9 || Ankunft

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Müde hatte ich meinen Kopf an die Fensterscheibe gelehnt. Die Landschaft zog an uns vorbei und das nervende Geräusch des Busses blendete ich komplett aus. Es störte nur. Immer wieder hielten wir an. Ein paar Menschen stiegen aus, andere stiegen ein. Ein kurzer Blick zu Felix verriet mir, dass er schläft. Seine Augen waren geschlossen und sein Kopf leicht zur Seite gelehnt. Sein Mund stand etwas offen und dieses Gesamtbild ließ mich schmunzeln. Felix war einfach perfekt. Seine Gestik sowie seine Mimik, die Art wie er sprach oder wenn seine Augen anfangen zu funkeln, wenn er glücklich ist. Ein liebevolles lächeln schenkte ich dem Braunhaarigen, obwohl ich wusste, dass er es nicht sah. Mein lächeln verebbte als ich auf den Anzeigebildschirm blickte. Noch zwei Stationen und wir waren beim Hauptbahnhof. Ich musste Felix wecken, aber ich wollte nicht. Er saß so süß in seinem Rollstuhl und kuschelte mit seiner dunkelblauen Wolldecke. Diese Decke, so hatte er mir erzählt, war von seiner Schwester gewesen. Sie hatte ihm diese zu seinem 16 Geburtstag geschenkt. Dieser Geburtstag war der schönste gewesen, den er je hatte und haben wird. Wieso? Das weiß ich nicht , aber ich werde ihn fragen. Ich wollte wissen, was an den anderen so schlecht war.

'Hauptbahnhof Köln'

Müde streckte ich mich und stand dann von meinem Platz auf. Die Türen des Busses öffneten sich und ich schob Felix so vorsichtig wie es ging aus dem Bus. Meine Beine trugen mich, Felix schiebend, Richtung der Gleise. 'Stuttgart Hauptbahnhof Gleis 3. Abfahrt in fünf Minuten'
Jetzt musste ich mich beeilen.

Die Zugfahrt verlief angenehm ruhig. Felix war kurz bevor wir eingestiegen sind aufgewacht und wir hatten die Hälfte der Zeit nur kuschelnd auf unseren Plätzen verbracht. Ab und an wurden wir dumm angesehen, was meinen Freund unsicher machte, doch ich konnte ihm klar machen, dass diese Menschen einfach nur dumm und behindert sind. Nicht alle würden uns akzeptieren. Doch das ist nicht das was verlangt wird. Ich verlange einfach nur den Respekt, den ich auch bekomme, wenn ich alleine unterwegs bin. Ohne Freund. Ich bin ein normaler Mensch. So wie jeder andere auch. Ich liebe diese Menschen, die mein Herz lieben will. So wie jeder andere auch. Ich esse normale Sachen. So wie alle anderen auch. Und ich kleide mich so wie ich will. Wie jeder andere auch.

Wir liefen nun schon einige Zeit stillschweigend einen kleinen Waldweg entlang. Umso tiefer wir in den Wald kamen, umso schwerer wurde es für Felix. "Scheiße!", fluchte dieser nun leise. Mit den Rädern seines Rollstuhles blieb er immer wieder an größeren Ästen hängen. Kurzerhand entschloss ich, ihn zu tragen. Felix streubte sich anfangs zwar dagegen, doch ließ es dann zu. Auf dem Rollstuhl, den ich nun vor mir her schob, befanden sich unsere Taschen. Felix hatte sich wie ein Affe um meinen hals geklammert. Ein paar Minuten später standen wir vor einer kleinen Holzhütte. Sie sah genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Das morsche Vordach, welches die knarzende Holztür vor Unwettern trocken halten sollte. Mit Felix auf dem Arm schmiss ich die Tasche achtlos auf die kleine -ebenfalls aus Holz bestehende - Terasse. Meinen Freund setzte ich wieder vorsichtig in den Rollstuhl. Eine kleine Rampe war an der linken Seite der Terrasse angebracht, welche es Felix erleichterte in und aus dem Haus zu kommen. Meine Hand legte ich auf das kalte aus Holz bestehende Geländer und setzte einen Schritt nach dem anderen auf die quietschenden Treppen. Vier an der Zahl. Schon stand ich vor der Tür und suchte nach dem Schlüssel. Nach einer kleinen Panik Attacke, da ich dachte, ich hätte den Schlüssel verlegt, hob ich die drei Taschen auf und trat in die Holzfällerhütte ein. Der Duft von Harz und altem Holz stieg mir in die Nase. Alles so wie damals. Ein lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich fühlte mich wieder so, wie ich mich immer fühlen wollte: Frei. Ohne Verpflichtungen oder Stress. Einfach frei

"Weg?" "Ja, scheiß auf die!"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt