, wies er Sebastian an, für euch beide Tee und Gebäck zu bringen, ehe er selbst dir gegenüber Platz nahm.

„Lizzy hat mir viel von Euch erzählt", teiltest du dem Earl mit, dessen Lächeln, wenn dich nicht alles täuschte, just in diesem Moment ein wenig gefror. Hattest du etwas Falsches gesagt? Warum du hier warst, ahnte er doch sicherlich, das konnte es kaum sein. Hatte er sich vielleicht mit Lizzy zerstritten in den letzten Tagen? Hoffentlich nicht. Wenn dem so war, dann war Lizzy sicherlich völlig am Ende mit den Nerven und könnte dringend deine Schulter gebrauchen, um sich ein wenig auszuweinen.

„Sie mir ebenso von Euch, Milady." Nun lächelte der Earl, nur ganz leicht und auf eine Weise, die dir irgendwie ein ungutes Gefühl gab. Aufrichtig schien es zwar, doch irgendwie auch kalt, berechnend und das wiederum gefiel dir nicht.

Stille kehrte zwischen euch ein, die schließlich der Butler durchbrach, als er mit dem gewünschten Tee eintrat. Die kleinen Küchlein, die er dazu servierte, dufteten herrlich und waren sogar noch warm, wie du verwundert feststelltest, als du dir eines von dem silbernen Tablett nahmst. Und dass sie frisch aus dem Ofen waren, war bei weitem nicht alles! Sie waren köstlich! Du könntest schwören, noch niemals zuvor so hervorragenden Nusskuchen gegessen zu haben.

Offenbar sah man dir deine Freude über die Süßspeise an, denn während er Earl nur ein sacht amüsiertes Schmunzeln zur Schau trug, ließ die Miene des Butlers ein unübersehbares Grinsen sehen, als er sich erkundigte: „Sagt Euch der Kuchen zu, Lady Smithson?" Ein wenig verlegen nicktest du. „Ja, sehr. Mein Lob an den Konditor." „Vielen Dank." Sebastians Stimme nahm einen samtigen Klang an, als er sich bedankte und im gleichen Zuge in deine Richtung verneigte. Er war derjenige, der die Küchlein gebacken hatte, wundertest du dich. Dass ein Butler solche Aufgaben persönlich übernahm war ungewöhnlich. Meistens gab es ein oder zwei Angestellte, die in der Küche das Sagen hatten. Als Butler warteten schließlich noch genug andere Aufgaben.

Bevor du allerdings nachfragen hättest können, ergriff schon der Earl das Wort und Sebastian zog sich in dessen Rücken zurück, um hinter dem Adeligen einem Schatten gleich stehen zu bleiben, wo er in einer Reglosigkeit verharrte, die dir unheimlich war. „Ich nehme an, Ihr seid hier, um mich dazu zu überreden, doch zu Eurem Weihnachtsball zu kommen", begann Ciel und griff nach seiner Teetasse, in die er eben noch ein Stückchen Kandiszucker geworfen hatte. Du nicktest. „Nun, eigentlich eher, um Euch davon zu überzeugen, dass Ihr gerne zu dem Ball kommen möchtet", erwidertest du mit einem Schmunzeln, das sich sogleich auf den jungen Earl übertrug.

Offenbar gefiel ihm diese Ansicht deinerseits.

„Eure Absage kam sehr schnell. Habt Ihr schon etwas Anderes vor?", haktest du nach, wo ihr schon beim Thema wart. Natürlich gingst du nicht davon aus. Dass seine Familie nicht mehr am Leben war, war allgemein bekannt, sodass dieser Grund schon einmal entfiel – sah man mal davon ab, dass dein Ball ja auch einen Tag vor dem Heiligen Abend stattfinden würde, eben damit alle mit ihren Familien feiern konnten, wie es sich gehörte.

Auch entfiel die Möglichkeit, dass er in stiller Gemütlichkeit mit seiner Verlobten und deren Familie vor Weihnachten zusammenkommen wollte, denn die kamen schließlich gemeinschaftlich zu deinem Ball. Was oder wer also sonst konnte so wichtig sein, dass er einen guten Grund für seine Absage hatte? Dir zumindest fiel da nichts ein.

Am Ende hatte er wohl einfach keine Lust, genau wie Lizzy es auch schon angedeutet hatte. Dann musste es dir also nur gelingen, ihm einen guten Grund zu geben, doch zu kommen, damit er sich seine Absage noch einmal überlegte. Du warst zuversichtlich, dass dir das gelingen würde. Selbst wenn ihn die vielen Bekannten und Kontakte dort nicht reizen sollten, das festliche Ambiente ihn kalt ließ und er sich nicht einmal von gutem Essen und weihnachtlicher Stimmung ködern ließe, dann bliebe dir immer noch das Endargument: Lizzy. Bestimmt würde er seiner Verlobten zuliebe und um sie glücklich zu machen, doch zusagen.

„Nein, habe ich nicht", gab Ciel Phantomhive einlenkend zu und hob die Hand, als du etwas erwidern wolltest, um zu signalisieren, dass er noch nicht fertig war. „Ich werde mir Eure Argumente gerne anhören, doch eines vorweg: Für Elizabeth werde ich nicht hingehen."

Du öffnetest fassungslos den Mund, doch kein Ton kam hervor. War das etwa sein Ernst?! Wie konnte er so etwas nur sagen? Wenn nicht für sie, für wen dann? War ihm denn nicht klar, wie wichtig es Lizzy war, dass er und sie gemeinsam zu diesem Ball gingen und die Adventszeit zelebrierten? Das konnte ihn doch nicht kalt lassen!


Unterm Mistelzweig (Ciel/Sebastian x Reader)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt