Kapitel 11

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[Never change a winning team]


Das kleine Mädchen schaute konzentriert auf das Kreuz, das vor ihr lag. Der Schimmel unter ihr verlängerte seine Tritte und kam rhythmisch heran. Doch plötzlich war es vorbei mit der Harmonie und er schoss los, wie eine Rakete, so wie es Demo's Dino eben immer machte. Das Mädchen schien etwas überrascht davon gewesen zu sein und zerrte an den Zügeln. Komischerweise wurde Dino davon langsamer und segelte nun über den Sprung. Danach grinste sie und klopfte ihm viel zu übertrieben, wie Liv fand, den Hals. Sie lehnte gegen den Zaun des Springplatzes. Neben ihrer Mutter und einem Ehepaar. Ihr Blick war starr auf dem Schimmelhengst gerichtet. Insgeheim hatte sie gehofft, dass sie mit Dino nicht zurecht kam, doch das schien nun anders zu sein. Sie würden ihn noch heute mitnehmen.

Als heute morgen ein grauer Mercedes auf den Hof gerollt war, hatte Liv sich bei Dino in der Box verkrochen. Sie hätte schon wieder weinen können, wenn sie nur daran dachte, dass sie ihn nun nur noch ein paar Stunden sehen würde, wenn überhaupt. Aus dem Auto stiegen eine sonnengebräunte Frau, bei der Liv vermutete, dass sie ins Solarium ging, da die Bräune nicht wirklich echt wirkte, ein Mann, ungefähr so alt wie ihre Mutter, mit braunen Haaren, die an den Schläfen bereits weiß wurden und ein Mädchen, dass ungefähr zwölf Jahre alt war, wie Liv vermutete, und blonde lange Haare besaß. Schließlich hatte ihre Mutter sie aus der Box gezerrt und sie dazu gezwungen sich vorzustellen. "Liv Langhoff", sagte sie tonlos und musterte das kleine Mädchen. Liv bezweiflte, dass sie gut genug für Dino reiten konnte, aber das werden sie heute noch sehen. Reutingers, wie die Familie hieß, wollten erstmal, dass Lisa ihn ritt, bevor sie ihn mitnahmen.

"Hey Ich bin Lisa!", das kleine Mädchen schüttelte Liv aufgeregt die Hand. "Du kannst soo toll reiten, das ist einfach abnormal. Du warst schon immer mein Vorbild und ich bin einfach soo glücklich, dass ich nun Dino reiten darf!", schwärmte sie. Normalerweise hätte sich Liv sich geschmeichelt gefühlt, wenn jemand ihr derartige Komplimente gemacht hätte, doch den Umständen entsprechend, hatte sie nur halbherzig lächeln können.

Lisa sprang nun nocheinmal, nur, dass das Kreuz zu einem Steilsprung gemacht wurde. Auch hier hatte sie keine Probleme. Liv sah auf die Spitzen ihrer Reitstiefel. Sie konnte es irgendwie nicht mitansehen, wie ein anderes Mädchen, IHREN Dino sprang. Auch die Tatsache, dass es Dino Spaß zu machen schien, versetzte ihr einen Stich. Sie ließ es über sich ergehen, bis ihre Mutter schließlich sagte, dass es nun genug war und ich ihn verlade fertig machen sollte, während sie die Formalitäten abklärten. Lisa wollte Liv helfen und ließ ihr hinterher, doch ihre Mutter hielt sie am Handgelenk fest. "Ich glaube sie braucht nun etwas Zeit alleine mit ihm", hatte sie liebevoll zu ihrer Tochter gesagt und diese nickte daraufhin.

Liv führte Dino in den Stall. Sie wusste, dass dieser Moment irgendwann kommen würde, jedoch hatte sie nicht damit gerechnet, dass es schon so bald sein würde. Noch am Sonntag wurde Belles Bein geröngt und der Verdacht hatte sich bestätigt. Sie hatte einen Bänderriss. Damit war ebenfalls bestätigt, dass sie nicht mehr springen durfte. Nun stand sie neben Dino in ihrer Box, mit einem Verband um die Vorhand und genüsslich auf ihrem Heu kauend. Liv fragte sich, wie lange sie noch hier bleiben würde. Ihre Besitzer hatten angekündigt sie bald abzuholen und vorerst bei sich in den Stall zu stellen. Dann würden sie sehen, wie es mit denen Sehnen aussah und ob sie wieder stärker belastet werden könnte.

Dino schnupperte an Livs Jacke, um zu sehen, ob dort Leckerlis waren, doch sie hatte keine in ihrer Tasche. Schließlich hatte sie ihn abgesattelt und angebunden auf die Stallgasse gestellt. Sie putze ihn gründlich und verzog die Mähne nocheinmal ordentlich. Dann stutze sie den Schweif auf Sprunggelenk Höhe. Dino hatte sie dabei interessiert beobachtet und den Kopf immer wieder in ihre Richtung gedreht. "Du sollst ja schön aussehen, wenn du in deinem neuen Zuhause ankommst", hatte Liv darauf geantwortet. Sie wusste nicht, ob er verstand, dass er nun nicht mehr wieder kommen würde. Als sie ihn schließlich fertig hergerichtet hatte, eine dunkelblaue Decke aus Fleece übergezogen und Transportgamaschen angelegt hatte, schien er sich zu freuen. Klar, schließlich war er ein erfahrenes Tunierpferd und dachte wahrscheinlich, dass sie nun irgendwo hinfahren würden. Jedoch wusste er nicht, dass er diese Reise ohne Liv antreten würde und sie auch nie wieder sehen würde.

Schließlich kam Lisa mit ihrer Mutter, gefolgt von ihrem Vater und Dorothea Langhoff in den Stall. "Willst du ihn verladen?", fragte Lisas Mutter. Liv nickt, woraufhin Lisa etwas beleidigt guckte, sie wollte ihn wohl verladen, aber Liv wollte wenigstens noch ein paar Minuten mit ihrem Hengst verbringen.

Liv griff mit zitternder Hand nach dem Führstrick und führte Dino über den Hof, während Herr und Frau Reutinger die Hängerrampe herunterließen. Der Schimmel war absolut verladefromm, und so folgte er Liv auch diesmal ohne zu zögern auf den Anhänger und stand ruhig da, als die Rampe hinter ihm geschlossen wurde.

Fünf Minuten später, als Liv immer noch immer nicht wieder aus dem Transporter aufgetaucht war, begann Frau Reutinger sich Sorgen zu machen. Sie steckte den Kopf zur Jockeytür herein. "Alles ok? Falls du den Ring zum anbinden nicht findest, der ist neben dem Heunetz." - "Alles ok", antwortete Liv mit rauer Stimme. Sie hatte Dino längst angebunden, aber sie hatte nicht aussteigen können, weil sie erst aufhören wollte zu weinen. Sie atmete tief durch, wischte sich ein letztes Mal über die Augen, drückte das Gesicht in Dinos Mähne und umarmte ihn.

"Vergiss mich nicht", murmelte sie. "Ich verspreche, dich niemals zu vergessen." Trotz Livs Bemühungen, sich zusammenzureißen, sahen alle, wie mitgenommen sie war, als sie endlich ausstieg. Herr Reutinger entschied, dass es das Beste wäre, rasch loszufahren. Lisa umarmte sie zum Abschied, Herr und Frau Reutinger schüttelten ihr die Hand und drückten ihr einen Briefumschlag in die Hand.

Die Tränen strömten über Livs Wangen, während sie zusah, wie der Transporter mit Dino die Auffahrt hinunterrollte, am alten Gemäuer des Hauses entlangfuhr und schließlich in einem Tunnel aus Weißdornhecken verschwand.

Schließlich blickte sie in dem Briefumschlag in ihrer Hand. Darin war ein Check über vierzigtausend Euro.

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