Lumily (72 p.C.)

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Ihre Schreie klingelten Lumily in den Ohren und pressten sich durch ihren Gehörgang auf ihr Hirn. Gequält presste Lumily zwei Finger aufs Ohr, was ihre Mutter jedoch sofort bemerkte."Lumily, nimm sofort die Finger von den Ohren, ich glaubs nicht, es geht hier um deine Zukunft." Ihre Stimme war schneidend wie ein Messer und das Gesicht, in welchem die gleichen grauen Augen saßen, die Lumily auch besaß, war zu einer Fratze verzogen.
"Ich verstehe eben nicht, warum wir diese Diskussion überhaupt führen", erwiderte Lumily gereizt, "warum kann ich nicht weiter bei Evivi in der Kanzlei arbeiten?". Ihre Mutter schnaubte und streckte einen ihrer perfekt manikürten Fingernagel nach Lumilys Vater, der mit verschränkten Armen auf einem der teuren Ledersessel saß, aus.

"Siehst du, was du angerichtet hast?", fauchte sie, "du meintest, wir sollen Lumily ausprobieren lassen, was ihr gefällt und jetzt will sie weder zu dir noch zu mir in die Firma. Drei Jahren kannst du diesen Firlefanz machen, hatten wir gesagt und drei Jahre sind rum und nun wirst du als Bänkerin in das Familienunternehmen einsteigen", wandte Viydia sich dann an ihre Tochter und warf ihrem Mann bei den letzten Worten einen herausfordernden Blick zu. Elsians Kiefer malmte und er rang sichtlich um Fassung.
"Viydia, du kannst nicht einfach all unsere Kinder zu dir ins Unternehmen holen. Ich habe mit der Parteiführung auch etwas, das ich weitergeben will." Lumily schaltete auf Durchzug, als ihre Mutter eine keifende Antwort vor Esilians Füße warf und versuchte, ihren dröhnenden Schädel damit zu entlasten, starr auf die gefliesten Wände im Hintergrund zu blicken und deren bunte Muster langsam vor sich verschwimmen zu lassen.

Es war jedes Mal dieselbe Diskussion. Ihre Mutter hatte sie gedanklich schon bei sich in der Bank angestellt, aber ihr Vater wollte, dass sie wie er in die Politik einstieg. Lumily wollte das auch. Wenn sie schon nicht weiter bei Evivi in der Kanzlei arbeiten durfte, wollte sie in die Politik. Das ihre Mutter dies zulassen würde, bezweifelte Lumily jedoch und wenn er ehrlich wäre ihr Vater bestimmt auch. Viydia war ein Kontrollfreak, sie wollte das alle ganz besonders Lumily nach ihrer Pfeife tanzten und verlangte dies auch ein, da Lumily schließlich noch zuhause wohnte.

Sich eine eigene Wohnung suchen durfte Lumily jedoch auch nicht, solange sie noch nicht verlobt war- dies waren zumindest die Voraussetzungen ihrer Mutter. Sie musste auf Lumily und deren Handeln und Leben Zugriff haben können. Dabei war ihre Tochter schon Anfang zwanzig.
Eine plötzliche Ruhe kehrte ein und was auf Außenstehende wirken mochte, als hätten die beiden ihren Streit beendet war für Lumily das Zeichen, das die ganze Situation am Eskalieren war. Es war schon immer der Trick ihrer Eltern gewesen, Streitigkeiten ab einem gewissen Zeitpunkt in ihren Köpfen weiterzuführen, da sie als Audir die Fähigkeiten besaßen, sich über Gedanken auszutauschen und diese Unterhaltung vor anderen auch anwesenden Audir zu verschließen.

Auch Lumily wusste also nicht genau, was sich ihre Eltern gerade an den Kopf warfen, aber dass es keine entschuldigenden Worte oder Liebesbekundungen waren, zeigten die zwei grauen Augenpaare, die vor Wut um die Wette loderten. Lumily nutzte den Moment, in dem ihre Eltern zu fokussiert auf ihre Auseinandersetzung waren, um noch irgendetwas um sich herum mitzubekommen und schlich sich leise Richtung Haustür. Prüfend blickte sie auf die Uhr, wenn sie sich beeilte, würde sie noch pünktlich sein.


Lumily war kaum durch die große Holztür getreten, als ein großer Mann ca. Mitte zwanzig sie mit einem festen Hieb ins Schloss stieß und den alt aussehend Schlüssel dreimal herumdrehte. Erleichtert atmete Lumily aus, sie hatte es gerade noch geschafft. Einen Moment musste sie sich am abgenutzten Holz des Tresens abstützen, nicht nur, weil sie von ihrem zügigen Marsch leicht außer atmen war, sondern auch weil die Flut der Gedanken der anderen Seonder auf sie einprasselten. Lumily konzentriere sich auf das Material, aus dem der Tresen gemacht war, auf die Kerben, welche sie ertasten konnte und merkte, wie ihr Gehör sich der Situation anpasste. Die Gedankenflut wurde immer leiser und verstummte schließlich komplett.

Seonder-Schärfe deine SinneWhere stories live. Discover now