Eins

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Kaspian

Ich saß auf der Mauer vor unserem Haus und wartete auf Magdalena.
Seit wir vier waren ist kein Tag vergangen, an dem wir uns nicht gesehen haben.
Ich lächelte, sie war zu dem wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden.

Ich lehnte meinen Kopf in den Nacken und atmete die frische Morgenluft ein, sie schien mir die Müdigkeit zu nehmen und vertrieb die finsteren Ungeheuer der Nacht, die mich oft von Albtraum zu Albtraum jagten.
Seit ich zwölf war kommen sie fast jede Nacht, sie kriechen unter meinem Bett hervor, umklammern mich mit ihren kalten Krallen und vergiften meine Seele, färben sie schwarz wie Dunkelheit, aus der sie kommen, um sich in ihr festzusetzen, meinen ganzen Körper in Beschlag zu nehmen und mich zu zerstören.
Doch längst kämpfe ich nicht mehr gegen sie, ich habe aufgegeben, angefangen mich selbst zu zerstören.
Meine Lunge ist von den vielen Zigaretten mit Sicherheit schwarz wie meine Seele, meine Leber überfordert mit dem ganzen Alkohol, den sie abbauen muss, meine Haut geziert von Silberblassen Narben und meine Gedanken verklebt und infiziert von den Dämonen der Finsternis, die in mir ihr Zuhause gefunden haben.
Ich habe aufgehört dagegen zu kämpfen, die ungeheuer der Nacht und ich leben Seite an Seite in einem Körper, doch sie werden mich verschlingen, Stück für Stück, unmerklich, bis ich weg bin.

Eine Umarmung von hinten riss mich aus meinen düsteren Gedanken und ein helles Lachen drang an mein Ohr.
"Guten Morgen, Kasi."
"Ich hasse es, wenn du mich so nennst, sagte ich lachend und drehte mich zu Magdalena um.
Sie trug eine schwarze Leggins mit einem grauen, großen Pullover, der ursprünglich mal mir gehörte und dazu  weinrote Chucks, die fast auseinander fielen. Ihre Haare fielen ihr glatt und seidig über die Schultern, sie waren dunkel braun und hoben das Bernstein ihrer Augen hervor.
Außerdem war sie klein, sie reichte mir grade mal bis zur Brust.

Immer noch lächelnd drückte ich ihr einen leichten Kuss auf den Scheitel und wir machten uns schweigend auf den Weg zur Schule.
Wir brauchten keine großen Wörter, wir verstanden uns auch so, das war das besondere an Magdalena und mir.

Ich betrachtete sie, wie sie neben mir her lief, fröhlich plappernd und mit einem sorgenfreiem Lächeln, ich würde dafür sorgen, dass niemand ihr dieses Lächeln raubte, sie war verletzlich, ihre Seele zerbrechlich wie Glas, niemand sollte sie je verletzen.

Das Schulgebäude kam in Sicht und automatisch begannen wir langsamer zu laufen, alles in mir sträubte sich gegen dieses Gebäude und ich wusste, dass es Magdalena genauso ging.
Es war uns einfach zuwider, Schule sollte uns auf unser späteres Leben vorbereiten, doch tut sie das wirklich?
Ich ließ meinen Blick über den Schulhof wandern, überall bildeten sich Gruppen und zwischendrin immer wieder unzugehörige Einzelgänger.
Alles, was Schule uns beibrachte war, dass Zahlen unser Leben bestimmen, unsere Noten, Größe, unser Gewicht, all das schien uns zu definieren, reduziert auf eine Art Zahlencode liefen wir in dieser Gesellschaft durchs Leben.
Ich schüttelte den Kopf um meine Gedanken zu vertreiben und betrat mit Magdalena das Gebäude.
Suchend glitt mein Blick durch die Menge und blieb an Juli hängen, die an einer Wand lehnte.
Wir liefen zu ihr und umarmten sie flüchtig.
Juli war ein seltsames Mädchen, sie wirkte immer ein wenig zurück gezogen und still, manchmal ziemlich emotionslos, dennoch gehörte sie zu uns war nicht weg zu denken.

Von dem Rest unserer Freunde war nichts zu sehen, schlurfend machte ich mich auf den Weg zu meinem Raum, ich spürte die Blicke der Leute in meinem Rücken, sie schienen mich zu durchbohren, ich war noch immer der reiche Junge mit der Villa, der, dessen Eltern sich umgebracht haben.
Ich setzte meine Kapuze auf und versuchte zwischen den Menschen zu verschwinden.

Der Unterricht zog an mir vorbei, ich meldete mich einige Male, leierte Bedeutungslose Fakten und Jahreszahlen herunter und wurde schließlich vom Pausengong erlöst.
Wahllos stopfte ich alles in meine Tasche und verließ fluchtartig den Raum.
Das war die Zeit, als es wieder schlimmer wurde, als mein Leben beschloss Achterbahn zu fahren.

Magdalena
Ich verließ das stickige Schulgebäude und begann nach Juli und Kaspian zu suchen.
Juli fand ich rauchend vor dem Schultor.
"Hast du Kaspian gesehen?"
"Nein", antwortete Juli und blicke mich aus ihren blauen Augen an, "aber ihm geht es nicht gut."
"Woher weißt du das?"
"Ich weiß es einfach."
So war Juli, sie "wusste" Dinge.
Mit ihren eisblauen Augen und den pastellila Haaren war sie eigentlich ziemlich auffällig, trotzdem konnte sie in Menschenmengen verschwinden.
Sie war ein großes Fragezeichen, trotzdem war sie ein wichtiger Teil meines Lebens und eine gute Freundin.

Ziellos lief ich umher und suchte die Menge nach Kaspians braunen Augen ab.
In einer etwas abgelegenen Ecke würde ich schließlich fündig.
"Hey."
Kaspian saß auf einer der Bänke und tippte auf seinem Handy rum.
"Hey."
Antwortete er nach einer kurzen Pause.
Ich setzte mich neben ihm und blickte ihn an.
"Dir geht's nicht gut, hm?"
"Es geht schon, Schule ist nicht so leicht."
"Ich weiß. Lass uns nachhause gehen."
Ich stand auf und blickte ihn an, "komm."
Er runzelte die Stirn, "wir sollen einfach gehen?"
Ich nickte.
Scharf zog er die Luft ein, "okay."
Er steckte sein Handy weg und gemeinsam gingen wir langsam Richtung Schultor, Juli stand noch immer davor.
Sie blickte zu uns, "wir gehen, kommst du mit?"
Sie schüttelte den Kopf und trat ihre Zigarette aus, dann verschwand sie im Schulgebäude, das war ihre Art zu zeigen, dass sie unsere Aktion nicht gut fand.
Ich nahm locker Kaspians Hand und wir liefen weg von der Schule.
"Zu dir?", fragt ich.
" Natürlich."
Das war wie ein Ritual, wir gingen immer zu ihm, auch wenn ich wusste, dass sein Zuhause für ihn kein Zuhause war.
Momentan wohnte er mit seinen Großeltern in einer riesigen Villa im Zentrum der Stadt, doch früher lebte er mit seinen Eltern in einem riesigen Penthouse mir Glasterrasse und Pool.
Doch dann wurde seine Mutter krank, Krebs wütete in ihrem Körper.
Sie hätte nicht mehr lange gehabt und so beschloss sie es selbst zu beenden.
Sie hat ihr Todesdatum gewählt.
Sie und ihr Mann vergifteten sich, sie standen oben und blickten auf die Stadt, hoch oben floss Ihnen das Leben durch die Finger.
Oben auf der Terrasse starben sie arm in arm, er war unfähig sie gehen zu lassen und für sie waren die Schmerzen zu groß um zu bleiben.
Doch sie haben auch etwas in Kaspian getötet.
Auch jetzt, ein Jahr später, hat er es immer noch verkraftet, das weiß ich.
Und es bricht mir das Herz.
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Zusammen schlichen wir uns ins Haus, um nicht erwischt zu werden, Kaspians Großmutter war immer zuhause.
Leise huschten wir die Treppe hoch und verschwanden ins Kaspians Zimmer.
Mit einem Seufzer setzte er sich auf sein Bett und ließ sich nach hinten fallen.
Ich kickte mir die Schuhe von den Füßen und legte mich neben ihn.
Kaspian drehte sich zu mir.
"Ich hab dich lieb, Leni."
Leni, sein Spitzname für mich.
" Ich dich auch Kasi."
Lachend legte er sein Arm um mich und zog mich näher an seine Brust.
Er zog die Bettdecke über uns beide und gemeinsam glitten wir langsam in die angenehme Ruhe des Schlafes.

Das LebensproblemOn viuen les histories. Descobreix ara