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AMELIA

»Wir müssen das Melden!«
Bens laute Stimme lässt mich zusammenfahren. Ich musste es ihnen erzählen, auch wenn Riley es herausfand, bevor ich es selbst sagen konnte. Die Situation ist so beschissen, dass ich jetzt schon eine Stunde am Küchentisch sitze, die Hände zwischen die Schenkel gesteckt habe und den Blick auf die Tischplatte gesenkt.
»Bitte ... ihr versteht das nicht. Ihr dürft es nicht melden«, flehe ich die beiden Männer an. Wenn Sie das tun und Timéo das irgendwie herausbekommen dann ... dann wird er es mir wegnehmen, weil ich ihn hintergangen habe. Zumindest denkt er das. Dabei hatte meine Mission nichts mit ihm zu tun. Aber ich bin nicht dumm. James und Sawyer werden in London ihre Fühler nach mir ausgestreckt haben und alles an den Franzosen melden, was ihnen zu Ohren kommt.

»Wir müssen es aber«, wiederholt er mit Druck in seinen Worten. »Wir müssen das melden, Rachel. Du musst in die Stadt, dich untersuchen lassen und regelmäßig zu diesen Terminen gehen. Es ist unsere Pflicht es Scotland Yard zu melden.«
»Aber ihr dürft nicht! Wenn ihr das tut, dann bringt ihr mich in Gefahr!«
Meine Augen huschen zwischen den beiden Männern hin und her. Der eine lehnt an der Küchenzeile, der andere stützt sich mit den Händen bedrohlich auf die Tischplatte.
»Wir sind hier, damit dir nichts passiert. Also lass uns das melden und-«
»Nein!« Rasend schnell erhebe ich mich, als ich sehe, dass Ben in die Hosentasche zu seinem Telefon greift. »Ihr versteht das nicht!«
»Ach ja?« Riley setzt seine Kaffeetasse neben sich ab und verschränkt seine Arme. »Was verstehen wir daran nicht? Von wem ist dieses Problem? Dem Typ, wegen dem du hier bist?«
Mein Magen zieht sich unwohl zusammen. Von Sergio sicher nicht. Nein, es ist das des Franzosen und der wird es mir aus dem Leib schneiden, sollte er ... sollte er mich finden. Unterbewusst reibe ich über das Shirt, was ich trage und sinke, zurück auf den unbequemen Holzstuhl, auf dem ich saß. »Nein... Aber es gibt immer Maulwürfe, auch bei Scotland Yard. Wenn das herauskommt und andere davon erfahren...«

»Hast du was verschwiegen? Denn wenn du nicht ehrlich warst, sind wir in noch größerer Gefahr«, fährt Ben mich sauer an. Ich kann ihn verstehen. Er tut auch nur sein Job aber das hier ist mein Problem. Mein Körper und mein Problem und ich will nicht, dass jemand in London es erfährt. Erst recht nicht die falschen. Samuel zählt auch dazu. Nicht weil ich ihm nicht vertraue, sondern weil ich mich schäme. Ich will ihn nicht enttäuschen und obwohl ich darüber keine Gewalt habe, habe ich das getan. Er soll es nicht erfahren...
Riley stößt sich seufzend von der Arbeitsplatte ab und kommt auf mich zu. Er zieht sich einen Stuhl knarzend über den alten Dielenboden und setzt sich falsch herum darauf. Die Hände auf der Lehne verschränkt. Obwohl er angsteinflößender als Ben wirkt, sind seine Worte um länger sanfter als die seines Kollegen.
»Hör mal, Ben hat recht. Wir verletzten unsere Arbeit, wenn wir das nicht melden. Hier geht's nicht mehr nur um dich, klar? Es ist unsere Verantwortung das es dir gutgeht. Dazu gehören auch solche Angelegenheiten. Wir müssen das Abklären und dich zu einem Arzt schicken. Aber solche Ausflüge müssen von ganz oben protokolliert und genehmigt werden, sonst gefährden wir nicht nur unseren Job, sondern auch dich.«
Seine Worte klingen plausibel. Ich verstehe das, das tue ich wirklich. Aber die beiden können sich niemals in mich hineinversetzen. So ist es eben.
»Das wird nur unserem direkten Vorgesetzten gemeldet«, fügt Ben Rileys Worten bei. Soll mich das beruhigen? Das tut es irgendwie. Also nicke ich kaum merklich und Ben zieht sich mit seinem Telefon in ein anderes Zimmer zurück.

Ausatmend schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen und schließe die Augen. Das ist alles so beschissen. Es fühlt sich falsch an. So falsch und gleichzeitig gut zu wissen, dass die beiden auf mich aufpassen werden. Fuck. Ich hätte den Auftrag nie annehmen sollen. Dann säße ich jetzt noch in meinem Büro bei Scotland Yard und wäre meiner Arbeit nachgegangen. Ich hätte mich nie überreden lassen dürfen. Das habe ich jetzt davon...
»Willst du was Essen?«, schlägt der dunkelhaarige schließlich vor. Er hat die letzten Tage gekocht. Auch wenn ich wenig bis kaum davon gegessen habe, war die Portion, die ich hatte, lecker. Und mein knurrender Magen kann nicht mehr ignoriert werden. »Ja. Was wirst du kochen?«, frage ich ihn und schiebe mir meine Haare hinter die Ohren. Riley erhebt sich. Als er sich dem Kühlschrank zuwendet, ziehe ich meine Füße auf den Stuhl und schiebe das Shirt über meine Beine. Es riecht schon längst nicht mehr nach ihm, aber es ist das Einzige, was mich nicht irre werden lässt.
»Pasta? Glaubst du dein Magen verkraftet das?«
»Wir werden sehen«, antworte ich und schlinge mir die Arme um die Knie. Den Kopf auf die Knie gelegt, schaue ich zu wie er beginnt, das Abendessen zuzubereiten. Nach einer Weile kehrt auch Ben zurück, der kurz ein paar leise Worte mit seinem Kollegen wechselt und schließlich auf die überdachte Terrasse hinausgeht. Durch das Fenster neben mir sehe ich ihn in der Dunkelheit rauchen.
Riley schiebt mir ein Brett über den Tisch zu und ein paar Tomaten, die ich kleinschneiden soll. Ich bin froh, dass er mir etwas zu tun gibt. So kann ich einen Moment abschalten und mich nur darauf konzentrieren, mir nicht in die Finger zu schneiden. Mein Kopf schaltet auf Pause und die Ruhe, die sich in meinem Körper breitmacht, lässt mich aufatmen. Es fühlt sich wahnsinnig schön an. Und so komme ich mir nicht unnütz vor.

Dampfend befindet sich die fertige Pasta dann auf meinem Teller. Sie leuchtet rot und riecht wahnsinnig gut, sodass mir glatt das Wasser im Mund zusammenläuft.
»Will Ben nichts essen?«, frage ich und betrachte den Mann draußen in der Kälte. Riley folgt meinem Blick, nur um seinen Kopf zu schütteln.
»Jetzt nicht, einer von uns muss Wache halten. Wir lassen ihm was übrig«, erklärt er mir.
Wenigstens muss ich nicht auf meinem Zimmer allein essen. Und es schmeckt auch wirklich gut. Leider bin ich nur viel zu schnell, pappsatt. Das muss daran liegen, dass ich die letzten Wochen nicht viel runterbekommen habe. Immerhin ist das Fieber inzwischen verschwunden. Jetzt muss nur noch der Rest dieser blöden Krankheit verschwinden, damit ich aufatmen kann.
Ich verabschiede mich nach dem Essen zurück auf mein Zimmer. Es dauert eine Weile, bis ich dort ankomme, da meine Beine mit jedem Schritt zittriger werden. Umso froher bin ich, als ich endlich in mein Bett fallen kann und die Decke über meinen Körper ziehe. Müde taste ich nach der Nachttischlampe, die das Zimmer schwach mit Licht erhellt. Schon in Frankreich hat immer ein Licht gebrannt, als ich schlafen ging. Ich schaffe es nicht, in der Dunkelheit zu liegen. Nicht, seit ich im Keller gefangen war... Die Dunkelheit bringt finstere Erinnerungen zurück, an die ich nicht denken will. Nicht denken kann. Mein Kopf brummt bei dem Gedanken schmerzlich auf. Ich ziehe mir die Decke höher bis an die Nasenspitze und schließe meine Augen. Die Tür einen Spalt geöffnet. Das Klappern der Töpfe unten, beruhigt mich und so drifte ich in einen traumlosen Schlaf ab.

King of Marseille | 18+Where stories live. Discover now