Tag und Nacht

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Tag und Nacht

Teri braucht ziemlich lange, bis er sich von der Begegnung mit dem Marder erholt. Zusammen mit Siva verstopft er das Loch, durch das der Eindringling auf den Dachboden kommen konnte, mit einem alten Stofffetzen. Mara spannt außerdem besonders starke, klebrige Spinnenfäden darüber. Teri hofft, dass das genügt, um den Marder abzuschrecken. Anschließend repariert die Spinne ihr Netz. Es wird diesmal noch schöner, noch größer und noch stärker. Mara meint, sie wolle gut auf einen weiteren Angriff eines Raubtiers vorbereitet sein. Sie geht sogar soweit, Teri für seinen mutigen Einsatz zu loben. Überhaupt ist die Spinne seit dem Sieg über den Marder ausnehmend gut gelaunt. Manchmal lässt sie sich sogar dazu überreden, abends eine Geschichte zu erzählen.
Siva geht es von Tag zu Tag besser. Endlich kann sie ihren Flügel wieder bewegen. Sie muss zwar noch vorsichtig sein, aber es ist klar, dass sie den Dachboden schon bald verlassen kann. Das macht Teri traurig. Obwohl er versteht, dass Siva Heimweh nach ihrer Schwalbenfamilie hat, lässt er die Freundin nur ungern ziehen. Aber inzwischen ist ihr Flügel soweit geheilt, dass sie zwischen den Dachbalken Flugübungen macht und Mara um ihre Netze fürchtet. Bevor Teri deshalb an diesem Abend zur Jagd aufbricht, spricht er Siva auf ihre Pläne an.
«Wann willst du aufbrechen? Bist du noch da, wenn ich morgen früh zurückkomme?»
Siva legt den Kopf schräg und mustert Teri nachdenklich. Sie erkennt seine Besorgnis.
«Ja, heute ist es zu spät. Draußen wird es jetzt schon dunkel. Ich breche bestimmt nicht in der Nacht auf. Wenn es dunkel ist, kann ich nicht sehen, wohin ich fliege.»
Teri kommt das etwas seltsam vor. Weshalb sollte die Dunkelheit jemanden vom Fliegen abhalten? Er ist schließlich jede Nacht unterwegs und alle Fledermäuse, die er kennt, fliegen ebenfalls nachts aus. Da fällt ihm plötzlich sein erfolgloser Besuch bei Hibu wieder ein. Über all der Aufregung mit Siva, dem Marder und Maras spannenden Geschichten hat er den Waldkauz ganz vergessen. Was sagte Hibu doch gleich? Er wolle nicht für die Folgen verantwortlich sein, wenn Teri am Tag ausfliege? Er versteht immer noch nicht, was der Kauz damit eigentlich sagen wollte. Aber Siva kann ihm bestimmt viele seiner Fragen beantworten!
«Siva, wie ist es eigentlich, am Tag zu fliegen?»
Die Schwalbe versteht nicht, was ihr Fledermausfreund genau wissen möchte. Teri muss deshalb zuerst die ganze Geschichte erzählen. Siva und Mara hören gespannt zu, als er von seinem Besuch bei Hibu berichtet. Die Spinne seufzt.
«Wenn ich gewusst hätte, dass der Kauz so hochnäsig ist, hätte ich dich nicht zu ihm geschickt. Tut mir leid, Teri. Ich dachte, ein alter und weiser Nachtbewohner wie er könne dir bestimmt besser erklären, was du wissen wolltest, als eine einfache Dachbodenspinne wie ich.»
«Mach dir nichts draus, Mara. Er hat mich immerhin nicht gefressen. Aber viel gelernt habe ich von ihm trotzdem nicht. Und außerdem bist du viel netter und bestimmt genauso klug.»
Mara freut sich über das Kompliment, obwohl sie es nicht zeigt. Siva dagegen ist nachdenklich.
«Nun, Hibu ist ein Nachtvogel. Vielleicht weiß er nicht viel mehr über den Tag als du, Teri.»
«Er hat immerhin behauptet, er sei schon am Tag ausgeflogen. Aber von den schönen Tag-Dingen, von denen mir Mara erzählte, wusste er nichts. Oder er wollte mir nicht davon berichten.»
Natürlich will Siva wissen, was Mara Teri erzählte. Bald sind die Schwalbe und die Spinne damit beschäftigt, der kleinen Fledermaus das Leben am Tag in den schönsten Farben zu schildern. Teris Augen werden immer größer. Seine Sehnsucht wächst, all diese Wunder selber zu sehen.
«Siva, du darfst nicht von hier weggehen, ohne dass du mir zuerst den Tag zeigst!»
«Wenn du dir das wirklich wünschst, können wir gerne zusammen ausfliegen. Du hast mir schließlich auch geholfen. Passt dir morgen? Und was soll ich dir alles zeigen?»
«Alles! Vor allem die Farben, die Sonne, die Blumen, die Schmetterlinge! Einfach überhaupt alles!»
Siva lässt sich von Teris Begeisterung anstecken. Dieser vergisst beinahe, dass er eigentlich zur Jagd ausfliegen wollte. Mara erinnert ihn daran, dass es schon spät ist.
«Teri, wenn du morgen wirklich mit Siva ausfliegen willst, solltest du jetzt schnell etwas essen und dann versuchen, früh einzuschlafen. Du bist nicht gewohnt, am Tag wach zu sein und wirst bestimmt all deine Kräfte brauchen.»
Teri ist so aufgeregt, dass er die Besorgnis in Maras Stimme nicht bemerkt. Während er eilig zu seinem Jagdausflug aufbricht, kuschelt Siva sich in ihr Nest. Die alte Spinne dagegen sitzt nachdenklich in ihrem Netz. Ob sie versuchen soll, Teri von diesem Abenteuer abzuhalten? Sie fürchtet um die kleine Fledermaus, die ihr so sehr ans Herz gewachsen ist.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt