Elf.

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Ich war zu spät. Viel zu spät. Das lag an Tom. Keine Ahnung wie, aber er muss wohl meine Recherchen vom Wochenende gefunden haben, hat dann darauf gesagt, dass ich meine freien Tage nicht zur Arbeit nutzen solle und ich mich in diesen Fall viel zu sehr reinsteigere. Darauf hin habe ich gesagt, dass ihn das gar nichts angeht und was ihn einfällt, in meinen Sachen rumzustöbern. Er erwiderte, dass ich ihn vernachlässige. Daraufhin habe ich laut losgelacht. Mit einem Blick auf die Uhr verschwand mein lächeln dann wieder und ich bin ohne ein weiteres Wort zur Arbeit gefahren.

Ich hetzte also den Gang zum Besucherraum entlang. Dieser war noch ziemlich leer. Eine ältere Frau saß gemütlich auf einem Stuhl und umklammerte ihre Tasche. Dann war da noch ein junger Mann, die Arme und Hände ebenfalls tätowiert. Er ging unruhig im Raum auf und ab. Als er mich sah, weiteten sich seine Augen ein wenig und er kam auf mich zu.

"Sind...sind Sie die Psychologin?", fragte er unsicher.

Ich nickte und hielt ihm die Hand hin.

"Mein Name ist Evelyn Schüler. Nett Sie kennenzulernen."

Er ergriff sie zögerlich.

"Ardian. Ardian Bora. Ebenfalls...glaube ich."

Viele Angehörige und Besucher reagierten wie er beim ersten Besuch. Die meisten stellten sich vermutlich vor, dass wir Angestellten alle mit Peitschen durch die Gegend rennen und Befehle umherbrüllen. Da konnte Freundlichkeit schon mal verwirren.

"Bitte folgen Sie mir doch in Mein Büro, Herr Bora."

Am Schalter wurde Ardian durchsucht und seine Personalien aufgenommen, dann durfte er mir weiter folgen.

In meinem Büro stand er dann erst einmal unschlüssig rum.

"Setzen Sie sich", forderte ich ihn auf und deutete auf den Platz vor meinem Schreibtisch.

Als er dem schließlich nachgekommen war, ließ ich mich gegenüber von ihm nieder.

"Vielen Dank, dass Sie dem Gespräch mit mir zugestimmt haben, Herr Bora. Das ist wirklich von großer Wichtigkeit für mich."

"Das ist gar kein Problem! Ich würde, glaube ich, im Moment alles tun um Taddl irgendwie zu helfen."

 "Gut. Dann werde ich Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen. Auch wenn wir noch nicht im Gericht sind, bitte ich Sie, ehrlich zu antworten. Alles andere bringt uns nicht weiter. Haben Sie das verstanden?"

Er nickte. "Natürlich. Fangen wir an."

"War Thaddeus zwischen seines Vaters und seinem Mord noch einmal in Ihrer gemeinsamen Wohnung gewesen?"

Er schüttelt den Kopf.

"Hatten Sie in dieser Zeit Kontakt?"

"Nicht viel. Er schrieb mir, dass es seinem Vater nicht gut ging und er länger bleiben würde. Und dass er Zeit für sich bräuchte. Also habe ich auch nicht weiter nachgefragt."

"Wussten Sie, dass seine Mutter bereits tot ist?"

"Natürlich, er ist schließlich mein bester Freund!"

"Hat er sich manchmal seltsam verhalten? Auffällig aggressiv oder etwas dergleichen?"

Er überlegte kurz. "Naja, er war schon immer leicht reizbar und wenn er dann sauer wurde, dann auch richtig. Aber nicht dass das irgendwie auffällig gewesen wäre. Ich für meinen Teil hatte mich zumindest ziemlich schnell daran gewöhnt."

Ich nickte und machte mir Notizen. "Wussten Sie, dass sich Herr Tjarks eigentlich in psychologischer Behandlung befand?"

Seine Augen wurden groß. "Nein. Aber was heißt eigentlich?"

"Nun, er ging vielleicht alle zwei Monate hin. Vermutlich wäre es Ihnen sonst aufgefallen."

"Aber...aber warum?" Seine Stimme klang atemlos. Er hatte offenbar Probleme zu begreifen.

"Er hat den Tod seiner Mutter vermutlich doch nicht so gut verarbeitet, wie Sie das glauben, Herr Bora. Selbstmordgedanken sind für einen 12-Jährigen recht untypisch, finden Sie nicht?"

Er schwieg, doch ihm war anzusehen, dass die Gedanken in seinem Kopf rasten.

"Herr Bora, wissen Sie was es mit Psychopathie auf sich hat?"

Er nickte langsam. "Skrupellos. Ohne Gefühle oder sowas."

"So in etwa", bestätigte ich ihm. "Herr Tjarks ist hergekommen mit genau diesem Verdacht. Er soll also ein Psychopath gewesen sein. Doch das glaube ich nicht. Nicht nach den Gesprächen die ich geführt habe, nicht nachdem was Sie mir erzählt haben."

Seine Augen wurden glasig.

"Bitte, Frau Schüler. Sie müssen ihm helfen, hier rauszukommen. Ich...er...er ist nicht so. Er gehört nicht hier rein...bitte". Fast hörte es sich so an, als würde er in Tränen ausbrechen.

"Ich werde tun was ich kann. Aber eine Bitte noch. Beschreiben Sie mir den Charakter von Herrn Tjarks. Wie hat er sich in Ihrer Gegenwart verhalten?"

Auch über diese Frage dachte er kurz nach. "Er... er war immer so fröhlich und lebenslustig , auch nach allem was passiert ist. Ich konnte mit ihm Scheiße bauen. Er nahm kein Blatt vor den Mund. Wir haben viel gelacht. Aber er hatte auch eine sentimentale Seite. Ich kann mit ihm so gut reden. manchmal ist er er Einzige, der mich versteht, habe ich das Gefühl. Aber...dann kann er doch kein Psychopath sein! Wenn er keine Gefühle hätte, dann könnte er sie doch auch nicht nachvollziehen, oder?"

Ich wollte etwas erwidern, aber da klopfte es an der Tür.

"Herein?" Mir entfuhr ein kleiner Seufzer. Ein junger Beamter öffnete die Tür. 

"Frau Schüler? Herr Tjarks ist nun bereit Besuch zu empfangen."

"Alles klar wir kommen gleich!", sage ich etwas genervt. Ich hatte zu wenig Zeit. Aber mal schauen, was der Besuch von Herrn Bora bei Thaddeus auslösen würde.

The Psychopath || Taddl||Donde viven las historias. Descúbrelo ahora