Kapitel 5

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Es ist mitten in der Nacht.

Meine Augen wandern wieder und immer wieder in dem Raum umher und versuchen in den Schatten etwas zu erkennen, was nicht da ist. Sollte ich vorher nicht verrückt gewesen sein, werde ich es auf jeden Fall nach diesem Aufenthalt sein.

Plötzlich meine ich etwas in der Ferne zu hören.

Die Schritte kommen näher an mein Zimmer heran und schreiten dann weiter. Sie werden wieder leiser. Meine Hoffnung stirbt, dass er es vielleicht sein könnte. Doch dann kommen die Schritte zurück und machen diesmal halt vor oder zumindest in der Nähe meiner Tür. Ich setzte mich blitzschnell auf. Meine Müdigkeit ist wie verflogen und meine Konzentration voll und ganz auf die Bewegungen dieser Person fokussiert. Ich lausche. Eine Weile geschieht nichts. Ich reibe vorsichtig meine kühlen Füße aneinander.

Plötzlich klopft es an meiner Tür. Ohne es vorher abgesprochen zu haben, weiß ich, dass es das Zeichen dafür ist, das die Luft rein ist. Ich höre, wie eilige Schritte wieder weggehen und sich entfernen. Eilig erhebe ich mich und laufe mit meinen nackten Füßen leise zur Tür. Ich werfe einen Blick hinaus.

Niemand da.

Wenn das nicht meine Chance ist. Ohne lange zu zögern, öffne ich die Tür einen Spalt und stelle mich auf den Gang. Ein intensiver Blick nach links, ein hastiger Blick nach rechts. Es ist noch immer niemand zu sehen. Es ist ungewöhnlich ruhig.

Auf Zehenspitzen eile ich zur Treppe, die sich rechts von meinem Zimmer befindet, und haste sie hinunter. Unten am Treppenansatz zieht sich ein Korridor entlang, der in die Eingangshalle mündet. Ein seltsames Gefühl umschleicht mich. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass irgendwas nicht stimmt. Aber keine Zeit zu verlieren! Ich laufe behutsam Richtung Halle. Meine Füße geben ein leises Geräusch von sich, sobald ich sie anhebe. Ich gelange in die Halle, sie erstreckt sich über zwei Stockwerke und ist mit Holz verkleidet. In dem dämmerigen Licht sieht es gespenstig aus. Als könnte aus jedem Schatten jeden Augenblick sich etwas hervortun und einem Böses wollen.

Ich husche hinter den Empfangstisch, wo ein rotes Blinken mich auf das Telefon in der Ladestation aufmerksam macht. Mein Blick schweift nochmals umher und überprüft, dass auch wirklich niemand zu sehen ist. Sobald ich mir dessen sicher bin, nehme ich das Telefon in die Hand und hocke mich hin, um nicht gesehen zu werden. Augenblicklich beginnen meine Gedanken ein und dieselbe Nummer herunterzurattern.

Ich wähle, ohne lange zu zögern die Nummer. Eine Nummer, die ich wohl nie vergessen werde. Die Tasten hallen in der gesamten Halle nach. Es kommt mir so unfassbar laut vor, dass ich mein Gesicht knirsche und nach jeder Zahl eins zwei Sekunden warte. Endlich drücke ich auf das grüne Telefonsymbol und lege mir das kalte Telefon an mein glühendes Ohr.

Das erste Tuten am Apparat erklingt. Ich lege meine Hand vor meinen Mund und den Sprecher, damit mein Gespräch nicht durch die gesamte Halle schallt.

Ruf mich nicht an, schießt es mir in den Kopf. Das hatte er mir gesagt.

Hm, ich muss es aber einfach probieren. Was soll schon groß passieren?

Während ich den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt habe, blicke ich über meine Schulter in die Dunkelheit der Halle hinein. Es scheint niemand da zu sein.

Wo liegt also das Problem ihn jetzt anzurufen?

Das Telefonat wird eh nicht sonderlich lange gehen. Also besser als Garnichts.

Erneutes Tuten.

Jemand nimmt den Hörer ab. Mein Herz beginnt wie wild zu pochen. Hoffentlich ist es nicht Hayden.

„Ja?", fragt eine tiefe Stimme nach längerer Zeit.

Gott sei Dank.

„Hallo?", fragt die Stimme erneut, da ich noch nicht geantwortet habe.

„Ich bin's"

Pause.

„Sie haben mich", ergänze ich

Wieder eine Pause.

„Wo bist du?"

„In der Rosewell."

Kurzes Zögern seinerseits.

„Ich kann dir da nicht helfen, da musst du selbst wieder rausfinden."

Seine Worte sind mir ein Stich im Herzen. Ich überlege ihm zu sagen, dass er mich holen kommen könnte. Aber er scheint es ja nicht mal in Erwägung zu ziehen. Mein Herz krampft sich schmerzend zusammen.

Ich atme tief durch und antworte: „Ja, ich weiß." Während ich gleichzeitig versuche die Enttäuschung in meiner Stimme überklingen zu können.

Aber was erwarte ich denn auch? Ich wusste von Anfang an, dass er mich nicht holen kommen würde. Ich habe mich in die ganze Scheiße reingeritten, ich muss selbst wieder herausfinden.

„Das ist doch selbstverständlich, oder?", lautet seine Antwort. Er scheint meine Enttäuschung mitbekommen zu haben.

Selbstverständlich? Klar, bleib mir einfach fern, ich schaffe das ja auch selbst.

Lass das! Hör auf damit, fahre ich mich selbst an.

„Ich weiß", antworte ich ihm bedrückt, aber erkenne seine Sicht auf diese missliche Lage.

„Du schaffst das Lucy."

Schweigen.

„Meld dich, wenn es dir besser geht."

Weshalb ist er so kühl zu mir? Habe ich ihn enttäuscht?

Ohne ein weiteres Wort legt er auf. Autsch. Eine tiefe Betrübtheit überkommt mich.

Herzen aus GlasWhere stories live. Discover now