Edria (112 p.C)

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Eins grün wie die jungen Blätter im Frühling, eines braun wie zart schmelzender Karamell. So blickten Edrias Augen ihr aus dem Spiegel entgegen. Zwei verschiedene Farben, aber für Edria waren sie eins für Sie machten sie sie eines. Und trotzdem waren sie in den Augen vieler Seonder eine Schande. Sie zeigten, was Edria war, eine Misuo, eine Mischung aus zwei verschiedenen Gruppierungen der Seonder. Edrias Vater gehörte zu den Nador die durch ihren phänomenalen Geruchssinn Erinnerungen wieder leben. und erriechen konnten und ihre Mutter war Mitglied der Sentellis gewesen, die durch ihren Sinn der Haut des Fühlens, die Emotionen anderer wie ihre eigenen fühlen und verändern konnten und die Heilkunst beherrschten. Für Edria gehörten beide ihrer Sinne zu ihr wie die Sterne zum Himmel. Sie wusste, dass wenn sie eines Ihrer Augen und damit eine ihrer Sinnkräfte verlieren würde, würde unweigerlich ein Teil von ihr sterben. Sie würde eine Leere verspüren, die durch nichts in der Welt wieder zu füllen wäre.

Doch Edria wusste, dass genau das ihr bevorstand. Ihre Ausbildung war fast abgeschlossen; nächste Woche würde sie 20 Jahre alt werden, dann wäre sie ein vollständiges Mitglied der Seonder und müsste sich entscheiden. Ihr waren sowohl die Kräfte der Nador als auch der Sentellis gelehrt worden, doch jetzt galt es sich zu einer der beiden Gruppen zu bekennen. Edria wusste, wenn sie es nicht tun würde, würde es eine der beiden Gruppierungen für Sie tun. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an die wenigen Misuo dachte, die sie bis jetzt in ihrem Leben getroffen hatte. Einige von ihnen trugen modische Klappen über dem verlorenen Auge, um die Höhle, die darunter lag zu verbergen. Andere ließen sich Glasaugen in den Farben ihrer Gruppierungen anfertigen, da sie sich so mehr Respekt und Zugehörigkeitsgefühl erhofften. Die Aufsässigen, die Rebellen, sie trugen gar nichts und stellten das fehlende Auge zur Schau.
Edria fand ihren Mut bemerkenswert, aber zugleich auch dumm. Jeder wusste, was mit diesen Seondern passieren würde. Sie stellten eine Gefahr für das System da, indem sie offen anprangerten, dass ihnen eines ihrer Augen gegen ihren Willen genommen wurde.

Solche Misuo wurden zuerst eingesperrt, und falls sie weiterhin auffällig blieben, wurde ihnen auch das zweite Auge geraubt und mit ihm die gesamten Erinnerungen an das Leben in der Gesellschaft der Seonder. Von dort an mussten sie ein blindes Leben in der Welt der Menschen führen, ohne Erinnerung an die Welt, der sie einmal zugehört hatten, an die Familie, die sie verloren hatten und an den Seonder, der sie einmal gewesen waren. Die Höchststrafe, die es in der Gesellschaft der Seonder gab. Aber vielleicht, dachte Edria, ist das komplette Vergessen ja besser als den Schmerz darüber ein Teil seiner selbst verloren zu haben, jeden Tag ertragen zu müssen. Im nächsten Moment scheut sie sich selbst für diesen Gedanken. Sie würde die Welt der Seonder um keinen Preis der Welt verlieren wollen. Edria griff nach ihrem Lieblingsparfüm und sprühte sich großzügig damit ein. Sofort stieg ihr der unverkennbare Geruch von Gänseblümchen und Mohnblumen in die Nase, einzelne Bilder schoben sich in ihr Sichtfeld: Sie als Kind, sie als Jugendliche, lachend, spielend in einer Blumenwiese.

Edria schob diese Bilder bestimmt zur Seite, sie hatte jetzt keine Zeit dafür, die Erinnerungsflut auf sich einwirken zu lassen. Die Bilder lösten sich wieder auf. Erfreut lächelte Edria. Ihre Mentorin Elri wäre sicherlich zufrieden damit, wie leicht es ihr mittlerweile gelang, aufkommende Erinnerungen abzuwehren. Sie war bereit für ihre Abschlussprüfung, auch wenn sie Angst hatte, was danach kommen würde.

Grelles, flackerndes Licht, laute dröhnende Musik, die Ellenbogen anderer Leute im Gesicht und Gerüche von blumigem Parfüm bis hin zu billigem Schnaps ließen Edria fühlen, als würde sie nicht nur die Kräfte zweier Sinne, sondern gleich aller Fünfer besitzen, die sie anflehten den stickigen, dunklen Raum, der einer der angesagtesten Bars Seopats war, zu verlassen. Edria sehnte sich nach ihrem weichen Bett. Die letzten Tage waren mehr als nur fordernd gewesen. In drei Tagen würde sie ihren 20. Geburtstag feiern und hoffentlich ihre Abschlussprüfung bestehen. Einfach zu gehen kam mir doch nicht in Frage, schließlich feierten sie heute den 20. Geburtstag und die bestandene Abschlussprüfung ihrer besten Freundin Lymelia.

Seonder-Schärfe deine SinneWhere stories live. Discover now