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Eine seichte Brise huschte über die flache Ebene, über die kaum merklichen Hügel und die weiten Felder. Die Blumen neigten sich leicht und die Gräser tanzten im Wind, während die standhaften Bäume ihre Äste stolz gegen den Himmel reckten. Die Sonne überschüttete die Landschaft mit goldenen Küssen, entflammte sie in einem roten Glitzern.

Die kühle Abendluft, die nach frischem Lavendel duftete, verfing sich in Annes grauem Haar. Fast silbern schillerten ihre Strähnen, die Constance in der Frühe zu einem eleganten Knoten geflochten hatte. Die Königin lehnte sich müde gegen ihren Vertrauten. Aramis seinerseits schlang einen Arm um sie. So genossen sie den Sonnenuntergang von der Veranda des Landhauses aus. Weit und breit gab es niemanden, der ihre Ruhe stören konnte. Niemanden, der ihre Zweisamkeit unterbinden wollte. Keine Wachen, keine Ratsmitglieder, keinen Zofen und Diener.

Seit Anne den Hof ihrer Eltern für den des Königs verlassen hatte, war ihre Beziehung zu Aramis nie so unbeschwert gewesen wie in diesen Monaten im Landhaus. Sie musste nicht mehr um die Geheimhaltung ihrer Liebe bangen. Sie musste nicht mehr fürchten, entdeckt zu werden. Nur Constance und d'Artagnan hatten das Paar in die abgelegene Villa begleitet. Vor ihnen mussten Anne und Aramis ihre Liebe nicht verleumden.

„Ich vermisse ihn." Fast hätte man Annes Worte für einen Windstoss halten können, so leise hauchte sie die Worte in die aufkommende Nacht. Tröstend nahm Aramis ihre Hand in seine. Mit dem Daumen strich er vorsichtig über ihren Handrücken. „Er wird dich bestimmt bald besuchen kommen", lächelte er zärtlich. Doch dieses Mal reichte sein Lächeln nicht aus, um Anne zu besänftigen.

„Nicht einmal einen Brief hat er geschickt", seufzte sie. Wie viele Wochen hatte sie sehnlichst seinen Besuch erwartet. Wie oft hatte sie gehofft, dass wenigstens ein Schreiben von ihm eintreffen würde. Vergeblich. „Louis ist ein viel beschäftigter Mann. Er hat ein Reich, das er regieren muss. Er hat seine Pflichten. Aber ich bin mir sicher, dass er zu dir kommt, wenn er die Zeit findet. Ganz sicher. Er wird seine Mutter ebenso vermissen, wie du deinen Sohn vermisst."

Anne nickte träge. Dann heftete sich ihr klarer Blick auf ihren treuen Geliebten. Er war so gütig zu ihr. Nie hatte er sie verurteilt oder gar Schlimmeres, weil sie scheinbar das Kind geboren hatte. Die Königin wusste, dass er Louis ein guter Vater gewesen wäre. Ein besserer als ihr verstorbener Gatte es jemals hätte sein können.

Da entschloss sie sich. Sie würde Aramis sagen, wer der eigentliche Vater ihres Kindes war. Er hatte das Recht es zu erfahren. Vielleicht würde er sie hassen, für die vielen Jahre des Lebens seines Sohnes, die sie ihm genommen hatte; vielleicht war es zu spät, um ihm die Wahrheit zu gestehen – doch besser zu spät als nie. Sie wollte nicht von dieser Welt scheiden, solange Aramis im Ungewissen schwebte.

Die Worte lagen ihr auf den Lippen. Säuberlich vorbereitet während den letzten Jahren. Sie musste nicht mehr tun, als den Mund zu öffnen und die Worte in die Freiheit zu entlassen. Eben wollte sie zu sprechen ansetzten, als zwei Reiter ihren Blick kreuzten. Reiter, hier auf dem Land? Sie galoppierten auf ihren kräftigen Rappen näher, um schliesslich vor dem Landhaus Inne zu halten.

„Madame", grüssten sie und verneigten sich vor der Königin, die sich schon beim ersten Anzeichen der Reiter aus Aramis Umarmung befreit hatte. Die Königin deutete ebenfalls ein Nicken an.„Ist es nicht ein schöner Abend?", bemerkte der eine Reiter verträumt.„Ein wunderschöner, ja", bestätigte Anne.

Die beiden Reiter schienen eben ihre dienstfreie Zeit anzutreten und auf dem Weg zu ihren Familien zu sein. Sie lachten gelöst und erfreuten sich an jeder Kleinigkeit. Sie genossen das Gespräch mit der Königin; freuten sich, dass Anne sie als Ebenbürtige behandelte. Sie verabschiedeten sich erst, als die Sonne kaum noch zu sehen war.

Anne wusste nicht, weshalb eben jetzt diese Reiter aufgetaucht waren, nachdem sie seit Monaten niemandem ausser ihren Freunden begegnet war. Doch sie glaubte, dass es ein Zeichen war. Jemand hatte diese Reiter gesandt, um ihr mitzuteilen, dass heute nicht der Tag war, an dem sie Aramis über seine Vaterschaft aufklären sollte. Stillschweigend fragte sie sich, ob dieser Tag jemals kommen würde.

Anmerkungen: Das war das drittletzte Kapitel. Nur noch zwei und dann endet die Geschichte von Anne (beziehungsweise habe zumindest ich meine Version  in zwei Kapiteln zu Ende erzählt).

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt