Hannen (185 p.c.)

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Schmerzerfüllte Schreie, dunkle Schatten, ein heller Blitz, der unheilvoll zuckte, aufleuchtete und wieder verlosch. Ein kalter Hauch, der gemurmelte Worte mit sich trug, formte sich zu einem Strudel, der sich immer höher aufbäumte. Eine Frau schwebte in seiner Mitte. Die hellblonden Haare wehten im Wind und sie stieß ein hämisches Lachen aus durch Mark und Bein ging. Dann drehte sie dem Betrachter ganz langsam das zu einer hässlichen Fratze verzogene Gesicht zu.
"Mama", flüsterte der kleine Junge, der sich wild im Bett wand und durch wildes Treten und Strampeln versuchte, dem Albtraum, der in ihn erbarmungslos in seinem eisernen Griff hielt, zu entkommen. Erfolglos.
Die grauenerregende Version seiner Mutter bleckte die Zähne zu einem Lächeln. "Hallo, mein Sohn", krächzte sie und streckte die blutverschmierten Hände, um sie ihm auf die Wangen zu legen. Der Junge schrie erneut und wollte wegrennen jedoch gehorchten ihm seine Beine nicht.

Er konnte sie nicht dazu bringen, ihn in Sicherheit zu bringen. Wie eine Salzsäule stand er da und konnte nur mitansehen, wie sich die blutigen Pranken auf sein Gesicht zubewegten. Die Zähne seiner Traummutter waren spitz und schwarz und bewegten sich geradezu auf seinen Hals zu. Gleich würde es so weit sein. Er machte sich auf den stechenden Schmerz gefasst, der jedoch nicht kam.
Langsam öffnete er die Augen, welche er reflexartig zugekniffen hatte. Sie war weg. Die grauenhaft monsterähnliche Version seiner Mutter war nirgendwo mehr zu sehen. Eine gespenstische Stille herrschte, die den Jungen nicht im geringsten beruhigte. Im Gegenteil, sie verängstigte ihn noch weiter. Die Atmosphäre war aufgeladen und gespannt. Es war nur eine Frage der Zeit, bevor sie zerreißen würde. Vorsichtig lief der Junge ein paar Schritte weiter, stets auf der Hut vor einem neuen Angreifer. Aber der kam nicht. Der Herzschlag des Kleinen beruhigte sich langsam und seine Vorsicht sank. Ein Fehler. Durch seine Unachtsamkeit bekam er nicht mit, wie ein dunkler Schatten an ihn herabschwebte und ihn in einer blitzschnellen Bewegung am Handgelenk packte.

Der Junge fuhr herum bereit in die grässliche Fratze der Frau, die er im wahren Leben Mama nannte, zu blicken. Aber sie war es nicht. Die Gesichtszüge ähnelten sich auffallend, aber die Schattenfrau vor ihm wirkte jünger und sanfter. "Tante Zoisa", entfuhr es ihm erleichtert und er kuschelte sich an sie. Die Schattengestalt erwiderte die Umarmung jedoch nicht und packte ihn an den Schultern. "Wir haben keine Zeit, Hannen", hauchte sie ihm zu und das panische Flackern in ihren Augen jagte Hannen eine Heidenangst ein.
"Sie wird wiederkommen und sie will dir deine Seele rauben." Hannen musste nicht nachfragen, wen sie meinte. Und wie aufs Stichwort erklang das hämische Lachen seiner Traummutter. Seine Tante packte ihn am Arm und zerrte ihn hinter sich her. Hannes hatte das Gefühl, komplett die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren und wusste nicht, wie er es schafft, hinter Zoisa herzustolpern.

Ein heller Blitz schlug plötzlich vor ihnen ein und verwandelte sich in die Schreckensgestalt. Hannen schrie, seine Tante stieß ihn von sich und rief:"Lauf Hannen und versteck dich, versteck deine Seele", dann begann sie zu schreien, was Hannen durch Mark und Bein ging, aber er rannte weiter. Erst als seine Seiten in Flammen zu stehen schienen und er metallisches Blut schmeckte, blieb er stehen. Er drehte sich um und konnte in weiter Ferne die Schauerversion seiner Mutter sehen, die sich über seine Tante gebeugt hatte. Dann richtete sie sich auf und streckte etwas triumphierend in die Höhe. Erst konnte Hannen nicht erkennen, um was es sich handelte, aber dann erkannte er die azurblauen Augen seiner Tante.

Wie als hätte jemand den Stecker gezogen, verschwand das Bild vor Hannens Augen und er nahm nur Schwärze wahr. Ganz still lag er da und spürte, wie die Gliederschmerzen sich über ihn legten wie eine Decke, die ihn zu Boden drückte und ihm das Atmen erschwerte. Hannen schaffte es nicht, die Augen zu öffnen. Sein Hals fühlte sich eng und geschwollen an und er hatte das Gefühl, sein Kopf würde jeden Moment explodieren. Er leises Röcheln entfuhr ihm. Hannen wusste, dass er eine Vision gehabt hatte.
Schon wieder. Seine Mutter würde sich schreckliche Sorgen machen. Er wollte nicht, dass sie Angst hatte. Aber er selbst hatte auch Angst und er wollte seine Mama."Mama", krächzte er leise und da er sich nicht sicher war, ob sie ihn gehört hatte, wiederholte er es lauter. Einmal zweimal, dann hörte er Schritte. Seine Tür wurde geöffnet und seine Mutter trat hinein.

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⏰ Last updated: May 03 ⏰

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Seonder-Schärfe deine SinneWhere stories live. Discover now