Kapitel 3- Ein roter Faden

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Zur selben Zeit, an einem ganz anderen Ort, saß Sheriff Sinclair in dem abgedunkelten Büro des örtlichen Polizei-Departments von Morrisville. Die ungefähr 9 Kilometer entfernte Nachbarschaftsgemeinschaft lag nördlich von Stowe und verhielt sich, ähnlich des Sheriffs Heimatstadt, äußerst verdächtig. Nervös tippte sein Bein hin und her. Die unverkennbaren Anstrengungen der letzten Tage, zeichneten sich deutlich in seinem Wesen ab, wobei nicht nur die unruhige Körpersprache, die dunklen Augenringe und die gräulich erscheinende Haut, Erschöpfung versprach. Vereinzelte Sonnenstrahlen durchbrachen die zugezogenen Lamellen, fielen auf die hölzernen Möbel nieder und zeigten, die in der Luft umher schwirrenden Staubkörner auf. Sinclair musterte die Vitrine zu seiner rechten, in der einige Medaillen und Urkunden prominent ausgestellt waren. Trotz der herbstlichen Kälte stand die Luft im Raum und es war beinahe unerträglich stickig.
Der alte Sheriff harrte pflichtbewusst in seiner Uniform auf einem der Stühle aus und legte matt seinen Hut vor sich auf den Tisch. Langsam führte er seine dicke Hand zur Stirn und strich sich, über den Nasenrücken, die Augenbrauen aus dem Gesicht. Plötzlich tauchte ein Schatten hinter dem verspiegelten Glas der Zimmertür auf. Abrupt erhob er sich, als diese sich öffnete und eine ältere Dame in gleichfarbiger Uniform eintrat. Sie hatte blondes, nackenkurzes Haar, dass vereinzelt mit grauen Strähnen durchzogen war und entsprach kräftiger, jedoch kleiner Statur. Die schwere Kleidung verstärkte diesen Effekt ungemein und ließ sie breiter erscheinen als sie in Wirklichkeit war. Ihre braunen Augen starrten streng auf ein Formular, dass sie bei sich trug. Selbst als sie des Sheriffs Hand ergriff, fest und stark, sah sie nicht zu ihm auf.

„Mandy", entgegnete er kurz. „Schön sie zu sehen Steve", antwortet diese und ließ sich mit einem lauten Seufzer auf den Stuhl gegenüber von ihm fallen. „Immerhin einer, der den Kopf kühl behält. Die gehen mir hier noch alle hoch, ich sag's dir". Missmutig schob sie ihm das Formular über die Tischplatte hinüber. Der alte Sheriff ließ langsam seinen wachsamen Blick über die weiße Tabelle schweifen. „Sieben?", brachte er fassungslos hervor. Die Dame kramte aus der Schublade ein milchiges Whiskyglas hervor und schenkte sich großzügig aus einer dazugehörigen Flasche, welche unter dem Tisch stand, ein. Sheriff Sinclair hob verwundert eine Augenbraue. „Ich dachte, du währst weg von dem Zeug?", fragte er, mit einer gewissen Wertigkeit in seiner Stimme. In einem Zug trank sie das Glas aus und stellte es mit einem hölzernen Ton auf dem Tisch ab. „War ich auch, bevor dieser ganze Mist hier anfing. Verdammt Steve, sieben! Alleine in diesem Monat, davon ein Kleinkind", seufzte sie. „Ein Kind? Doch nicht etwa der Kleine, der Millers? Er soll letzte Woche verschwunden sein", brach es aus ihm heraus. Traurig sah sie von ihren zusammengefalteten Händen auf. „Wir fanden ihn vor zwei Tagen, unten am Kanal. Das arme Kind, gerade 10 Jahre geworden".

Sinclair schob den Bericht schwach zurück über den Tisch. „Die Eltern sind am Boden zerstört ... alleine, dass wir das Kind noch zur Obduktion dabehalten mussten. Einfach schrecklich", berichtete sie. Doch gerade als sie fortfahren wollte, hielt sie mit einem mal inne. Verstohlen sah sie ihren Kollegen an, welcher ihren besorgten Blick matt abfing. „Steve ... tut mir leid, ich habe nicht-", begann sie, doch er winkte ruhig ab. „Es ist 13 Jahre her, Mandy. Kein Elternteil sollte sein eigenes Kind zu Grabe tragen müssen, aber nicht darüber zu sprechen, bessert den Umgang mit dem Thema nicht".
Die Blondine warf ihm ein mitleidiges Lächeln zu, dass ihren inneren Kampf mit sich selber verriet. Sollte sie weiter auf ihren Kollegen eingehen, oder mit dem eigentlichen Problem fortfahren? Letztendlich entschied sie sich für letzteres. „Sieben Vermisste in einem Monat, die alle nach ein bis zwei Tagen wieder auftauchen. Alle dieselben Auffälligkeiten und nicht mal einen klitzekleinen Anhaltspunkt", erklärte sie und lehnte sich schlaff im abgenutzten Drehstuhl zurück. „Du brauchst mir nicht sagen, was ich schon längst weiß. Bei uns ist es ganz ähnlich. Was ich benötige, sind Antworten und vor allem eine Lösung. Die Behörden und Anwohner sitzen mir im Nacken. Und alles, was ich zustande bringe, ist sie zu belügen. Ich vertröste sie schon seit Wochen, eine ausbrechende Massenhysterie wäre alles andere als vorteilhaft". Seine Gegenüber, welche mittlerweile gedankenverloren an die Decke starrte und die Hände gefaltet auf dem Bach abgelegt hatte, schielte ihn aus dem Augenwinkel an. Mit einem Mal richtete sie sich auf und winkte ihn zu sich heran. Sheriff Sinclair folgte ihrer Bewegung. „Ich kann dir zwar keine Anhaltspunkte geben, aber eine Vermutung", flüsterte sie schwach.  Ungläubig Schwung Sinclair wieder zurück auf seine Stuhllehne. „Vermutungen oder Anschuldigungen?". „Auffälligkeiten ... doch darüber kann ich hier nicht sprechen", entgegnete sie leise. „In unserer jetzigen Situation und als Vorsitzende des Polizei-Departments von Morrisville, appelliere ich daran, dass wir und die umliegenden Gemeinden radikale Maßnahmen ergreifen", fügte sie schnell anbei. Ihr Ton war scharf und einschüchternd. Sinclair kam es beinahe so vor als wollte sie einen Themenwechsel erzwingen und bereute, dass sie ihren Gedanken vor ihm laut ausgesprochen hatte.  „Radikale Maßnahmen?", er runzelte die faltige Stirn. Langsam erhob sie sich und steuerte die Tür an und er folgte ihr pflichtbewusst. Sie legte ihre Hand auf die vergoldete Klinge, drücke diese aber nicht herunter. Abermals wandte sie sich zu ihm um und hob abrupt die Hand. „Eine sofortige Ausgangssperre von 19 bis 6 Uhr, sowie keine Aus- und Einreisen mehr, ohne das protokollieren und dem Vorweisen eines triftigen Grundes", zählte sie an zwei Fingern ab. „Das wird uns zwar auf lange Sicht nicht helfen, aber es wird uns die Zeit verschaffen, die wir brauchen". Sheriff Sinclair nickte zustimmen. Beide Beamten wiederholten ihren vorherigen Handschlag , bei dem die Fingergelenke eines Alltagsmenschen sicherlich zerbrochen wären. „Sheriff Sinclair", klopfte sie ihm auf den Rücken, bevor sie die Tür öffnete. Ihren Arm ließ sie über seine Jackentasche nach unten gleiten. Er war bereits, auf halbem Weg unter dem hölzernen Türbogen hindurchgeschritten, da hielt sie ihn plötzlich auf. „Steven, passen sie auf sich auf. Ich weiß nicht mehr, wem ich trauen kann und halte mich möglichst bedeckt. Dass, selbe rate ich ihnen auch", sagte sie ernst und ihre Falten lagen tief. „Ich bin Sheriff, es ist mein Job mich einzumischen", entgegnete er, wobei man nicht wirklich deuten konnte, ob er es sarkastisch oder ehrlich meinte. Sie lächelte verständnisvoll, denn die enge Freundschaft der beiden, so unverständlich wie sie für Außenstehende auch erscheinen mochte, brauchten keine Worte, um sich zu verständigen. „Sheriff Baker", entgegnete er und senkte seinen Hut.

Wenige Minuten später, ließ er sich steif und schwer in den ledernen Sitz seines Streifenwagens, der auch schon bessere Tage gesehen hatte, fallen. Er richtete den Rückspiegel zurecht und kramte aus seiner Innentasche sein Funkgerät hervor. Doch da spürte er einen Druck durch den Stoff der Jacke. Verstohlen, zog er seine Hand aus der Innentasche und fasste in die rechte Außentasche, seiner Uniform. Ein zerknüllter Zettel kam zum Vorschein, welchen er vorsichtig entfaltete und auf dem Armaturenbrett glatt strich. Die prägnanten, roten Anmerkungen und das angeheftete Foto, fielen ihm sofort ins Auge.

Skeptisch musterte er die Fotografie, bevor es ihm wie Schuppen von den Augen fiel

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Skeptisch musterte er die Fotografie, bevor es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Hektisch griff er, sich mit dem Oberkörper durch die Lücke zwischen Fahrer- und Beifahrersitz quetschend, nach einer Vielzahl an Krimskrams auf dem Rücksitz. Eine Handvoll Heftchen und Ratgeber zog er aus den leeren Fastfood Verpackungen hervor. Eine nach der anderen durchwühlte er, jene, die er für unwichtig hielt, flogen im hohen Bogen zurück auf die Rückbank. Endlich fiel ihm die Zeitschrift für Stowe's Immobilienmarkt in die Finger. „Verdammt Mandy, du Fuchs", murmelte er mit der Gewissheit, dass sie ihm den Zettel zugesteckt hatte. Auf einer der Seiten, die relativ weit vorne lag, erblickte er die Ausschreibung für ein gotisches Herrenhaus in den naturbelassenen Wälder und Landschaften Stowe's. Unterhalb der Beschreibung, welche die Anzahl von Räumlichkeiten und dem Grundstück selbst erläuterte, prangerte in großer Druckschrift "VERKAUFT" und ein Kommentar der Autoren. „Verkauft-Wir freuen uns , Mr. Yuri M. Krov zu beglückwünschen, den glücklichen neuen Besitzer von Pinehurst Manor! Möge dieser historische Bau ihm unzählige Jahre des Glücks, der Inspiration und der Faszination bringen!", nuschelte Sinclair, als er den Kommentar sich selbst vorlas. „Die Anzeige ist dreieinhalb Monate alt ...", fügte er nachdenklich hinzu, als er sich das Datum des Ausschnittes besah. Seine Hand ließ die Zeitschrift in den Fußraum sinken. Die Erkenntnis, die er in wenigen Sekunden erlangte, war alles andere als angenehm. Die Zeitspanne in der Mr. Krov das Anwesen erworben hatte und die Morde lagen zu nah beieinander. „Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht aber auch nicht", seufzte der alte Sheriff. Eine falsche Anschuldigung würde nicht nur seine Karriere, auch wenn diese bereits auf eine ausgewogene Rente zusteuerte, immens belasten, sondern auch das Problem verschlimmern. Wenn der Verdacht bekannt würde, sich aber als unwahr herausstellte, hätte es fatale Auswirkungen auf alle Gemeinden. Die Menschen würden Hoffnung schöpfen, nur um diese bald wieder zu verlieren. Von dem verlorenen Vertrauen in die Polizei ganz zu schweigen. Nein, Sheriff Sinclair war sich seiner Pflicht zu sehr bewusst, er würde die Schuld nicht auf einen potenziellen Unschuldigen schieben. Dennoch ließ der Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen ihm keine Ruhe.
Er ließ den Wagen anspringen und hatte seine Entscheidung letztendlich bereits getroffen. Hustend sprang der alte Streifenwagen an und Sinclair rollte vom Parkplatz des Polizei-Departments. Die Sonne ging bereits unter und schien in der herbstlichen Luft zu erkalten. Die Dämmerung hatte Sinclair jedoch, noch nie bei seinen Patrouillen gestört.
„Mr. Krov einen zwanglosen und spontanen Besuch abzustatten, wird wohl nicht verwerflich sein. Als guter Nachbar, sollte ich mich immerhin vorstellen", lächelte er verschmitzt und fuhr auf der leeren Landstraße, Richtung Pinehurst Manor.

Chroniken der Schatten/ Buch 1- Die Jäger Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt