Evelyn

Prolog - Teil 1

Prolog - Teil 1

Evelyn stand im Schatten eines verlassenen Geschäfts gegenüber des Pubs Sea Far und versuchte nicht aufzufallen, während sie abermals die Straße abscannte und nach verdächtigen Personen Ausschau hielt, die ihre Arbeit gefährden könnte. Das ist erbärmlich, dachte sie und starrte auf die menschenleere Straße. Sie war viel zu gut für so etwas.

Ihre heutige Mission war es einem Mann namens Brad Hook etwas Angst einzujagen. Angst im Sinne von krankenhausreif schlagen, da er mit dem neuen Spielzeug von ihrem Boss eine Affäre gehabt hat. Als würde ihr Boss nicht fremdgehen, aber das ging sie nichts an. Es ging sie etwas an, wenn sie diesen Auftrag ausführen muss. Natürlich war für sie nur dieser Fall übrig gewesen, ein wahres "Juwel": eine simple Aufgabe, die jeder Narr hingekriegt hätte.

So ein verdammtes Pech - ohne jeglichen Grund mit so einer Mission bestraft zu werden, das nicht einmal ihre Schuld war. War es ihre Schuld sexuell belästigt zu werden? Sie darf sich doch wehren, wenn man sie mit unsittlichen Namen anspricht und sie am Hinterteil begrapschte oder nicht? Diese Mistkerle haben sie angefasst und deswegen hat Evelyn ihnen einen Schlag versetzt.

Wie hätte sie ahnen sollen, dass die Zähne der Männer ganz locker saßen und bei der leichtesten Berührung ausfielen? Immerhin waren sie stabil genug gewesen, um Evelyn die Knöchel zu verletzen. Außerdem waren es vier ausgewachsene Männer gegen ein 18-jähriges Mädchen. Es war auch deren Schuld, wenn sie nie wirklich gelernt haben zu kämpfen.

"Wem will ich etwas vormachen?", flüsterte Evelyn und richtete ihre Maske. Seit Wochen hatte sie keinen richtigen Auftrag bekommen. Es war wahrscheinlich doch keine so gute Idee gewesen, die wichtigsten Kunden ihres Bosses zusammenzuschlagen, und das auch noch kurz vor einem Meeting von elementarer Bedeutung. Nun, jetzt können sie im Krankenhaus per Konferenzschaltung ihre Sitzung fortführen.

Ein schnittiger Wagen kam um die Ecke, silbern, soweit man das im flimmernden Licht der Straßenlaterne erkennen konnte. Das war schon seine vierte Runde um den Block. Evelyn verzog ihr Gesicht, als er näher kam und langsamer wurde. "Verdammt noch mal", flüsterte sie. "Ich brauch wohl ein besseres Versteck für diese Sache hier." Hält dieser Kerl Evelyn wirklich für eine Nutte, nur weil sie mit einer Maske und schwarze Kleidung dastand und nach jemanden Ausschau hielt? Sie hasste es ungemein, wenn Männer Frauen zu Objekten reduzieren. Na dann werden wir mal die Rollen tauschen. Das wird Spaß machen.

Als der Wagen auf dem nassen Asphalt zum Stehen kam, schlenderte Evelyn lässig bis zum Bordstein. Das automatische Fenster gab ein unangenehmes Quietschen von sich, als die getönte Scheibe hinunterglitt. Sie lehnte sich herab, zeigte ihr strahlendes Lächeln und präsentierte blitzschnell den schweren Ring an ihrem Finger. Ebenso schnell verblasste das lüsterne Grinsen von Mr. Möchtegern-Casanova und er fluchte laut. Bevor er überhaupt reagieren konnte packte sie ihn in die langen Haaren auf seiner Brust und sein Oberkörper wölbte sich mit einem Aufschrei aus dem kleinen Fenster. "Sieh ein Mädchen nochmal mit deinen dreckigen Fischaugen an und ich werde dich finden", zischte sie in sein Ohr. "Es wird ein qualvoller, langsamer Tod, darauf kannst du wetten." Er erbleichte und sie konnte seinen ekelhaften süßen Angstschweiß ausbrechen riechen. "Verschwinde von hier bevor ich es mir anders überlege und dich hier und jetzt umlege."

Der Wagen fuhr so ruckartig an, dass die Reifen laut quietschten und schwarze Streifen auf dem Asphalt hinterließen. Er fuhr sogar über eine rote Ampel ohne Geschwindigkeit zu verlieren. Evelyn drehte sich um und hörte die aufgebrachten Rufe der Nutten, die sie bei Sonnenuntergang vertrieben hatte. Sie hatten schamlos an der gegenüberliegenden Ecke Posten bezogen, wirkten jetzt allerdings nicht besonders glücklich. Evelyn winkte ihnen kurz zu, und die größte von ihnen zeigte ihr den Mittelfinger, bevor sie sich schnell umdrehte und sich weiter mit ihrer sehr herb wirkende "Freundin" unterhielt.