Kapitel 0

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Mein Leben lang hatte ich mich gefragt, ob es diese kirschroten Plastikbecher wirklich auf Partys gab. Ich wusste selbst nicht genau, warum es mich ganze 17 Jahre gebraucht hatte, das herauszufinden, aber es lag wohl entweder daran, dass diese Dinger sich sicher unter den Top 10 der größten Mythen des 21. Jahrhunderts befanden, oder daran, dass ich so gut wie nie auf irgendwelchen Partys war.

Nicht, weil ich nicht eingeladen wäre, sondern einfach weil ich Partys verabscheute.

Schwitzende und sturzbesoffene Menschen, grottige Musik und jeder wollte sich mit dir unterhalten. Und wenn du dann nicht wahnsinnig lustig, charmant, lässig oder einfach nur ein selbstbewusstes Arschloch warst, hattest du verkackt.

Jedenfalls gab es diese Becher offensichtlich wirklich. Was schon irgendwie cool war.

„Es ist doch gar nicht so schlimm oder?", kreischte Hester.

Nein, für Hester war es ganz und gar nicht schlimm. Für Hester, mit ihrem karamellfarbenen Haar, das im Takt ihrer lächerlichen Hopser wippte, mit dem Kleid, dessen stechendes Rot mit dem des Bechers in ihrer Hand um Aufmerksamkeit buhlte und dem Lippenstift, der nicht weniger leuchtete.

„Nicht, Tommy? Ist es nicht toll?", fuhr sie vergnügt vor, als ich nicht sofort antwortete.

„Mhm", brummte ich, damit sie nicht noch lauter schreien und womöglich irgendeinen perversen Schwachkopf anziehen würde, der sie für zu hält. Das würde ich nicht wollen.

Ich mochte Hester. Nicht nur, weil sie unglaublich heiß war und überraschenderweise eines der wenigen Mädchen, die mich tatsächlich zurück zu mögen schienen, auch wenn das ganz angenehme Nebeneffekte waren.

Ich mochte sie, weil sie ein gutes Herz hatte und Tiere so sehr liebte, dass sie freiwillig jeden zweiten Tag im Tierheim arbeitete und weil sie mit Leichtigkeit stundenlang über Gott und die Welt reden konnte, sodass ich sie einfach nur ansehen und ihren Belanglosigkeiten lauschen konnte.

Auf jeden Fall fühlte ich mich blöderweise für sie verantwortlich, weil sie ein Jahr jünger war und dazu noch ziemlich naiv.

„Guck mal, Tommy", schrie sie vergnügt, ihre Stimme kam kaum gegen die dröhnende Musik an.

Zögerlich suchte ich mit den Augen die Richtung ab, in die ihr wippender Arm zeigte.

„Was denn?", fragte ich verwirrt.

Ich hatte keine Ahnung, ob sie mich verstand – eher unwahrscheinlich, höchstens durch Lippenlesen – aber auf jeden Fall antwortete sie in der gleichen ohrenbetäubenden Lautstärke: „Da ist Matt! Kennst du Matt? Er ist der coolste Typ überhaupt! Du kennst ihn mit Sicherheit!"

Ich entschied mich, das mit dem „coolsten Typen der Welt" nicht beleidigend aufzufassen und konzentrierte mich stattdessen darauf, ihrem Blick möglichst genau zu folgen.

„Der da", schob sie nach, den Oberkörper nach vorne gebeugt, sodass ich sie besser verstehen konnte.

„Der mit dem schwarzen Shirt?", wollte ich stirnrunzelnd wissen und fasste ihr unkoordiniertes Gehopse als Bestätigung auf.

Ich nickte und wendete mich wieder ab, aber das reichte Hester noch nicht – aufgedreht griff sie nach meiner Hand und quetschte meine Finger zusammen.

„Glaubst du er kommt rüber, Tommy?" Ihre Stimme überschlug sich fast.

Ich schätzte die Situation ab.

Matt hatte uns seine linke Schulter zugewendet und unterhielt sich mit einer Gruppe Teenager in unserem Alter. Er lachte über irgendwas, die Gruppe lachte mit, ein großgewachsenes Mädchen stützte seinen Ellenbogen auf Matts Schulter ab.

WhiskyWhere stories live. Discover now