16.

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Sie trägt mich zurück an den Tag, an dem sie mich kennen lernte, nennt all die kleinen Momente, all die Nachmittage, die wir zusammen verbracht haben. Sie erzählt, wie sie es geliebt hat, sich kurz vor Ende meiner Schicht in mein Café zu setzen und mir dabei zuzuschauen, wie ich immerzu lächelnd die Kundschaft bediente. Sie erzählt mir, wie sie sich erst in meine Höflichkeit, meine Freundlichkeit und mein türkises Haar verliebt hat. Vor allem in mein Haar.
Dann hat sie sich in meinen Humor verliebt, meine Art, Dinge zu erzählen, meine Art, sie zum Lachen zu bringen, meine Geschichten über Elefanten und meine Einfühlsamkeit, als sie von ihrer Familie erzählte. Die Diskretion, mit der ich es vermied, ihre Vergangenheit anzusprechen ...
Sie erzählt, als sei alles erst gestern passiert und als trennten uns nicht zwanzig Jahre und die Verleugnung unserer Beziehung.
"Irgendwann kamen bei mir Zuhause in der Farm zwei Männer - ich nehme an, es waren Polizisten - und haben sich Zutritt verschafft. Sie wollten mich festnehmen und wissen, wo sie dich finden würden. Ich habe nichts gesagt, habe erst auf unwissend gespielt und als klar wurde, dass sie sich über unser Verbrechen", Tiara stellt das letzte Wort mit den Fingern in Anführungszeichen, "sicher waren, habe ich versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Ich verstehe einfach nicht, warum sie uns nicht in Ruhe gelassen haben. Ich konnte es nicht verstehen. Wirklich nicht.
Einer von beiden hat irgendwann einfach ausgeholt und mich geohrfeigt. Ich solle nicht so viel Schwachsinn reden und endlich sagen, wo du seist. Sie würden es sowieso bald herausfinden. Ich wehrte mich, flehte schließlich auf den Knien, dich in Ruhe zu lassen. Sie haben einen Deal vorgeschlagen. Ich würde mit dir Schluss machen, dich damit hoffentlich wieder auf den richtigen Weg bringen und die Richter würden dich leben lassen." Sie hielt inne, starrte mir unverwandt in die Augen und bettelte mit ihrem Blick um Vergebung.
"Ich - ich habe eingewilligt. Weil ich dachte, sie würden dich so oder so finden und weil ich so sehr hoffte, sie würden dich laufen lassen."
Die blonde Frau senkt den Blick, beobachtet ihre hellen, kleinen Hände und atmet tief ein.
"Sie gaben mir zwei Tage Zeit und versprachen, sie würden mich anschließend abholen. Wegzulaufen hatte keinen Sinn, weil sie einen Verfolger und ein Mikrophon an mein Ohr klippten. Erinnerst du dich an den nächsten Tag, als ich alles gab, um die Zeit mit dir zu genießen und du die neuen Ohringe angesprochen hast? Ich habe es gehasst dich anzulügen und ich war so wütend auf diese ganze Gesellschaft ... keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, mir nichts anmerken zu lassen."
Ich nicke in Trance, erinnere mich an die "Ohringe" und an den Nachmittag mit ihr, der so wunderschön normal schien und zugleich in meiner veralteten Erinnerung melancholisch wirkt.
"Am nächsten Tag habe ich Schluss gemacht und glaub' mir, es war das schwerste, was ich je getan habe."
Sie erzählt, wie sie versucht hat, so hart und kühl zu klingen wie möglich, damit ich nichts von ihrem wahren Motiv mitbekam. Sie erzählt, wie sie anschließen heim kam und nicht aufgehört hat zu weinen, bis die Polizei sie abholte. Sie übernachtete zum ersten Mal im Gefängnis und wurde am nächsten Tag zu unserer Wiese transportiert. Der Picknickwiese mit den Wolken im Park.
Die zweite Erinnerung, bei der ich dachte, ich würde ihr niemals - niemals! - vergeben, flutet auf mich ein und ertränkt mich zum zweiten Mal an diesem Tag.

Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.Where stories live. Discover now