⁶|Von Videocalls und Gefühlen [BelshawxPrevc]

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Überrascht zog Erik das Handy aus seiner Hosentasche. Heute hatte er mit keinem Anruf mehr gerechnet. Seine Mutter hatte ihm bereits auf die erdenklich peinlichste Weise zu seinem zweiten Platz gratuliert. Tate hatte ihn dafür ausgelacht, da dieser genau zum rechten Zeitpunkt das Zimmer betreten hatte. Peinlich berührt hatte Erik sich von seiner Mutter verabschiedet und den Spott über sich ergehen lassen. Irgendwann würde seine Mutter schon noch verstehen, dass er erwachsen war. Immerhin war er erst neulich neunzehn geworden. Bis gerade eben hatte er mit Tate gemeinsam auf dem Bett gelegen und sich eine von Tates Action Serien angesehen. Nika leuchtete ihm auf dem Display entgegen. Auch wenn er es niemals zugeben würde, hatte es ihm die kleine Slowenin angetan. Vor allem, seit sie sich bei der vergangenen Junioren-WM so richtig kennengelernt hatten. Damals hatte er sie beinahe mit seinen Skiern umgehauen, weil er viel zu unachtsam durch das Springerdorf marschiert war. Natürlich hatte er sich sofort bei ihr entschuldigt und irgendwie war daraus eine wirklich gute Freundschaft entstanden. So gut, dass Nika ihm letztens sogar ihre Nummer übergeben hatte. Da hatte Erik nicht schlecht gestaunt. Seit sie angefangen hatten, regelmäßig miteinander zu schreiben, hatten sich Eriks Gefühle der Slowenin gegenüber verändert.

„Tate, könntest du ...?", bat er den Jüngeren, mit dem er sich das Zimmer teilte. Als dieser dann ebenfalls einen kurzen Blick auf das Display warf, stand er mit einem wissenden Grinsen auf. Sofort packte er sein Tablet und die Kopfhörer, damit er seine Serie woanders weiter schauen konnte.

„Aber natürlich. Richte ihr liebe Grüße von mir aus und benimm dich", er wackelte kurz mit den Augenbrauen und ließ dann Erik ein wenig perplex im Hotelzimmer zurück. Dieser nahm nun endlich den Anruf entgegen.

„Herzlichen Glückwunsch zum zweiten Platz! Ich wusste doch, dass du es schaffst", begrüßte ihn die aufgeweckte Stimme der Jüngeren. Wenn man sie im Fernseher betrachtete und den Kommentatoren zuhörte, wurde sie immer als introvertiert und ruhig beschrieben; davon hatte Erik von Tag eins nichts mitbekommen. Schon immer war Nika bei ihm eher aufgedreht gewesen. Anfangs hatte Tate ihn sogar gefragt, ob sie von derselben Nika Prevc sprachen und ja, das war der Fall gewesen.

„Danke. Aber zugegeben, wenn nicht so viele disqualifiziert worden wären, dann hätte ich es vermutlich nicht mal aufs Podest geschafft", der junge Amerikaner platzierte sein Handy auf dem Schrank, der neben dem Doppelbett stand, welches er sich mit Tate teilen musste. Erst im Nachhinein hatte er die Ergebnisliste betrachtet. Dabei war ihm aufgefallen, dass einige Athleten gar nicht erst zum Start zugelassen wurden und ziemlich viele nach dem ersten Durchgang disqualifiziert wurden aufgrund ihres Materials. Darunter auch seine ärgsten Kollegen, wie auch sein Zimmerpartner Tate, der sich darüber aufgeregt hatte, weil er gute Chancen gehabt hatte, ebenfalls das Podest zu erreichen.
„So ein Unsinn, Erik. Du bist gut gesprungen. Selbst wenn der ein oder andere mehr gesprungen wäre", Nika schüttelte für Erik durch die Kamera ersichtlich den Kopf. Kurz betrachtete Erik das Bild. Sie war vermutlich bei sich zu Hause. Da er im Hintergrund allerdings nicht die bekannten Poster der slowenischen Bands erkannte, schloss er daraus, dass sie im Wohnzimmer saß. Der Blonde lachte kurz auf, als er ihre Antwort begriff. So kannte er sie. Sie hatte bisher immer viele aufmunternde Worte übrig gehabt. Meistens war sie diejenige, die ihn nach den misslungenen Wettkämpfen wieder aufbaute und daran erinnerte, dass die nächsten Wettkämpfe kommen würden.

„Das sagst du nur, weil du meine Freundin bist", behauptete der Amerikaner und grinste breit in die Kamera.

„Wenn ich dir doch sage, dass die Sprünge gut waren", Nika seufzte laut auf, Erik konnte aber noch immer ihr Lachen durch die Lautsprecher seines Handys hören. Wenn sie bloß wüsste, wie schön sich dieses Geräusch anhörte ... Für einen Moment versank Erik in seinen Gedanken. Irgendwann würde er sich schon noch trauen. Auch wenn Tate ihn inzwischen schon in jeder Situation ermutigte, hatte Erik es nicht über sich gebracht, mit Nika darüber zu sprechen, dass er sie gut fand. Und noch viel eher scheiterte es daran, dass er ein kleines bisschen Angst vor ihren großen Brüdern hatte. Vor allem vor Domen. Die anderen beiden schätzte er als ruhig ein. Zumindest im Vergleich zu Domen, der bei Nika und Emma den großen Bruder heraushängen ließ. Es war beinahe einschüchternd. Wenn es allerdings gerade nicht um Nika ging, war der Slowene ihm gegenüber bisher immer nett gewesen. Viel hatten sie nicht miteinander zu tun.

more than a world || Skijumping OneshotsWhere stories live. Discover now