Mark

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Kosel/Koslev; 2065

,,Los, schneller!" Mark lachte. Über seine Schulter blickend sah er den Abstand zwischen seinem älteren Bruder und ihm immer länger werden.
,,Das ist nicht fair, das war ein Frühstart!" Elias sprintete hinterher. ,,Aber ich krieg dich trotzdem!"

Sie rannten durch das Treppenhaus, aus dem engen Flur hinaus in die schmale Gasse zwischen ihrem Wohnhaus und einer Hecke, die das Nachbargrundstück abgrenzte. Die Äste schrabbten an Elias' Armen, aber das interessierte ihn nicht. Er hatte nur Augen für sein Ziel vor ihm.

,,Neiihihin", jaulte Mark, als sein Bruder ihn um ein Haar am T-Shirt gepackt hätte. ,,Ich... bin... schneller!"
,,Du hast keine Ausdauer!", neckte der ihn, nicht im Geringsten außer Atem. Er war gut im Ausdauerlauf und einer der besten auf dem Basketballplatz. Der Achtjährige hatte keine Chance.

Mark rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Den Abhang hinunter, bis der Weg aufhörte, um eine Kurve ging und sein dunkler Haarschopf hinter einer weiß verputzten Hauswand verschwand.

,,Gleich hab-" Ein schriller Schrei unterbrach Elias. Abrupt blieb er stehen. ,,Mark?"
,,Hilfe!"
Sofort rannte er wieder los, dieses Mal fast doppelt so schnell. ,,Ich komme!"

Auf der ruhigen Straße, die durch das heruntergekommene Wohngebiet führte, standen zwei Männer in dunkelroter Uniform. Sie wirkten riesig aus Elias' Position, ihre ernsten Gesichter und die streng zurückgekämmten Haare verhießen nichts gutes. Eine goldene Marke auf der Brust wies sie als Ordnungshüter aus.

,,Du da! Was tust du hier?" Der größere von ihnen hatte sich Mark am Kragen gepackt und schüttelte ihn. Er musste bei seinem Tempo gegen ihn geprallt sein. ,,Guckst du nicht, wo du hinrennst, he?"
Mark heulte, strampelte und versuchte, sich aus dem eisernen Griff zu befreien. Wenn sie Elias gesehen hatten, so ließen sie es sich zumindest nicht anmerken.

,,Lasst meinen Bruder los!"
Die beiden beachteten ihn immer noch nicht. Stattdessen holte der andere einen Schlagstock hervor. ,,Ich werd' dir zeigen, was man mit frechen Gören wie dir macht!"

Elias kniff die Augen zusammen, als der Ordnungshüter begann, den Stock auf Mark herabzischen zu lassen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, während sein kleiner Bruder aufheulte.
Ohne darüber nachzudenken rannte Elias zu den Männern hin. Mit aller Kraft trat er gegen das Schienbein des einen, der daraufhin zusammenzuckte. Mark nutzte die Chance, befreite sich von seinem Griff und lief Elias in die Arme.

,,Lass uns abhauen", flüsterte der ihm zu.
,,Stehen bleiben!", brüllte der größere der beiden Ordnungshüter ihnen hinterher. ,,Oder ich puste euch den verdammten Schädel weg!"

Elias hatte in seinem zehnjährigen Leben noch nicht viele Waffen gesehen. Aber er erkannte Gefahr, wenn sie ihm unmittelbar gegenüber stand. Und dass die Situation begann, wirklich gefährlich zu werden, realisierte er, als der Mann ein Gewehr auf die beiden richtete.

Die Augen weit aufgerissen drückte er Marks Hand fester. Was jetzt? Stehen bleiben? Weiterlaufen? Keine der Geschichten, die seine Großmutter erzählte, um den Jungs Lektionen fürs Leben mitzugeben, hatte eine solche Situation beinhaltet.
Seine Lunge brannte, trotz seiner normalerweise guten Kondition. Vielleicht lag es am Adrenalin, aber zum ersten Mal schaffte Mark es, mit ihm Schritt zu halten. Auch wenn Elias ihn mit jedem Meter mehr hinter sich her zog.

,,Lass gut sein, Mann", hörte er den anderen Ordnungshüter wie durch Watte noch sagen. ,,Das sind Kinder, der Boss macht uns 'nen Kopf kürzer, wenn wir auf offener Straße Kinder abknallen."

Dann bogen sie in die rettende Gasse ein, die zu ihrer Wohnung führte.

,,Dieses Mal habt ihr Glück gehabt", hatte sein Vater an diesem Abend mahnend gesagt. ,,Aber wenn das nächste Mal jemand mit einer Waffe sagt dass du stehen bleiben sollst, dann bleibst stehen. Hast du das verstanden? Der mit der Waffe ist immer der Überlegene in einem Konflikt. Nicht nur Ordnungshüter. Aber besonders Ordnungshüter."

𝐃𝐚𝐬 𝐓𝐫𝐨𝐥𝐥𝐞𝐲 𝐏𝐫𝐨𝐛𝐥𝐞𝐦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt