Kapitel 10

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Die Tritte des Ponys waren raumgreifend und schwungvoll. Es bewegte sich fließend und rhythmisch über den Platz. Das Mädchen auf seinem Rücken bahnte sich die Wege zwischen den anderen Reitern hindurch und versuchte so die braune Stute warm zu reiten. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Livs Magen aus. Sie hatte Angst davor, dass Ma Belle wieder nicht sprang. Dann war sie endgültig bei James Barrymore unten durch. Wiederum konnte sie nicht vergessen, was sie gestern gesehen hatte.

Ihr Blick schweifte über den Abreiteplatz. Die anderen Reiter saßen konzentriert auf ihren Ponys, doch sie konnte sich einfach nicht auf Belle konzentrieren. Ständig musste sie an ihre Mutter und ihren Tranier denken, wie sie dort standen und sich geküsst haben. Konnte es wirklich sein, dass sie zusammen waren? Aber warum hatte es ihre Mutter ihr nicht erzählt? Liv versuchte die Gedanken zu verdrängen und galoppierte die Stute an. Ungeduldigschlug diese mit dem Kopf, als sie auf den Probesprung zu ritt. James Barrymore stand daneben. Sein Blick schien sie förmlich zu durchbohren. Liv saß tief im Sattel ein und trieb Ma Belle weiterhin konstant vorwärts. Sie bereitete sich auf den Absprung vor, doch Belle sprang nicht. Sie rammte die Vorderbeine in den Sand und duckte sich zur Seite weg. Liv krallte sich an ihrem Hals fest, um nicht herunterzufallen.

Als sie sich wieder vollkommen sortiert hatte, wagte sie einen Blick zu ihrem Tranier. Der Gesichtsausdruck des Mannes schien nicht gerade freundlich zu sein. "Treib sie vorwärts. Wenn du nicht über den Probesprung springt, dann springst du auch nicht den Parcours!", antwortete er auf den Blick des Mädchens. Liv schluckte und galoppierte Belle erneut an. Vor den Sprung gab sie ihr einen halbherzigen Klaps mit der Gerte. Belle legte die Ohren an, sprang aber. Liv atmete erleichtert auf. Die nächsten Male sprang die Braune ohne jeden Zirkus über den Steilsprung.

Noch zwei Starter bis sie reiten würde. Sie stellte sich an den Rand des Springplatzes und beobachtete die Konkurrenz. Bisher führte Phoebe Thompsen, die eine schnelle und solide Nullrunde hingelegt hatte. Mal sehen, wie die anderen reiten würden. Viele hatten, genau wie Liv, zwei Pferde in der Prüfung gemeldet. Somit bestand doppelte Chance, auch wenn es eigentlich bei allen, keine gleich guten Pferde waren. Bei Liv war es eindeutig Dino, der besser sprang und größere Chancen auf den Sieg hatte.

Eine Italienerin ritt mit ihrem Schimmel in den Parcours. Danach wäre Liv an der Reihe. Im Kopf ging sie nocheinmal den Parcours durch, dann beobachtete sie den Ritt des Mädchens. Sie kassierte gleich sechzehn Strafpunkte und schien ziemlich deprimiert zu sein, als sie aus dem Parcours ritt.

Jetzt war es soweit, Liv trabte mit Belle in den Parcours. "Number 154 Lilliana Langhoff and Ma Belle, a 13 years old German Riding Pony from Mentos and Till the Champ, Germany", tönte es durch die Lautsprecher. Liv grüßte vor den Richtern und griff die Zügel kürzer, dann galoppierte sie sie an. Den Blick fest auf den ersten Sprung gerichtet. Drei Galoppsprünge zuvor saß im Sattel ein und verkürzte die Sprünge der Stute. Diese flog nur so über den Oxer hinweg. Nun ging es mit sechs Galoppsprüngen weiter auf Hindernis Nummer zwei, einer Kombination. Auch diese klappte problemlos. Nun kam das überbaute Wasser. Liv verkürzte Belles Galoppsprünge . Ein, zwei, drei - Die Stute rammte die Vorderbeine in den Boden und rutschte mit der Hinterhand, sodass sie nun fast auf dem Boden saß. In Livs Gesichtsausdruck breitete sich Panik aus. Sie sah nach unten, aber im gleichen Moment war die Stute auch schon wieder aufgesprungen.

Sie ritt erneut an. Diesmal gab sie der Stute einen Klaps mit der Gerte, den sie aber mit einem soliden Sprung über den Oxer quittierte. Dennoch hatte sie nun vier Strafpunkte kassiert. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Steilsprung, Doppelrick, Mauer - Klappten wieder reibungslos. Nun kamen sie direkt von der Mauer auf gerade Linie auf den Wassergraben. Kurz vorher saß Liv tief im Sattel ein und trieb Ma Belle energisch vorwärts. Nun hob sie sich kraftvoll in die Höhe. Es fühlte sich beinahe an wie fliegen, doch von einem Moment zu anderen war es vorbei.

Liv merkte, wie die Stute wieder zu früh am Boden aufsetzte. Wie kam auf der Kante des Wassergrabens auf. Liv fand sich in der Luft wieder, als die Stute zu Boden ging. Nach einer Sekunde des freien Falls, landete sie mit einem dumpfen Aufprall im Gras wieder. Belle lag neben ihr. Das weiß in ihren Augen war deutlich zu sehen. Sofort war Liv wieder auf den Beinen, wie es aussah, hatte sie den Sturz unversehrt überstanden, ganz anderes Belle, die zwar nun wieder auf allen Vieren stand, das rechte Vorderbeine, auf den sie aufkommen war, aber entlastete. Die Stute war vollkommen verstört und stieg von, als Liv sich ihre Zügel schnappen wollte.

"Hey, alles ist gut!", redete sie beruhigend auf die Stute ein. Das war allerdings gelogen, gar nichts war gut! Belle schien sich am Bein verletzt zu haben. So wie es schien, waren die Bänder gerissen. Wenn Sie Pech hatte, durfte Belle nicht mehr Springen. Das Problem war, dass sie sich erst vor kurzem die Bänder überdehnt hatte, jetzt war das Risiko höher, dass sie rissen. Immer noch etwas geschockt, führte sie die Braune aus dem Parcours. Als sie aus dem Parcours war, kam ein Mann auf sie zu, der sich als Tierarzt entpuppte. Er untersuchte Bells Bein, meinte aber das es geröngt werden müsste. Zum Glück war bei dem Tuniergelände gleich eine. Diese müsste für die Voruntersuchungen reichen.

Liv sattelte Belle ab und übergab ihren Strick dann Isabell, die mit gekommen war. Dorothea Langhoff kam besorgt auf ihre Tochter zu. "Schätzchen? Alles in Ordnung?", fragte diese aufgeregt. Liv, die immer noch unter Schock stand, nickte. "Geht's dir gut? Kannst du noch reiten?" Liv biss sich auf die Innenseite ihrer rechten Wange. Es war ziemlich vorhersehbar, dass ihre Mutter sich im ihren Ritt Sorgen machte und nicht um sie. Liv nickte wieder. "Gut. Ich habe Neuigkeiten für dich!" - "Sind die gut oder schlecht?", Liv wusste nicht, was sie davon halten sollte, wer weiß, was ihre Mutter wieder vor hatte! Doch diese ignorierte ihre Frage einfach und ließ die Bombe sofort platzen.

"Ich wollte es dir eigentlich schon gestern erzählen. Gestern war eine Ehepaar bei mir. Sie haben eine Tochter und sie interessieren sich für Dino. Sie haben eine Menge Geld geboten-", weiter kam sie nicht, denn sie wurde von Liv unterbrochen. "Was? Du hast ihn verkauft? Ohne mich zu fragen? Sag. Mal. Bist. Du. Noch. Ganz. Dicht?", plötzlich kam die ganze Wut, die Liv die letzten Jahre verborgen hatte, on ihr hoch. Das kann sie doch nicht ernst meinen? Tränen stiegen in ihr hoch. "Lässt du mich bitte ausreden!", die Stimme von Livs Mutter klang ziemlich wütend, "Dort wird er es gut haben. Außerdem sei doch mal ehrlich, es hat sowieso nicht mehr so gut zwischen euch geklappt. James meinte außerdem-" - "Es ist mir vollkommen egal, was DEIN James meint! Das einzige worauf du immer hinaus wolltest, war mein Erfolg! Wie es mir dabei ging, war dir doch immer vollkommen egal!", schrie Liv nun. Sie zog viele Blicke anderer Reiter auf sich, aber es war ihr egal. Ihr wurde das, was ihr in ihrem Leben am meisten bedeutet hatte, weggenommen. Und warum? Weil ihre Mutter einen Bazen Geld dafür bekam!

"Das Geld von seinem Verkauf gehört dir. Sie kommen übermorgen, um ihn abzuholen. Heute darfst du ihn noch reiten, soweit du ok bist", antwortete sie darauf und rauschte davon. Liv wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie wusste nur eins, jetzt hasste sie ihre Mutter für ewig! Nachdem Dino weg war, würde sie bestimmt ein neues, besseres Pony bekommen, doch sie wollte kein anderes Pony, sie wollte Dino!

*

Liv war sichtlich verspannt, als sie mit Dino in den Parcours ritt. Mit sehr viele Mühe unterdrückte sie die Tränen, wenn sie daran dachte, dass dies nun das letzte Mal ssein wird, dass sie mit Dino in einen Springparcous ritt. Das wirkte sich auf ihre Leistungen aus. Sie klemmte, als Dino versuchte loszuschießen und riss an den Zügeln, dass machte Dino nervös und alles verlief hektischer als sonst. Sie versuchte wieder in Gedanken mit ihm zu reden, doch diesmal blieb er stumm. Mit sehr viel Mühe schaffte sie eine Runde mit acht Fehlern. Somit war sie sowieso nicht im zweiten Umlauf. Sie merkte wie die Tränen über ihre Wangen rollten. Vor ihren Augen bildete sich ein Schleier artiger Film, als sie zum Stallzelt ritt. Ihr Herz war gebrochen und nichts könnte es mehr heilen!




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