Kapitel 4- Pinehurst Manor

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Die bunten Blätter, der herbstlich angehauchten Bäume, fielen vereinzelt auf den holprigen Waldboden nieder und die angenehmen Strahlen der untergehenden Sonne, ließen die Schatten der Äste aufleuchten. Der Himmel war in ein Farbenmeer aus warmen Wolken gehüllt. Rot, orange, gelb und rosé erscheinende Kontraste setzte sich, bestimmend jedoch sanft, über den blau/grauen Tag hinweg. Eine Szene, die mit der naturbelassenen Landschaft, den Büschen, Feldern und Bächen gänzlich harmonierte. Auf einer Allee, welche überwuchert war mit den verschiedensten Gräsern, kämpfte sich Sheriff Sinclair durch die Launen der Natur. Sein klappriger Streifenwagen hatte große Mühen voranzukommen, denn die Pflastersteine, die im erdigen Boden versenkt waren, wurden stetig weniger. Desto tiefer er in die Wälder Stowes eindrang, umso mehr entfernte er sich von Zivilisation und den gut ausgebauten, amerikanischen Straßen, in die er so vertraute. Die Bäume und Blätter der Allee, formten einen Tunnel aus Espenlaub, zumindest erschien es Sinclair so, denn die Sonne brach nur vereinzelt durch sie hindurch. Kurz dachte er darüber nach umzukehren, nicht nur, weil es immer später wurde, sondern auch, da die Wahrung seiner Kollegin Mandy Baker ihm immer noch im Kopf herumschwirrte. »Ich weiß nicht mehr, wem ich trauen kann und halte mich möglichst bedeckt. Dass, selbe rate ich ihnen auch«, ließ er ihre Worte Revue passieren. War es egoistisch von Mandy? Ihr eigenes Leben behüten zu wollen, wenn andere verschwinden und sterben? Sicherlich nicht, dachte Sinclair. Was soll schon falsch daran sein? Wer entscheidet, welches Leben wichtiger ist als das andere. Doch mit ihrer Aussage traf Mandy bei ihm selbst auf kalten Stein. Er war eben zu selbstlos als, dass er sein eigenes Leben anderen vorzöge. Dass, war wohl einer der Gründe, warum er nicht umgekehrt war, als es noch vernünftig erschien.

Bald schon tauchte am Ende des schier undurchdringlichen Allee der rote, glühende Punkt des Horizontes auf. Der Streifenwagen preschte auf eine Lichtung, umgeben von großen Tannen und grünen Felder hinaus. Sinclair trat auf die Bremse. Wie bei einem nahenden Sturm, war sein Atem für einen Moment windstill. Langsam beugte er sich nach vorne und sah aus der Windschutzscheibe nach oben in das sich entfaltende Bild vor ihm. Nur wenige Meter entfernt und über eine lange gepflasterte Auffahrt erreichbar stand, pompös und elegant, Pinehurst Manor. Trotz, dass Sinclair seid seiner Kindheit in Stowe lebte, war er bisher kein einziges Mal in den Genuss gekommen es zu besichtigen. Dass ein hinterlistiger Vorwand ihm nun Einlass gewähren würde, war mehr als bedauerlich.
Anmutig und stark erstreckten sich seine Mauern und Türmchen über die Felder hinweg. Von seiner Position aus, konnte der alte Sheriff seine imposanten Balkone entdecken, welche von der Frontseite, ihm zugewandt waren. Dunkele Backsteine, lange griechische Säulen und die romantisch hohen Fenstern, ließen es gerade so wirken, als sei es aus einem Märchen entsprungen. Der Anblick war einfach atemberaubend und die Größe, in welche sich Pinehurst Manor über die Lichtung erstreckte, versprach majestätisches. Langsam trat Sinclair aufs Gas. Beim Herankommen bemerkte er den eisernen und hohen Zaun, der um das ganze Gebiet des Herrenhauses gezogen war. Das Eingangstor, zusammengehalten von zwei Steinsäulen, begegnete ihm bereits, bevor er überhaupt ansatzweise in der Nähe des eigentlichen Gebäudes war. Es symbolisierte abermals wie enorm die Ausmaße und Einflusssphäre des Herrenhauses und dessen Gärten war.

Über einen langen Pflastersteinweg, der in einem Rundweg endete, fuhr er kerzengerade auf den Haupteingang zu. Ein hoher Springbrunnen stand in der Mitte der Anfahrt, auf dem ein großer steinerner Löwe hockte. Sinclair ließ den Wagen verstummen, atmete einmal tief ein und stieg dann, mit der Entschlossenheit, die man bei älteren häufiger zu Gesicht bekommt, aus. Die Eingangstür lag auf einem erhöhten Sockel, erreichbar durch eine marmorartige, breite Treppe. Sinclair, bahnte sich seinen Weg hinauf und betätigte die verrostete Klingel zu seiner rechten. Obwohl das Herrenhaus, aus den 1900 Hunderten stammte, war es dennoch, zumindest beschrieben es die Zeitschriften so, in einem hervorragenden Zustand. Jetzt wo er es mit eigenen Augen zu Gesicht bekam, konnte der alte Sheriff dieser Aussage nur zustimmen. „Dieser Mr. Krov muss ein ganz gut bedeckter Kerl sein, wenn er sich diesen Luxus hier leisten kann", murmelte Sinclair, während er darauf wartete, dass ihm aufgeschlossen wurde. Er klingelte ein zweites Mal. Wieder öffnete niemand. War er wohl nicht zu Hause? Nein, er musste da sein, niemand würde Abends, vor allem während ein Mörder auf freiem Fuß war, draußen herumspazieren. Die Sonne war nun hinter den Bäumen verschwunden und der Abend verfiel in einen Kampf, mit dem Horizont am Himmel. Der Schatten kroch langsam an den Hauswänden empor. Auch Sheriff Sinclair war indessen von ihm bedeckt. Langsam trat er unter dem steinernen Bogen der Eingangstür zurück und sah suchend an der Hauswand hinauf. Seine Augen wanderten an den langen, vom letzten Sonnenlicht reflektierenden Fenstern vorbei. Plötzlich kam es Sinclair vor, als huschte etwas hinter dem Glas davon. Skeptisch wandte er sich wieder der Haustür zu. Er klingelte ein drittes Mal. Wieder herrschte eine erdrückende Stille und er wollte sich bereits, niedergeschlagen wie er war, auf den Heimweg machen, als sich letztendlich doch knarzend die eindrucksvolle Forte öffnete. Zum Vorschein kam ein junger Mann von vielleicht 20 Jahren. Er trug eine bräunliche, gerade nach unten fallende Hose und darüber einen marineblauen Pullover. Der Kragen eines weißen Hemdes, schaute am Saum, darunter hervor. Er war gerade einmal so groß wie Sinclair selbst, was jedoch immer noch eine beachtliche Größe war. Die Statur war lang und dennoch athletisch. Sein Gesicht hatte scharfe Züge und die grünen Augen, sowie das wuschelige, braune Haar schlossen seinen Gesamteindruck ästhetisch ab. „Kann ich Ihnen helfen?", fragte er. Seine Stimme war so klar wie auf die Erde niederprasselnde Regentropfen und dennoch, eine deutlich hörbare Abneigung und Arroganz lag in seiner Frage. Dies entging auch dem alten Sheriff nicht und ihm war gleich klar das diese fromme Gestalt nur diente, um einen selbstverliebten, egoistischen und verlogenen Charakter zu verschleiern. Er zückte seine Marke und hielt sie dem Jungen sichtbar hin. „Sheriff Sinclair, Vorsitzender des Stowe Polizei-Departments. Ist Mr. Krov zu geben?", fragte er tonlos, was nicht verwunderlich war. In den letzten Monaten hatte er sich bei den Angehörigen der Mordopfer fast durchgängig so melden müssen. Es war eben zur Routine geworden. Der junge Mann musterte seinen Gegenüber skeptisch. Er hatte wohl bemerkt, dass Sinclair versucht hatte in den Flur hinter ihm zu spähen. Langsam streiften die grünen Augen, die alte Dienstmarke des Sheriffs, welcher sich fühlte, als würde er komplett durchleuchtet werden. „Kommen sie rein", antwortete der Junge letztendlich und trat aus dem Türbogen, den er zuvor abwehrend mit seinem Körper blockiert hatte, zurück.

Chroniken der Schatten/ Buch 1- Die Jäger Where stories live. Discover now