Sinnliches Wochenende

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Meine Großmutter kommt auf mich zu und hält etwas in ihren Händen. Ich erkenne es erst, als wir uns gegenüberstehen. Es handelt sich dabei um einen Teller mit frisch gepflückten Himbeeren, die ich liebe. Sie haben nämlich einen unnachahmlichen Geschmack. Ich nehme eine und lasse mir diesen auf der Zunge zergehen. Köstlich.

Das Pfeifen des Zuges entreißt mich dieser Erinnerung. Ich blinzle einige Male und kehre so in die Realität zurück, wo es keine Großmutter samt Garten mehr gibt. Diese Erkenntnis stimmt mich ein wenig traurig. Das Gefühl begleitet mich noch einige Haltestellen, bis es sich dazu entschließt, wieder im Nirvana zu verschwinden.

Ich blicke aus dem Fenster. Die unbekannte Landschaft rast an meinen Augen vorbei. Die Fahrt wird noch eine gute halbe Stunde dauern. 

Mein Handy vibriert in der Jackentasche. Ich ziehe es aus dieser heraus und entsperre das Display. Habe Nachrichten von Loana. Erfahre, dass sie im Bus sitzt. 

Diese Nachricht lässt mich mein Trübsal von vorhin komplett vergessen. 

Der Zug fährt langsam in den Bahnhof ein. Sein Tempo gleicht einer Schnecke. 

Ich bin unter den ersten Passagieren, die aussteigen. Stehe nun auf einem sehr schmalen Bahnsteig. 

Von Loana ist noch nichts zu sehen. Verspätet sie sich etwa? 

Ich gehe zum Wartebereich. Hole mein Handy hervor. Loana hat mir geschrieben. Sie ist am Bahnhof angekommen und auf dem Weg zum Gleis 7.  In wenigen Minuten werden wir also wiedersehen und meine Nervosität nimmt langsam Überhand an, da ich an das denke, was sie beim Abschied gesagt hat. Meine Wangen verfärben sich, während ich mit rasendem Herzen noch immer auf sie warte. 

Sekunden später ist es dann endlich soweit. Ich sehe, wie Loana auf mich zukommt und schlucke den gewaltigen Kloß herunter, welcher sich zwischenzeitlich in meiner Kehle gebildet hat. Reicht eine Umarmung als Begrüßung, oder soll ich etwas zu ihren Abschiedsworten sagen? Ich bekomme keine Idee vorgeschlagen. Mein Gehirn hat sich nämlich plötzlich in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet. 

Wir stehen uns nun gegenüber und begrüßen uns mit einem Handschlag. Ich freue mich wahnsinnig, dass Loana hier ist, bringe allerdings immer noch kein einziges Wort heraus. Fühle mich plötzlich ziemlich unsicher. Skypen mit ihr ist die eine Sache, das reale Leben die andere. 

Ich merke gar nicht, dass wir am Aufzug angekommen sind, da mich meine Gedanken total in Anspruch genommen haben. Dieser ist leicht gefüllt, als wir ihn betreten. 

Eine Frau trägt ein kleines Mädchen auf dem Arm, welches Loana neugierig mustert und dabei lächelt. Diese lächelt zurück und dann sind wir alle auch schon unten angekommen. 

Wir verlassen den Bahnhof ziemlich schnell und gehen zu den Bussen. Kommen dadurch ein wenig an der Stadt vorbei und mich beschleicht ein eigenständiges Gefühl. Dieser Ort fühlt sich nach Zuhause an und ich bin endlich angekommen. Dabei ist das völlig absurd. Ich bin nämlich noch nie hier gewesen. 

An Steg 8 nehmen wir schlussendlich Platz. Mein Hintern tut mir jetzt schon leid, denn der nächste Bus kommt erst in einer halben Stunde. 

Ich habe meine Stimme übrigens immer noch nicht wieder gefunden. 

Kurze Zeit später bemerke ich, dass sich Loanas Daumen unter meinen Kinn schiebt und mein Gesicht wird dann auch schon in ihre Richtung gedreht. 

Unsere Lippen treffen aufeinander und meine Augen weiten sich unter dieser Intensität. Dieses Mal kämpfe ich allerdings um die Oberhand, indem ich rasch über Loanas Mund fahre. Ich schmecke fruchtiges Lipgloss und genieße jeden einzelnen Millimeter ihrer samtweichen Lippen. Stupse Loanas vordere Zahnreihe an und bitte um Einlass. 

365 Tage devotWhere stories live. Discover now